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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Kräftig und saftig, oft cynisch ist Sprache und Ausdruck, -- man merkt es
bald, daß man es nicht mit einem trockenen Geschäftsmanne oder mit einem
blos rechnenden Politiker, sondern auch mit einem Manne von lebhaftem
Temperament und stürmischem Blute zu thun hat.

Das Verhältniß zur Gemahlin blieb äußerlich ohne Störung. Sehr jung
war der Ehebund geschlossen; ein geistiges Band scheint aber niemals vor¬
handen gewesen zu sein. Die Herzogin begleitete ihn nicht auf seinen ver¬
schiedenen Zügen und Reisen Sie ließ ihm alle Freiheit, die er nur wünschte.
Sie hatten eine Tochter, die nachher des berühmten Oraniers Gattin ge¬
worden ist.

In seinem Dienste arbeiteten Räthe nicht ohne eigene Erfahrung und
eigene Bedeutung. In die wahren Gedanken des Herrn war keiner von ihnen
eingeweiht: sie erhielten ihre Aufgaben zugetheilt: niemals übersahen sie das
ganze Feld, auf dem Moritz agirte. Zwar schrieb Karlowitz sich das Verdienst
zu, Moritz zum Kurfürsten erhoben zu haben: sehr empfindlich brachte es ihm
Moritz zum Bewußtsein, wie wenig ihm im Grunde an seinem Minister lag.
Es ist eine Scene uns überliefert, die mir wie in photographischem Bilde den
Fürsten und sein Treiben firirt zu haben scheint. Als gerade eine der wich¬
tigsten Entscheidungen zwischen Kaiser und Kurfürst bevorstand, als man in
Spannung der Antwort des Kaisers auf die Fürbitte für die Freilassung des
Landgrafen entgegensah, da wollte Moritz von der Bühne sich entfernen, ein
schönes Weibsbild in München zu seinem Vergnügen zu besuchen. Wie er
eben den Schlitten bestieg, stürzte Karlowitz ihm nach, ihn bittend und be¬
schwörend, zu dem wichtigen Staatsgeschäfte zu bleiben. Darauf aber achtete
Moritz nicht: "ich will nach München fahren", war die einzige Antwort, die
dem Minister zu Theil wurde. Und als jener nun auf offener Straße zu
schimpfen und zu schelten begann, trieb Moritz sein Pferd zum Lauf an, --
und ließ jenen in seinem ohnmächtigen Zorne da stehen und reden! Das ist
eine Probe, wie Moritz seinem persönlichen Lebensgenuß mitten in den größten
Staatsgeschäften nachging -- auch ein Beispiel von der selbstbewußten Ironie
und gleichgültigen Sicherheit, mit der er selbständig seinen Weg ging. Er
glaubte es selbst zu wissen, wann er zu scherzen und zu spielen, wann er zu
arbeiten und zu handeln hatte.

Und gab er sich damals, im ersten Besitze der Kur und der bedeutenden
ihm gewordenen Stellung im Reiche, dem Genusse und den Freuden des
Lebens hin, -- auch in jener Zeit hielt er die Augen geöffnet und achtete
auf die Anzeichen des politischen Wetters. Als es ihm klar wurde, daß eine
neue Erhebung gegen Karl's Absolutismus und Reactionspolitik im deutschen
Volke sich regte, da warf auch er sich wieder in eine Thätigkeit hinein, die seine
Action kühn und umsichtig für die neue Situation zurichtete.


Kräftig und saftig, oft cynisch ist Sprache und Ausdruck, — man merkt es
bald, daß man es nicht mit einem trockenen Geschäftsmanne oder mit einem
blos rechnenden Politiker, sondern auch mit einem Manne von lebhaftem
Temperament und stürmischem Blute zu thun hat.

Das Verhältniß zur Gemahlin blieb äußerlich ohne Störung. Sehr jung
war der Ehebund geschlossen; ein geistiges Band scheint aber niemals vor¬
handen gewesen zu sein. Die Herzogin begleitete ihn nicht auf seinen ver¬
schiedenen Zügen und Reisen Sie ließ ihm alle Freiheit, die er nur wünschte.
Sie hatten eine Tochter, die nachher des berühmten Oraniers Gattin ge¬
worden ist.

In seinem Dienste arbeiteten Räthe nicht ohne eigene Erfahrung und
eigene Bedeutung. In die wahren Gedanken des Herrn war keiner von ihnen
eingeweiht: sie erhielten ihre Aufgaben zugetheilt: niemals übersahen sie das
ganze Feld, auf dem Moritz agirte. Zwar schrieb Karlowitz sich das Verdienst
zu, Moritz zum Kurfürsten erhoben zu haben: sehr empfindlich brachte es ihm
Moritz zum Bewußtsein, wie wenig ihm im Grunde an seinem Minister lag.
Es ist eine Scene uns überliefert, die mir wie in photographischem Bilde den
Fürsten und sein Treiben firirt zu haben scheint. Als gerade eine der wich¬
tigsten Entscheidungen zwischen Kaiser und Kurfürst bevorstand, als man in
Spannung der Antwort des Kaisers auf die Fürbitte für die Freilassung des
Landgrafen entgegensah, da wollte Moritz von der Bühne sich entfernen, ein
schönes Weibsbild in München zu seinem Vergnügen zu besuchen. Wie er
eben den Schlitten bestieg, stürzte Karlowitz ihm nach, ihn bittend und be¬
schwörend, zu dem wichtigen Staatsgeschäfte zu bleiben. Darauf aber achtete
Moritz nicht: „ich will nach München fahren", war die einzige Antwort, die
dem Minister zu Theil wurde. Und als jener nun auf offener Straße zu
schimpfen und zu schelten begann, trieb Moritz sein Pferd zum Lauf an, —
und ließ jenen in seinem ohnmächtigen Zorne da stehen und reden! Das ist
eine Probe, wie Moritz seinem persönlichen Lebensgenuß mitten in den größten
Staatsgeschäften nachging — auch ein Beispiel von der selbstbewußten Ironie
und gleichgültigen Sicherheit, mit der er selbständig seinen Weg ging. Er
glaubte es selbst zu wissen, wann er zu scherzen und zu spielen, wann er zu
arbeiten und zu handeln hatte.

Und gab er sich damals, im ersten Besitze der Kur und der bedeutenden
ihm gewordenen Stellung im Reiche, dem Genusse und den Freuden des
Lebens hin, — auch in jener Zeit hielt er die Augen geöffnet und achtete
auf die Anzeichen des politischen Wetters. Als es ihm klar wurde, daß eine
neue Erhebung gegen Karl's Absolutismus und Reactionspolitik im deutschen
Volke sich regte, da warf auch er sich wieder in eine Thätigkeit hinein, die seine
Action kühn und umsichtig für die neue Situation zurichtete.


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[0464] Kräftig und saftig, oft cynisch ist Sprache und Ausdruck, — man merkt es bald, daß man es nicht mit einem trockenen Geschäftsmanne oder mit einem blos rechnenden Politiker, sondern auch mit einem Manne von lebhaftem Temperament und stürmischem Blute zu thun hat. Das Verhältniß zur Gemahlin blieb äußerlich ohne Störung. Sehr jung war der Ehebund geschlossen; ein geistiges Band scheint aber niemals vor¬ handen gewesen zu sein. Die Herzogin begleitete ihn nicht auf seinen ver¬ schiedenen Zügen und Reisen Sie ließ ihm alle Freiheit, die er nur wünschte. Sie hatten eine Tochter, die nachher des berühmten Oraniers Gattin ge¬ worden ist. In seinem Dienste arbeiteten Räthe nicht ohne eigene Erfahrung und eigene Bedeutung. In die wahren Gedanken des Herrn war keiner von ihnen eingeweiht: sie erhielten ihre Aufgaben zugetheilt: niemals übersahen sie das ganze Feld, auf dem Moritz agirte. Zwar schrieb Karlowitz sich das Verdienst zu, Moritz zum Kurfürsten erhoben zu haben: sehr empfindlich brachte es ihm Moritz zum Bewußtsein, wie wenig ihm im Grunde an seinem Minister lag. Es ist eine Scene uns überliefert, die mir wie in photographischem Bilde den Fürsten und sein Treiben firirt zu haben scheint. Als gerade eine der wich¬ tigsten Entscheidungen zwischen Kaiser und Kurfürst bevorstand, als man in Spannung der Antwort des Kaisers auf die Fürbitte für die Freilassung des Landgrafen entgegensah, da wollte Moritz von der Bühne sich entfernen, ein schönes Weibsbild in München zu seinem Vergnügen zu besuchen. Wie er eben den Schlitten bestieg, stürzte Karlowitz ihm nach, ihn bittend und be¬ schwörend, zu dem wichtigen Staatsgeschäfte zu bleiben. Darauf aber achtete Moritz nicht: „ich will nach München fahren", war die einzige Antwort, die dem Minister zu Theil wurde. Und als jener nun auf offener Straße zu schimpfen und zu schelten begann, trieb Moritz sein Pferd zum Lauf an, — und ließ jenen in seinem ohnmächtigen Zorne da stehen und reden! Das ist eine Probe, wie Moritz seinem persönlichen Lebensgenuß mitten in den größten Staatsgeschäften nachging — auch ein Beispiel von der selbstbewußten Ironie und gleichgültigen Sicherheit, mit der er selbständig seinen Weg ging. Er glaubte es selbst zu wissen, wann er zu scherzen und zu spielen, wann er zu arbeiten und zu handeln hatte. Und gab er sich damals, im ersten Besitze der Kur und der bedeutenden ihm gewordenen Stellung im Reiche, dem Genusse und den Freuden des Lebens hin, — auch in jener Zeit hielt er die Augen geöffnet und achtete auf die Anzeichen des politischen Wetters. Als es ihm klar wurde, daß eine neue Erhebung gegen Karl's Absolutismus und Reactionspolitik im deutschen Volke sich regte, da warf auch er sich wieder in eine Thätigkeit hinein, die seine Action kühn und umsichtig für die neue Situation zurichtete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/464>, abgerufen am 22.07.2024.