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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ein Musterbild der physischen Vollkommenheit verschiedener Racen, Er hatte
von Negern das gekräuselte Haar und die vollen Lippen, auf welche das
europäische Element ein feines, geistreiches Lächeln gelegt hatte, von der süd¬
lichen Race hatte er die Lebhaftigkeit der Geberde und Rede, von der Race
des Nordens den soliden Bau und die breiten Schultern. Es war eine
Taille, welche jede Nebenbuhlerschaft zittern ließ, ein russischer Leibgardist mit
französischer Grazie."

Obwohl Dumas der Typus eines Faiseurs in der Literatur war, hatte
er doch in Wahrheit große Gaben. Sein Gedächtniß und seine Erfindungs¬
kraft waren gleich gewaltig, seine Raschheit im Auffassen und Produciren
suchten Ihresgleichen. Aber diese Eruberanz, welche seinem literarischen Schaffen
so sehr günstig war, wurde seinen pecuniciren Verhältnissen verhängnißvoll.
Er war ein heilloser Verschwender. Kein Romandichter, der sich vorsetzt, einen
recht gründlichen Vertilger seines Besitzes zu malen, wird je ein Wesen er¬
schaffen, welches in diesem Fache mehr leistet als Dumas Pore. Eine kleine
Geschichte, die Villemessant uns von ihm erzählt, schildert ihn in dieser Eigen¬
schaft besser als alle lange und sorgfältige Beschreibung.

Eines Tages ging er zu dem Buchhändler Millaud und sagte, er brauche
dreitausend Francs, die jener ihm' Conto eines demnächst zu liefernden Ro¬
manes geben müsse. Millaud willigte ein, doch unter der Bedingung, daß
Dumas sich in sein Cabinet einschließen lasse und ihm da die beiden ersten
Capitel des Werkes schreibe. In drei Stunden waren die Capitel fertig und
Millaud befreite seinen Gefangnen. Dieser aber verlangte sofort noch fünf¬
undzwanzig Louis; denn er hatte von den dreitausend Francs nichts mehr
übrig als zwei Goldstücke. Wie hatte er's aber fertig gebracht, den Rest zu
verthun? Millaud's Cabinet hatte eine kleine Hinterthür, und die hatte er
abzuschließen vergessen. Dumas war hinausgeschlüpft, gewiß nicht auf lange,
denn dafür bürgte der Haufen beschriebener Blätter, den er abgeliefert, dennoch
hatte er's möglich gemacht, in dieser kurzen Zeit so viel Geld los zu werden.
Ein ander Mal hielt er vor einer befreundeten Thür an, um sich hundert
Francs zu leihen. Als er das Haus verließ, bewunderte er einen Topf mit
Essiggurken, die ihm sein Freund dann zum Geschenk machte. Das Dienst¬
mädchen trug ihm den Topf in seine Droschke hinab, und Dumas gab ihr
die hundert Francs als Trinkgeld. Der Reichthum des Hauses Rothschild
hätte sich vor Gewohnheiten dieser Art nicht zusammenhalten lassen, und so
geschah es denn auch, daß Dumas, als er starb, nicht mehr als zwanzig
Francs hinterließ -- er, der durch sein Talent und seine unverwüstliche
Arbeitskraft Millionen verdient hatte.

Das letzte Porträt in Villemessant's Galerie ist das des Grafen von
Chambord. Das Capitel von ihm ist eine sehr curiose Illustration von dem.


ein Musterbild der physischen Vollkommenheit verschiedener Racen, Er hatte
von Negern das gekräuselte Haar und die vollen Lippen, auf welche das
europäische Element ein feines, geistreiches Lächeln gelegt hatte, von der süd¬
lichen Race hatte er die Lebhaftigkeit der Geberde und Rede, von der Race
des Nordens den soliden Bau und die breiten Schultern. Es war eine
Taille, welche jede Nebenbuhlerschaft zittern ließ, ein russischer Leibgardist mit
französischer Grazie."

Obwohl Dumas der Typus eines Faiseurs in der Literatur war, hatte
er doch in Wahrheit große Gaben. Sein Gedächtniß und seine Erfindungs¬
kraft waren gleich gewaltig, seine Raschheit im Auffassen und Produciren
suchten Ihresgleichen. Aber diese Eruberanz, welche seinem literarischen Schaffen
so sehr günstig war, wurde seinen pecuniciren Verhältnissen verhängnißvoll.
Er war ein heilloser Verschwender. Kein Romandichter, der sich vorsetzt, einen
recht gründlichen Vertilger seines Besitzes zu malen, wird je ein Wesen er¬
schaffen, welches in diesem Fache mehr leistet als Dumas Pore. Eine kleine
Geschichte, die Villemessant uns von ihm erzählt, schildert ihn in dieser Eigen¬
schaft besser als alle lange und sorgfältige Beschreibung.

Eines Tages ging er zu dem Buchhändler Millaud und sagte, er brauche
dreitausend Francs, die jener ihm' Conto eines demnächst zu liefernden Ro¬
manes geben müsse. Millaud willigte ein, doch unter der Bedingung, daß
Dumas sich in sein Cabinet einschließen lasse und ihm da die beiden ersten
Capitel des Werkes schreibe. In drei Stunden waren die Capitel fertig und
Millaud befreite seinen Gefangnen. Dieser aber verlangte sofort noch fünf¬
undzwanzig Louis; denn er hatte von den dreitausend Francs nichts mehr
übrig als zwei Goldstücke. Wie hatte er's aber fertig gebracht, den Rest zu
verthun? Millaud's Cabinet hatte eine kleine Hinterthür, und die hatte er
abzuschließen vergessen. Dumas war hinausgeschlüpft, gewiß nicht auf lange,
denn dafür bürgte der Haufen beschriebener Blätter, den er abgeliefert, dennoch
hatte er's möglich gemacht, in dieser kurzen Zeit so viel Geld los zu werden.
Ein ander Mal hielt er vor einer befreundeten Thür an, um sich hundert
Francs zu leihen. Als er das Haus verließ, bewunderte er einen Topf mit
Essiggurken, die ihm sein Freund dann zum Geschenk machte. Das Dienst¬
mädchen trug ihm den Topf in seine Droschke hinab, und Dumas gab ihr
die hundert Francs als Trinkgeld. Der Reichthum des Hauses Rothschild
hätte sich vor Gewohnheiten dieser Art nicht zusammenhalten lassen, und so
geschah es denn auch, daß Dumas, als er starb, nicht mehr als zwanzig
Francs hinterließ — er, der durch sein Talent und seine unverwüstliche
Arbeitskraft Millionen verdient hatte.

Das letzte Porträt in Villemessant's Galerie ist das des Grafen von
Chambord. Das Capitel von ihm ist eine sehr curiose Illustration von dem.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/438>, abgerufen am 22.07.2024.