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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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die sind aus Mutterleibe so geboren, und sind etliche verschnitten, die von
Menschen verschnitten sind, und sind etliche verschnitten, die sich selbst ver¬
schnitten haben, um des Himmelreiches willen. Wer es fassen mag, der
fasse es." Und in der Bergpredigt ruft uns der Erlöser zu, indem er vom
Begehren nach Weibern redet: "Aergert dich ein Glied, so haue es ab und
wirf es von dir. Es ist besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der
ganze Leib in die Hölle geworfen werde."

Bon selbst versteht sich, daß Christus seiner Lehre sein Beispiel hinzufügte
und sich selbst der "Feuertaufe" unterzog, welche die einzig wahre Taufe ist,
und daß die Apostel desgleichen thaten. Die echte christliche Kirche folgte
dann diesen Beispielen. Unter anderm geschah dieß von dem großen Kirchen¬
vater Ongenes, desgleichen waren alle die Heiligen, welche von der traditio¬
nellen kirchlichen Malerei mit kleinen Bärten oder völlig bartlos dargestellt
werden, freiwillig Entmannte. Nur wurde mit Rücksicht auf die menschliche
Schwachheit in späterer Zeit zugelassen, daß das glühende Eisen bei der
Operation durch ein gewöhnliches Rasirmesser oder Stemmeisen ersetzt werde.
Nachdem nun Jesus Christus der Welt das Geheimniß der Erlösung durch
das rothe Eisen offenbart, schied er von hinnen. Vorher aber verhieß er,
abermals zu erscheinen, um die Lebendigen und die Todten zu richten, die
Lebendigen, das sind die Skopzen, die Todten, das sind die nicht verschnitt-
nem Sünder. Diese Wiederkunft des Heilandes ist bereits erfolgt. Sie fand
in der Person des Kondrät Seliwanoff statt, der wieder niemand
anders ist als der Czar Peter der Dritte, "Christus, unser wahrer Gott, ge¬
boren von der unbefleckten Jungfrau, die als Kaiserin Elisabeth Petrownci
hieß." Diese Kaiserin herrschte in eigner Person nur zwei Jahre. Dann
übertrug sie die Regierung einer ihr ähnlichen Hofdame und zog, nachdem sie
den Namen Akulina Jwanowna angenommen, zuerst in das Gouverne¬
ment Orel, wo sie bei dem Skopzenpropheten Filimon lebte, dann nach
Bjelogrod im Gouvernement Kursk zurück, wo sie unsichtbar "hinter einer
goldenen Mauer" noch 1868 die Verehrung der Gläubigen genoß. Der von
ihr geborene Sohn Peter wurde von ihr als Knabe nach Holstein gesandt.
Nachdem er hier zum Manne gereift, entmannte er sich, vollzog dieselbe
Operation an vielen Anderen und wirkte allerlei Wunder. Auf den Thron
berufen, mußte er sich vermählen. Da er aber seiner Gemahlin infolge der
Feuertaufe, der er sich unterzogen, nicht gefiel, wollte sie ihn zu Ropscha
ermorden lassen. Doch entkam er den Nachstellungen Orlvff's. indem er den
Posten eines Wache haltenden Soldaten bezog, und von jetzt an verschwand
er den Augen der Welt, um nach einiger Zeit in Gestalt des Bauern Seli¬
wanoff wieder aufzutreten. Als solcher setzte er die in Holstein begonnene
erlösende Thätigkeit zunächst in Moskau, dann in den Ländern des Westens


die sind aus Mutterleibe so geboren, und sind etliche verschnitten, die von
Menschen verschnitten sind, und sind etliche verschnitten, die sich selbst ver¬
schnitten haben, um des Himmelreiches willen. Wer es fassen mag, der
fasse es." Und in der Bergpredigt ruft uns der Erlöser zu, indem er vom
Begehren nach Weibern redet: „Aergert dich ein Glied, so haue es ab und
wirf es von dir. Es ist besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der
ganze Leib in die Hölle geworfen werde."

Bon selbst versteht sich, daß Christus seiner Lehre sein Beispiel hinzufügte
und sich selbst der „Feuertaufe" unterzog, welche die einzig wahre Taufe ist,
und daß die Apostel desgleichen thaten. Die echte christliche Kirche folgte
dann diesen Beispielen. Unter anderm geschah dieß von dem großen Kirchen¬
vater Ongenes, desgleichen waren alle die Heiligen, welche von der traditio¬
nellen kirchlichen Malerei mit kleinen Bärten oder völlig bartlos dargestellt
werden, freiwillig Entmannte. Nur wurde mit Rücksicht auf die menschliche
Schwachheit in späterer Zeit zugelassen, daß das glühende Eisen bei der
Operation durch ein gewöhnliches Rasirmesser oder Stemmeisen ersetzt werde.
Nachdem nun Jesus Christus der Welt das Geheimniß der Erlösung durch
das rothe Eisen offenbart, schied er von hinnen. Vorher aber verhieß er,
abermals zu erscheinen, um die Lebendigen und die Todten zu richten, die
Lebendigen, das sind die Skopzen, die Todten, das sind die nicht verschnitt-
nem Sünder. Diese Wiederkunft des Heilandes ist bereits erfolgt. Sie fand
in der Person des Kondrät Seliwanoff statt, der wieder niemand
anders ist als der Czar Peter der Dritte, „Christus, unser wahrer Gott, ge¬
boren von der unbefleckten Jungfrau, die als Kaiserin Elisabeth Petrownci
hieß." Diese Kaiserin herrschte in eigner Person nur zwei Jahre. Dann
übertrug sie die Regierung einer ihr ähnlichen Hofdame und zog, nachdem sie
den Namen Akulina Jwanowna angenommen, zuerst in das Gouverne¬
ment Orel, wo sie bei dem Skopzenpropheten Filimon lebte, dann nach
Bjelogrod im Gouvernement Kursk zurück, wo sie unsichtbar „hinter einer
goldenen Mauer" noch 1868 die Verehrung der Gläubigen genoß. Der von
ihr geborene Sohn Peter wurde von ihr als Knabe nach Holstein gesandt.
Nachdem er hier zum Manne gereift, entmannte er sich, vollzog dieselbe
Operation an vielen Anderen und wirkte allerlei Wunder. Auf den Thron
berufen, mußte er sich vermählen. Da er aber seiner Gemahlin infolge der
Feuertaufe, der er sich unterzogen, nicht gefiel, wollte sie ihn zu Ropscha
ermorden lassen. Doch entkam er den Nachstellungen Orlvff's. indem er den
Posten eines Wache haltenden Soldaten bezog, und von jetzt an verschwand
er den Augen der Welt, um nach einiger Zeit in Gestalt des Bauern Seli¬
wanoff wieder aufzutreten. Als solcher setzte er die in Holstein begonnene
erlösende Thätigkeit zunächst in Moskau, dann in den Ländern des Westens


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[0492] die sind aus Mutterleibe so geboren, und sind etliche verschnitten, die von Menschen verschnitten sind, und sind etliche verschnitten, die sich selbst ver¬ schnitten haben, um des Himmelreiches willen. Wer es fassen mag, der fasse es." Und in der Bergpredigt ruft uns der Erlöser zu, indem er vom Begehren nach Weibern redet: „Aergert dich ein Glied, so haue es ab und wirf es von dir. Es ist besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." Bon selbst versteht sich, daß Christus seiner Lehre sein Beispiel hinzufügte und sich selbst der „Feuertaufe" unterzog, welche die einzig wahre Taufe ist, und daß die Apostel desgleichen thaten. Die echte christliche Kirche folgte dann diesen Beispielen. Unter anderm geschah dieß von dem großen Kirchen¬ vater Ongenes, desgleichen waren alle die Heiligen, welche von der traditio¬ nellen kirchlichen Malerei mit kleinen Bärten oder völlig bartlos dargestellt werden, freiwillig Entmannte. Nur wurde mit Rücksicht auf die menschliche Schwachheit in späterer Zeit zugelassen, daß das glühende Eisen bei der Operation durch ein gewöhnliches Rasirmesser oder Stemmeisen ersetzt werde. Nachdem nun Jesus Christus der Welt das Geheimniß der Erlösung durch das rothe Eisen offenbart, schied er von hinnen. Vorher aber verhieß er, abermals zu erscheinen, um die Lebendigen und die Todten zu richten, die Lebendigen, das sind die Skopzen, die Todten, das sind die nicht verschnitt- nem Sünder. Diese Wiederkunft des Heilandes ist bereits erfolgt. Sie fand in der Person des Kondrät Seliwanoff statt, der wieder niemand anders ist als der Czar Peter der Dritte, „Christus, unser wahrer Gott, ge¬ boren von der unbefleckten Jungfrau, die als Kaiserin Elisabeth Petrownci hieß." Diese Kaiserin herrschte in eigner Person nur zwei Jahre. Dann übertrug sie die Regierung einer ihr ähnlichen Hofdame und zog, nachdem sie den Namen Akulina Jwanowna angenommen, zuerst in das Gouverne¬ ment Orel, wo sie bei dem Skopzenpropheten Filimon lebte, dann nach Bjelogrod im Gouvernement Kursk zurück, wo sie unsichtbar „hinter einer goldenen Mauer" noch 1868 die Verehrung der Gläubigen genoß. Der von ihr geborene Sohn Peter wurde von ihr als Knabe nach Holstein gesandt. Nachdem er hier zum Manne gereift, entmannte er sich, vollzog dieselbe Operation an vielen Anderen und wirkte allerlei Wunder. Auf den Thron berufen, mußte er sich vermählen. Da er aber seiner Gemahlin infolge der Feuertaufe, der er sich unterzogen, nicht gefiel, wollte sie ihn zu Ropscha ermorden lassen. Doch entkam er den Nachstellungen Orlvff's. indem er den Posten eines Wache haltenden Soldaten bezog, und von jetzt an verschwand er den Augen der Welt, um nach einiger Zeit in Gestalt des Bauern Seli¬ wanoff wieder aufzutreten. Als solcher setzte er die in Holstein begonnene erlösende Thätigkeit zunächst in Moskau, dann in den Ländern des Westens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/492>, abgerufen am 22.07.2024.