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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Er war jetzt noch weniger der Meinung als früher, daß der Protestan¬
tismus aufgegeben werden könne. Sehr bestimmt und sehr deutlich nahm er'
das als die principielle Basis seines Thuns. Einst, 1546, war es ihm nicht
möglich gewesen, zum Schutze desselben mit bewaffneter Macht den anderen
Protestanten sich zuzugefellen: der Gegensatz gegen Johann Friedrich, der
eigene politische Ehrgeiz hatte ihn davon abgehalten. Und die Macht, die
reale Macht, die er anstrebte, hatte ihm damals gefehlt. Eben durch seinen
Anschluß an den Kaiser war ihm diese reale Macht erst zu Theil geworden.
Jetzt hatte er sie in der Hand, -- jetzt konnte er anders auftreten. Und seine
Macht wie seinen Kopf stellte er jetzt in den Dienst der protestantischen Sache.

Freilich auch diesmal verband sich ihm das allgemeine mit einem persön¬
lichen Interesse. So lange er sich mit den Ernestinern nicht verglichen, drohte
eine protestantische Erhebung die Errungenschaft des früheren Krieges ihm zu
entreißen. Nach dieser Seite bedürfte er einer Garantie von den Ernestinern
selbst und von den anderen protestantischen Fürsten. Was ihm auf dieser
Seite half, war die in keinem Augenblicke ganz abgebrochene Beziehung zu
dem Schwiegervater und den Schwägern in Hessen. Er ließ es sich angelegen
sein, Landgraf Philipp aus der Haft zu befreien. Alle seine Vorstellungen
halfen beim Kaiser nichts, aber sie befestigten doch seine Verbindung mit
Hessen. Und die hessischen Minister sind es darauf gewesen, welche ihm bei
den anderen Protestanten das Wort geredet haben. Großem Mißtrauen be¬
gegneten zuerst seine Eröffnungen. Nach dem Vorgange von 1546 erwartete
man von ihm nichts gutes. Erst nach und nach wich der Verdacht, nach und
nach ordnete man seiner Führung sich unter.

Es hatte sich schon ein Bündniß einzelner norddeutscher Fürsten gegen
den Kaiser gebildet. Die Pläne des Kurfürsten Moritz mit dieser protestan¬
tischen Defensionspartei zu verbinden, war eine schwierige Sache. Für die
gemeinsamen Aufgaben die Allianz der Franzosen zu gewinnen, war Moritz
leichter. Er übersah die europäische Gegenstellung der großen Mächte; er
wußte wo und wie Hülse gegen Karl zu finden war. Die Ungeschicklichkeit
und Unbehülflichkeit der Schmalkaldener besaß er nicht: so benutzte er die
Chancen des französischen Angriffes auf den Kaiser zu seinem deutschen
Unternehmen.

Und noch an ganz anderer Stelle wußte er einen Verbündeten zu suchen,
-- den eigenen Bruder Karl's. König Ferdinand. Durch das Project, seinem
spanischen Sohne Philipp die Nachfolge im deutschen Kaiserthum zuzuwenden,
hatte Karl sich seinen Bruder entfremdet. Offen trat natürlich Ferdinand
nicht auf, aber Moritz wußte genug von dem Verhältnisse der Brüder, er
stand Ferdinand nahe genug, um unter gewissen Verhältnissen auch auf ihn
rechnen zu können.


Gnnzs'oder IV. 1872, 58

Er war jetzt noch weniger der Meinung als früher, daß der Protestan¬
tismus aufgegeben werden könne. Sehr bestimmt und sehr deutlich nahm er'
das als die principielle Basis seines Thuns. Einst, 1546, war es ihm nicht
möglich gewesen, zum Schutze desselben mit bewaffneter Macht den anderen
Protestanten sich zuzugefellen: der Gegensatz gegen Johann Friedrich, der
eigene politische Ehrgeiz hatte ihn davon abgehalten. Und die Macht, die
reale Macht, die er anstrebte, hatte ihm damals gefehlt. Eben durch seinen
Anschluß an den Kaiser war ihm diese reale Macht erst zu Theil geworden.
Jetzt hatte er sie in der Hand, — jetzt konnte er anders auftreten. Und seine
Macht wie seinen Kopf stellte er jetzt in den Dienst der protestantischen Sache.

Freilich auch diesmal verband sich ihm das allgemeine mit einem persön¬
lichen Interesse. So lange er sich mit den Ernestinern nicht verglichen, drohte
eine protestantische Erhebung die Errungenschaft des früheren Krieges ihm zu
entreißen. Nach dieser Seite bedürfte er einer Garantie von den Ernestinern
selbst und von den anderen protestantischen Fürsten. Was ihm auf dieser
Seite half, war die in keinem Augenblicke ganz abgebrochene Beziehung zu
dem Schwiegervater und den Schwägern in Hessen. Er ließ es sich angelegen
sein, Landgraf Philipp aus der Haft zu befreien. Alle seine Vorstellungen
halfen beim Kaiser nichts, aber sie befestigten doch seine Verbindung mit
Hessen. Und die hessischen Minister sind es darauf gewesen, welche ihm bei
den anderen Protestanten das Wort geredet haben. Großem Mißtrauen be¬
gegneten zuerst seine Eröffnungen. Nach dem Vorgange von 1546 erwartete
man von ihm nichts gutes. Erst nach und nach wich der Verdacht, nach und
nach ordnete man seiner Führung sich unter.

Es hatte sich schon ein Bündniß einzelner norddeutscher Fürsten gegen
den Kaiser gebildet. Die Pläne des Kurfürsten Moritz mit dieser protestan¬
tischen Defensionspartei zu verbinden, war eine schwierige Sache. Für die
gemeinsamen Aufgaben die Allianz der Franzosen zu gewinnen, war Moritz
leichter. Er übersah die europäische Gegenstellung der großen Mächte; er
wußte wo und wie Hülse gegen Karl zu finden war. Die Ungeschicklichkeit
und Unbehülflichkeit der Schmalkaldener besaß er nicht: so benutzte er die
Chancen des französischen Angriffes auf den Kaiser zu seinem deutschen
Unternehmen.

Und noch an ganz anderer Stelle wußte er einen Verbündeten zu suchen,
— den eigenen Bruder Karl's. König Ferdinand. Durch das Project, seinem
spanischen Sohne Philipp die Nachfolge im deutschen Kaiserthum zuzuwenden,
hatte Karl sich seinen Bruder entfremdet. Offen trat natürlich Ferdinand
nicht auf, aber Moritz wußte genug von dem Verhältnisse der Brüder, er
stand Ferdinand nahe genug, um unter gewissen Verhältnissen auch auf ihn
rechnen zu können.


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[0465] Er war jetzt noch weniger der Meinung als früher, daß der Protestan¬ tismus aufgegeben werden könne. Sehr bestimmt und sehr deutlich nahm er' das als die principielle Basis seines Thuns. Einst, 1546, war es ihm nicht möglich gewesen, zum Schutze desselben mit bewaffneter Macht den anderen Protestanten sich zuzugefellen: der Gegensatz gegen Johann Friedrich, der eigene politische Ehrgeiz hatte ihn davon abgehalten. Und die Macht, die reale Macht, die er anstrebte, hatte ihm damals gefehlt. Eben durch seinen Anschluß an den Kaiser war ihm diese reale Macht erst zu Theil geworden. Jetzt hatte er sie in der Hand, — jetzt konnte er anders auftreten. Und seine Macht wie seinen Kopf stellte er jetzt in den Dienst der protestantischen Sache. Freilich auch diesmal verband sich ihm das allgemeine mit einem persön¬ lichen Interesse. So lange er sich mit den Ernestinern nicht verglichen, drohte eine protestantische Erhebung die Errungenschaft des früheren Krieges ihm zu entreißen. Nach dieser Seite bedürfte er einer Garantie von den Ernestinern selbst und von den anderen protestantischen Fürsten. Was ihm auf dieser Seite half, war die in keinem Augenblicke ganz abgebrochene Beziehung zu dem Schwiegervater und den Schwägern in Hessen. Er ließ es sich angelegen sein, Landgraf Philipp aus der Haft zu befreien. Alle seine Vorstellungen halfen beim Kaiser nichts, aber sie befestigten doch seine Verbindung mit Hessen. Und die hessischen Minister sind es darauf gewesen, welche ihm bei den anderen Protestanten das Wort geredet haben. Großem Mißtrauen be¬ gegneten zuerst seine Eröffnungen. Nach dem Vorgange von 1546 erwartete man von ihm nichts gutes. Erst nach und nach wich der Verdacht, nach und nach ordnete man seiner Führung sich unter. Es hatte sich schon ein Bündniß einzelner norddeutscher Fürsten gegen den Kaiser gebildet. Die Pläne des Kurfürsten Moritz mit dieser protestan¬ tischen Defensionspartei zu verbinden, war eine schwierige Sache. Für die gemeinsamen Aufgaben die Allianz der Franzosen zu gewinnen, war Moritz leichter. Er übersah die europäische Gegenstellung der großen Mächte; er wußte wo und wie Hülse gegen Karl zu finden war. Die Ungeschicklichkeit und Unbehülflichkeit der Schmalkaldener besaß er nicht: so benutzte er die Chancen des französischen Angriffes auf den Kaiser zu seinem deutschen Unternehmen. Und noch an ganz anderer Stelle wußte er einen Verbündeten zu suchen, — den eigenen Bruder Karl's. König Ferdinand. Durch das Project, seinem spanischen Sohne Philipp die Nachfolge im deutschen Kaiserthum zuzuwenden, hatte Karl sich seinen Bruder entfremdet. Offen trat natürlich Ferdinand nicht auf, aber Moritz wußte genug von dem Verhältnisse der Brüder, er stand Ferdinand nahe genug, um unter gewissen Verhältnissen auch auf ihn rechnen zu können. Gnnzs'oder IV. 1872, 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/465>, abgerufen am 22.07.2024.