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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Das feinste aber war. wie er sich Karl selbst gegenüber verhielt. Immer
noch war er Karl's ergebenster Diener, der die Aufträge der kaiserlichen Politik
ausführte. Trotz der Differenzen in der kirchlichen Angelegenheit, welche 1550
deutlich herausgetreten waren, übernahm es gerade damals Moritz, einen
Strafauftrag des Kaisers gegen das protestantische Magdeburg zu vollstrecken.
Als kaiserlicher Hauptmann zog er zu Feld. Aber ihm war es Gelegenheit
und Vorwand, ein Heer unter seinen Fahnen zu sammeln. das er ohne Ver¬
dacht zu erregen für jede Kriegsthat bereit halten konnte. Und daß er
Achtung gebietend inmitten der Gegensätze stand und mit beiden Seiten zu¬
gleich eine Zeitlang verhandeln konnte, das war die Stellung, die seinem
eigenen Charakter sehr wohl entsprach und für jeden Fall ihn sicher stellen
mußte. Erst als auf protestantischer Seite sich alles das Verwirrte und Feind¬
liche löste, da erst ließ er nach und nach die Maske fallen: ganz offen
erklärte er sich erst, als er schon zum Ueberfalle auf den Kaiser unter¬
wegs war.

Was ist es eigentlich, das den Kurfürsten zu dieser Erhebung gegen den
Kaiser bewogen? Man hat in sehr scharfsinniger Erörterung und Zergliederung
seiner Motive gemeint, die Besorgniß durch einen neuen protestantischen Auf¬
stand um die Früchte seiner früheren Thaten gebracht zu werden, habe ihn
vermocht, sich dem Aufstande anzuschließen, um nicht durch ihn zu verlieren.
Ich gebe zu, daß dies Motiv sich nachweisen läßt. Aber es ist nicht die
Hauptsache. Oder würde Moritz seine sächsische Stellung nicht auch haben
befestigen, ja noch erweitern können, wenn er als wachsamer Vorposten auf
die Symptome der Empörung geachtet und als Vorkämpfer der kaiserlichen
Politik sie bekämpft hätte? Nein, neben den particulären Interessen wirkte auch
auf ihn das allgemeine Princip. Gegen die gewaltsame Regierung Karl's V.
hatte er als Kurfürst mehrfach angekämpft; der Verfassungsänderung wie
Karl V. sie beabsichtigt, hatte er sich widersetzt; dem spanischen Successions-
projecte trat er in den Weg und dem Protestantismus seines Landes ge¬
stattete er zuletzt immer lauteren Ausdruck. Ich meine, jene privaten Ange¬
legenheiten hätte er sehr wohl aus kaiserlicher Seite zu ordnen vermocht: der
principielle Gegensatz, der Protestantismus ist es, der ihm seine Stelle anwies,
für den er 1552 eintrat.

Und folgt man nun der diplomatischen Einleitung dieses Ereignisses von
1552, so liegt es nahe, diesen neuen Bund der Protestanten gegen den Kaiser
mit dem früheren von 1546 zu vergleichen. Wie anders verliefen jetzt die
Dinge! Daß eine starke Hand jetzt die protestantische Sache führe, zeigt sich
auf Schritt und Tritt. Vorsichtig geschahen die ersten Anknüpfungen mit den
anderen Protestanten. Allmälig und langsam wand man sich durch die ent¬
gegenstehenden Hindernisse und Bedenken hindurch. Viele wollten davon nichts


Das feinste aber war. wie er sich Karl selbst gegenüber verhielt. Immer
noch war er Karl's ergebenster Diener, der die Aufträge der kaiserlichen Politik
ausführte. Trotz der Differenzen in der kirchlichen Angelegenheit, welche 1550
deutlich herausgetreten waren, übernahm es gerade damals Moritz, einen
Strafauftrag des Kaisers gegen das protestantische Magdeburg zu vollstrecken.
Als kaiserlicher Hauptmann zog er zu Feld. Aber ihm war es Gelegenheit
und Vorwand, ein Heer unter seinen Fahnen zu sammeln. das er ohne Ver¬
dacht zu erregen für jede Kriegsthat bereit halten konnte. Und daß er
Achtung gebietend inmitten der Gegensätze stand und mit beiden Seiten zu¬
gleich eine Zeitlang verhandeln konnte, das war die Stellung, die seinem
eigenen Charakter sehr wohl entsprach und für jeden Fall ihn sicher stellen
mußte. Erst als auf protestantischer Seite sich alles das Verwirrte und Feind¬
liche löste, da erst ließ er nach und nach die Maske fallen: ganz offen
erklärte er sich erst, als er schon zum Ueberfalle auf den Kaiser unter¬
wegs war.

Was ist es eigentlich, das den Kurfürsten zu dieser Erhebung gegen den
Kaiser bewogen? Man hat in sehr scharfsinniger Erörterung und Zergliederung
seiner Motive gemeint, die Besorgniß durch einen neuen protestantischen Auf¬
stand um die Früchte seiner früheren Thaten gebracht zu werden, habe ihn
vermocht, sich dem Aufstande anzuschließen, um nicht durch ihn zu verlieren.
Ich gebe zu, daß dies Motiv sich nachweisen läßt. Aber es ist nicht die
Hauptsache. Oder würde Moritz seine sächsische Stellung nicht auch haben
befestigen, ja noch erweitern können, wenn er als wachsamer Vorposten auf
die Symptome der Empörung geachtet und als Vorkämpfer der kaiserlichen
Politik sie bekämpft hätte? Nein, neben den particulären Interessen wirkte auch
auf ihn das allgemeine Princip. Gegen die gewaltsame Regierung Karl's V.
hatte er als Kurfürst mehrfach angekämpft; der Verfassungsänderung wie
Karl V. sie beabsichtigt, hatte er sich widersetzt; dem spanischen Successions-
projecte trat er in den Weg und dem Protestantismus seines Landes ge¬
stattete er zuletzt immer lauteren Ausdruck. Ich meine, jene privaten Ange¬
legenheiten hätte er sehr wohl aus kaiserlicher Seite zu ordnen vermocht: der
principielle Gegensatz, der Protestantismus ist es, der ihm seine Stelle anwies,
für den er 1552 eintrat.

Und folgt man nun der diplomatischen Einleitung dieses Ereignisses von
1552, so liegt es nahe, diesen neuen Bund der Protestanten gegen den Kaiser
mit dem früheren von 1546 zu vergleichen. Wie anders verliefen jetzt die
Dinge! Daß eine starke Hand jetzt die protestantische Sache führe, zeigt sich
auf Schritt und Tritt. Vorsichtig geschahen die ersten Anknüpfungen mit den
anderen Protestanten. Allmälig und langsam wand man sich durch die ent¬
gegenstehenden Hindernisse und Bedenken hindurch. Viele wollten davon nichts


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[0466] Das feinste aber war. wie er sich Karl selbst gegenüber verhielt. Immer noch war er Karl's ergebenster Diener, der die Aufträge der kaiserlichen Politik ausführte. Trotz der Differenzen in der kirchlichen Angelegenheit, welche 1550 deutlich herausgetreten waren, übernahm es gerade damals Moritz, einen Strafauftrag des Kaisers gegen das protestantische Magdeburg zu vollstrecken. Als kaiserlicher Hauptmann zog er zu Feld. Aber ihm war es Gelegenheit und Vorwand, ein Heer unter seinen Fahnen zu sammeln. das er ohne Ver¬ dacht zu erregen für jede Kriegsthat bereit halten konnte. Und daß er Achtung gebietend inmitten der Gegensätze stand und mit beiden Seiten zu¬ gleich eine Zeitlang verhandeln konnte, das war die Stellung, die seinem eigenen Charakter sehr wohl entsprach und für jeden Fall ihn sicher stellen mußte. Erst als auf protestantischer Seite sich alles das Verwirrte und Feind¬ liche löste, da erst ließ er nach und nach die Maske fallen: ganz offen erklärte er sich erst, als er schon zum Ueberfalle auf den Kaiser unter¬ wegs war. Was ist es eigentlich, das den Kurfürsten zu dieser Erhebung gegen den Kaiser bewogen? Man hat in sehr scharfsinniger Erörterung und Zergliederung seiner Motive gemeint, die Besorgniß durch einen neuen protestantischen Auf¬ stand um die Früchte seiner früheren Thaten gebracht zu werden, habe ihn vermocht, sich dem Aufstande anzuschließen, um nicht durch ihn zu verlieren. Ich gebe zu, daß dies Motiv sich nachweisen läßt. Aber es ist nicht die Hauptsache. Oder würde Moritz seine sächsische Stellung nicht auch haben befestigen, ja noch erweitern können, wenn er als wachsamer Vorposten auf die Symptome der Empörung geachtet und als Vorkämpfer der kaiserlichen Politik sie bekämpft hätte? Nein, neben den particulären Interessen wirkte auch auf ihn das allgemeine Princip. Gegen die gewaltsame Regierung Karl's V. hatte er als Kurfürst mehrfach angekämpft; der Verfassungsänderung wie Karl V. sie beabsichtigt, hatte er sich widersetzt; dem spanischen Successions- projecte trat er in den Weg und dem Protestantismus seines Landes ge¬ stattete er zuletzt immer lauteren Ausdruck. Ich meine, jene privaten Ange¬ legenheiten hätte er sehr wohl aus kaiserlicher Seite zu ordnen vermocht: der principielle Gegensatz, der Protestantismus ist es, der ihm seine Stelle anwies, für den er 1552 eintrat. Und folgt man nun der diplomatischen Einleitung dieses Ereignisses von 1552, so liegt es nahe, diesen neuen Bund der Protestanten gegen den Kaiser mit dem früheren von 1546 zu vergleichen. Wie anders verliefen jetzt die Dinge! Daß eine starke Hand jetzt die protestantische Sache führe, zeigt sich auf Schritt und Tritt. Vorsichtig geschahen die ersten Anknüpfungen mit den anderen Protestanten. Allmälig und langsam wand man sich durch die ent¬ gegenstehenden Hindernisse und Bedenken hindurch. Viele wollten davon nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/466>, abgerufen am 22.07.2024.