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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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glänzenden Triumphwagen, den die Gesellschaft der Schriftsteller uns herge¬
richtet hat, die Straßen der Stadt durchziehen werden."

"Ja, aber welche Beziehung hat das auf mich?" fragte die Engländerin
ängstlich.

"Eine sehr natürliche Beziehung, mein Fräulein. Wenn Ihnen erlaubt
würde, bei dieser rührenden Kundgebung mitzuwirken, so würden Sie sich ge¬
wissermaßen mit allen berühmten Männern Frankreichs in Verbindung setzen.
Von Stund an würden Sie für keinen dieser Herren mehr eine Unbekannte sein,
und da Ihr Name mit denen dieser Sommitäten von den Journalen genannt
werden würde, die über dieses Fest Bericht erstatten werden, so könnte ich" --

Um es kurz zu machen, die unglückselige Dame bestieg, wenn wir Herrn
de Villemessant glauben dürfen, als olympische Gottheit gekleidet, den Wagen
der Reclame-Macher, und zwar in der vollen Ueberzeugung, daß die aufge¬
putzten Leute um sie lauter literarische Celebritäten seien, und daß ihr zugleich
mit dem Sitz unter oder vielmehr über ihnen eine große Ehre angethan wor¬
den sei. Solar hatte die Vorsicht gebraucht, neben sie einen Mitverschwornen
zu setzen, der etwas englisch sprach und so ihre Fragen beantworten konnte,
und da sie kein Wort Französisch redete und verstand, so blieb sie vollkommen
in ihrer Täuschung. "Niemals hätte ich," so bemerkte sie am nächsten Mor¬
gen gegen Solar, "mir gedacht, daß alle diese großen Männer so lustig und
natürlich wären. Meyerbeer und Balzac thaten auf dem ganzen Wege weiter
nichts, als daß sie Brod und Wurst verspeisten, und was Scribe und Victor
Hugo betrifft, so ließen sie den Wagen vor jeder Weinschenke halten."

Wir erfahren noch, daß die leichtgläubige Engländerin niemals über ihren
Irrthum aufgeklärt wurde, und der Autor der Memoiren versichert uns, daß
die Geschichte durchaus keine Erfindung enthält.

Recht ergötzlich sind einige Seiten des Buches, die von einer Manie
handeln, welche man als die chronische Krankheit unseres Zeitalters bezeichnen
kann. Wir meinen, die Einfalt, mit der man sich durch Zeichnungen bei
Speculationen betheiligt, von denen man nicht das Allermindeste versteht.
Dorfpfarrer und andere Leute, die gar keinen Begriff von Geschäften
haben, wollen und müssen durchaus ihr Geld in californischen Gesellschaf¬
ten, Actien halb oder ganz fauler amerikanischer Eisenbahnen oder ähnlichen
waghalsigen Unternehmungen anlegen. Lillemessant giebt uns einen kurzen
Briefwechsel, den er meist mit einen, wackern Priester geführt hat, und der
ein gutes Beispiel für diese Art Bethörtheit ist. Der geistliche Herr
schickte sechs Francs als Subscription auf das Blatt "Chronique" ein und
legte zugleich eine Banknote von tausend Francs bei, die Herr de Villemessant
nach Gutdünken in californischen Bergwerksactien anlegen sollte. Der Empfän¬
ger seines Briefes antwortete ihm, daß die betreffenden Gesellschaften von


glänzenden Triumphwagen, den die Gesellschaft der Schriftsteller uns herge¬
richtet hat, die Straßen der Stadt durchziehen werden."

„Ja, aber welche Beziehung hat das auf mich?" fragte die Engländerin
ängstlich.

„Eine sehr natürliche Beziehung, mein Fräulein. Wenn Ihnen erlaubt
würde, bei dieser rührenden Kundgebung mitzuwirken, so würden Sie sich ge¬
wissermaßen mit allen berühmten Männern Frankreichs in Verbindung setzen.
Von Stund an würden Sie für keinen dieser Herren mehr eine Unbekannte sein,
und da Ihr Name mit denen dieser Sommitäten von den Journalen genannt
werden würde, die über dieses Fest Bericht erstatten werden, so könnte ich" —

Um es kurz zu machen, die unglückselige Dame bestieg, wenn wir Herrn
de Villemessant glauben dürfen, als olympische Gottheit gekleidet, den Wagen
der Reclame-Macher, und zwar in der vollen Ueberzeugung, daß die aufge¬
putzten Leute um sie lauter literarische Celebritäten seien, und daß ihr zugleich
mit dem Sitz unter oder vielmehr über ihnen eine große Ehre angethan wor¬
den sei. Solar hatte die Vorsicht gebraucht, neben sie einen Mitverschwornen
zu setzen, der etwas englisch sprach und so ihre Fragen beantworten konnte,
und da sie kein Wort Französisch redete und verstand, so blieb sie vollkommen
in ihrer Täuschung. „Niemals hätte ich," so bemerkte sie am nächsten Mor¬
gen gegen Solar, „mir gedacht, daß alle diese großen Männer so lustig und
natürlich wären. Meyerbeer und Balzac thaten auf dem ganzen Wege weiter
nichts, als daß sie Brod und Wurst verspeisten, und was Scribe und Victor
Hugo betrifft, so ließen sie den Wagen vor jeder Weinschenke halten."

Wir erfahren noch, daß die leichtgläubige Engländerin niemals über ihren
Irrthum aufgeklärt wurde, und der Autor der Memoiren versichert uns, daß
die Geschichte durchaus keine Erfindung enthält.

Recht ergötzlich sind einige Seiten des Buches, die von einer Manie
handeln, welche man als die chronische Krankheit unseres Zeitalters bezeichnen
kann. Wir meinen, die Einfalt, mit der man sich durch Zeichnungen bei
Speculationen betheiligt, von denen man nicht das Allermindeste versteht.
Dorfpfarrer und andere Leute, die gar keinen Begriff von Geschäften
haben, wollen und müssen durchaus ihr Geld in californischen Gesellschaf¬
ten, Actien halb oder ganz fauler amerikanischer Eisenbahnen oder ähnlichen
waghalsigen Unternehmungen anlegen. Lillemessant giebt uns einen kurzen
Briefwechsel, den er meist mit einen, wackern Priester geführt hat, und der
ein gutes Beispiel für diese Art Bethörtheit ist. Der geistliche Herr
schickte sechs Francs als Subscription auf das Blatt „Chronique" ein und
legte zugleich eine Banknote von tausend Francs bei, die Herr de Villemessant
nach Gutdünken in californischen Bergwerksactien anlegen sollte. Der Empfän¬
ger seines Briefes antwortete ihm, daß die betreffenden Gesellschaften von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/435>, abgerufen am 22.07.2024.