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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Dieben und Gaunern gegründet und verwaltet wären, und sandte ihm seine
Note zurück. Aber der Cure schrieb wieder, dankte ihm sehr für seine Mit¬
theilung und bat schließlich, infolge derselben -- blos fünfhundert Francs in
kalifornischen Papieren anzulegen. Das Geld lag richtig dabei. Nichts kann
den Eifer dessen dämpfen, der sich vorgenommen hat, von der oder jener Sorte
Actien zu kaufen, selbst die überzeugendste Belehrung nicht, daß er werthloses
Papier kauft, und Mllemefsant hat am Ende nicht sehr unrecht, wenn er den
Satz aufstellt: "l'^etiormairs est naturöllement 6ikpos6 g, ig, perte." Wir
finden davon in seiner Schrift ein Beispiel in der Person eines Herrn de
Nougon, der als Actionair an der Wochenschrift "Oabinet as leeturs" sich
daran gewöhnt hatte, bei jeder Generalversammlung Nachzahlungen zu leisten.
Endlich aber begab sich's, daß die Actionaire endlich einmal eine Dividende
bekamen, und jetzt ging es in Folge dieser unerhofften Umwälzung lang ein¬
gewurzelter Gewohnheiten im Kopfe Nougon's so durcheinander, daß er sich
zu Bett legen mußte und an seinem Glücke starb.

Nestor Roqueplan hatte gleich manchem andern Theaterdirector ein Grauen
vor dem Durchlesen oder Anhören von Bühnenstücken, die bei ihm eingereicht
wurden, und in seinem Fall war dieses Gefühl so unüberwindlich stark, daß
er nicht einmal Werken von Autoren mit allgemein anerkannten Witz und
Geschmack sein Ohr zu leihen im Stande war. Als Siraudin und Duma-
noir ihre "Vendetta" geschrieben hatten, konnten sie Roqueplan durchaus nicht
dazu kriegen, daß er sich das Stück vorlesen ließ. Da hörten sie eines Tages,
daß er sich bei Auteuil herumtriebe, gingen hin, um sich ihn zu fangen, und
fanden ihn in seinem Garten unter einem großen Baume, wo er fest einge¬
schlafen war. Nicht weit davon war eine Schaukel. Sie nahmen den Strick
davon und banden ihn an den Baum. Natürlich wachte er dabei auf, und
indem er die beiden Poeten vor sich stehen sah, begriff er sofort seine Lage.
"Weiß schon, was Ihr vorhabt", sagte er, "Ihr wollt mir Euer Dings da
vorlesen." Und das thaten sie denn auch. Gelassen verübten sie das ganze
Stück an ihm, worauf Siraudin, der mit Papier und Dinte versehen ausge¬
rüstet war, ihn den Ankaufscontract unterschreiben ließ, zu welchem Zwecke
sie ihm den rechten Arm losbanden. Das Stück hatte sehr großen Erfolg,
und Roqueplan pflegte nach dieser Zeit zu behaupten, daß er es freiwillig
gelesen.

Ein charakteristischer Zug von Roqueplan könnte mit Vortheil von einigen
unsrer Zeitgenossen in Deutschland nachgeahmt werden, z, B, in den Direc-
tionszimmern gewisser berliner Theater. Er hatte die größte Achtung und
Verehrung vor der Reinheit der französischen Sprache und war sofort mit
einer Correctur bei der Hand, wenn seine Freunde gemeine Worte oder un-
gebührliche Abkürzungen sich gestatteten.


Dieben und Gaunern gegründet und verwaltet wären, und sandte ihm seine
Note zurück. Aber der Cure schrieb wieder, dankte ihm sehr für seine Mit¬
theilung und bat schließlich, infolge derselben — blos fünfhundert Francs in
kalifornischen Papieren anzulegen. Das Geld lag richtig dabei. Nichts kann
den Eifer dessen dämpfen, der sich vorgenommen hat, von der oder jener Sorte
Actien zu kaufen, selbst die überzeugendste Belehrung nicht, daß er werthloses
Papier kauft, und Mllemefsant hat am Ende nicht sehr unrecht, wenn er den
Satz aufstellt: „l'^etiormairs est naturöllement 6ikpos6 g, ig, perte." Wir
finden davon in seiner Schrift ein Beispiel in der Person eines Herrn de
Nougon, der als Actionair an der Wochenschrift „Oabinet as leeturs" sich
daran gewöhnt hatte, bei jeder Generalversammlung Nachzahlungen zu leisten.
Endlich aber begab sich's, daß die Actionaire endlich einmal eine Dividende
bekamen, und jetzt ging es in Folge dieser unerhofften Umwälzung lang ein¬
gewurzelter Gewohnheiten im Kopfe Nougon's so durcheinander, daß er sich
zu Bett legen mußte und an seinem Glücke starb.

Nestor Roqueplan hatte gleich manchem andern Theaterdirector ein Grauen
vor dem Durchlesen oder Anhören von Bühnenstücken, die bei ihm eingereicht
wurden, und in seinem Fall war dieses Gefühl so unüberwindlich stark, daß
er nicht einmal Werken von Autoren mit allgemein anerkannten Witz und
Geschmack sein Ohr zu leihen im Stande war. Als Siraudin und Duma-
noir ihre „Vendetta" geschrieben hatten, konnten sie Roqueplan durchaus nicht
dazu kriegen, daß er sich das Stück vorlesen ließ. Da hörten sie eines Tages,
daß er sich bei Auteuil herumtriebe, gingen hin, um sich ihn zu fangen, und
fanden ihn in seinem Garten unter einem großen Baume, wo er fest einge¬
schlafen war. Nicht weit davon war eine Schaukel. Sie nahmen den Strick
davon und banden ihn an den Baum. Natürlich wachte er dabei auf, und
indem er die beiden Poeten vor sich stehen sah, begriff er sofort seine Lage.
„Weiß schon, was Ihr vorhabt", sagte er, „Ihr wollt mir Euer Dings da
vorlesen." Und das thaten sie denn auch. Gelassen verübten sie das ganze
Stück an ihm, worauf Siraudin, der mit Papier und Dinte versehen ausge¬
rüstet war, ihn den Ankaufscontract unterschreiben ließ, zu welchem Zwecke
sie ihm den rechten Arm losbanden. Das Stück hatte sehr großen Erfolg,
und Roqueplan pflegte nach dieser Zeit zu behaupten, daß er es freiwillig
gelesen.

Ein charakteristischer Zug von Roqueplan könnte mit Vortheil von einigen
unsrer Zeitgenossen in Deutschland nachgeahmt werden, z, B, in den Direc-
tionszimmern gewisser berliner Theater. Er hatte die größte Achtung und
Verehrung vor der Reinheit der französischen Sprache und war sofort mit
einer Correctur bei der Hand, wenn seine Freunde gemeine Worte oder un-
gebührliche Abkürzungen sich gestatteten.


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[0436] Dieben und Gaunern gegründet und verwaltet wären, und sandte ihm seine Note zurück. Aber der Cure schrieb wieder, dankte ihm sehr für seine Mit¬ theilung und bat schließlich, infolge derselben — blos fünfhundert Francs in kalifornischen Papieren anzulegen. Das Geld lag richtig dabei. Nichts kann den Eifer dessen dämpfen, der sich vorgenommen hat, von der oder jener Sorte Actien zu kaufen, selbst die überzeugendste Belehrung nicht, daß er werthloses Papier kauft, und Mllemefsant hat am Ende nicht sehr unrecht, wenn er den Satz aufstellt: „l'^etiormairs est naturöllement 6ikpos6 g, ig, perte." Wir finden davon in seiner Schrift ein Beispiel in der Person eines Herrn de Nougon, der als Actionair an der Wochenschrift „Oabinet as leeturs" sich daran gewöhnt hatte, bei jeder Generalversammlung Nachzahlungen zu leisten. Endlich aber begab sich's, daß die Actionaire endlich einmal eine Dividende bekamen, und jetzt ging es in Folge dieser unerhofften Umwälzung lang ein¬ gewurzelter Gewohnheiten im Kopfe Nougon's so durcheinander, daß er sich zu Bett legen mußte und an seinem Glücke starb. Nestor Roqueplan hatte gleich manchem andern Theaterdirector ein Grauen vor dem Durchlesen oder Anhören von Bühnenstücken, die bei ihm eingereicht wurden, und in seinem Fall war dieses Gefühl so unüberwindlich stark, daß er nicht einmal Werken von Autoren mit allgemein anerkannten Witz und Geschmack sein Ohr zu leihen im Stande war. Als Siraudin und Duma- noir ihre „Vendetta" geschrieben hatten, konnten sie Roqueplan durchaus nicht dazu kriegen, daß er sich das Stück vorlesen ließ. Da hörten sie eines Tages, daß er sich bei Auteuil herumtriebe, gingen hin, um sich ihn zu fangen, und fanden ihn in seinem Garten unter einem großen Baume, wo er fest einge¬ schlafen war. Nicht weit davon war eine Schaukel. Sie nahmen den Strick davon und banden ihn an den Baum. Natürlich wachte er dabei auf, und indem er die beiden Poeten vor sich stehen sah, begriff er sofort seine Lage. „Weiß schon, was Ihr vorhabt", sagte er, „Ihr wollt mir Euer Dings da vorlesen." Und das thaten sie denn auch. Gelassen verübten sie das ganze Stück an ihm, worauf Siraudin, der mit Papier und Dinte versehen ausge¬ rüstet war, ihn den Ankaufscontract unterschreiben ließ, zu welchem Zwecke sie ihm den rechten Arm losbanden. Das Stück hatte sehr großen Erfolg, und Roqueplan pflegte nach dieser Zeit zu behaupten, daß er es freiwillig gelesen. Ein charakteristischer Zug von Roqueplan könnte mit Vortheil von einigen unsrer Zeitgenossen in Deutschland nachgeahmt werden, z, B, in den Direc- tionszimmern gewisser berliner Theater. Er hatte die größte Achtung und Verehrung vor der Reinheit der französischen Sprache und war sofort mit einer Correctur bei der Hand, wenn seine Freunde gemeine Worte oder un- gebührliche Abkürzungen sich gestatteten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/436>, abgerufen am 22.07.2024.