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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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In der ersten längeren Aeußerung des neuen Ministers vor der Budget¬
commission des Abgeordnetenhauses kam der Ausspruch vor: die Einheit
Deutschlands werde nur durch Blut und Eisen hergestellt werden. Niemals
hat das Wort eines Staatsmannes wohl einen größeren Aufruhr hervorge¬
rufen. Die wenigen, sehr wenigen Leute, die damals kaltes Blut besaßen,
wurden an jene Novelle erinnert, wo ein junger Mensch, durch Intrigue in
ein Irrenhaus gelockt, ohne seinen Aufenthalt zu erkennen, sich einige Zeit im
Unterhaltungszimmer der Anstalt bewegt und dann plötzlich in die sonderbare
Gesellschaft den Ausruf hinausschleudert: ich bin in einem Irrenhause! wodurch
die verschiedenartigsten Aeußerungen des Unwillens und eine allgemeine Pro¬
testation hervorgerufen werden. Wer damals nicht in der Phrase befangen
war -- aber freilich, wie viel gab es solcher, die es nicht waren? -- konnte
bei dem Ausspruch des Ministers höchstens den Ort und die Unumwundenheit
auffallend finden, aber die Richtigkeit war im Grunde so selbstverständlich,
daß sie den Ausspruch unnöthig erscheinen ließ. Wie in aller Welt hätte
denn Deutschland einig werden sollen? Sind jemals mächtige Herrschafts¬
stellungen durch Complimente beseitigt, sind jemals Staaten durch Resolutio¬
nen errichtet worden? Und "doch welcher Aufruhr! Man toastete auf Eisen
und Kohle, als die Bringer der deutschen Einheit. Aber Eisen und Kohle
verbinden ganz Europa durch Locomotiven und Schienenwege; sie können bald
Europa, Asien und Afrika verbinden, aber der Universalstaat, der so weit
reicht, als die Continuität der Schienenwege, ist noch nicht einmal der Traum
eines Müßigen geworden. Ein gutes Schienennetz wird sicher die Einheit
eines Staates befördern, wenn sie schon da ist, oder wenn andere mächtige
Factoren die noch nicht vorhandene begründen. Aber Eisen und Kohle an
sich als Bringer der Einheit zu feiern, dazu gehört jene traumseltge Unklar¬
heit, welche so oft und so lange öffentliches Unglück über Deutschland ge¬
bracht hat.

Wir wollen nicht fortfahren, den Contrast zwischen heute und vor zehn
Jahren auszumalen, soweit es sich um die Persönlichkeit handelt, auf welche
der Contrast sich am stärksten reflectirt. Wir möchten uns lieber daran erin¬
nern, was Deutschland vor zehn Jahren war, und was es heute ist. Damals
trostlos zerrissen, die gesunden Gedanken über das künftige nationale Gemein¬
wesen in dem überhandnehmenden Hader der Parteien erstickt und wie es schien
für immer zu Grunde gehend, die althabsburgische und die altbourbonische
Tradition, die letztere unter dem zweiten Bonaparte, zum Schaden Deutschlands
neu erblühend, nirgend ein Ausweg, als jener trostlose wie ihn der Ausgang
des 16. Jahrhunderts sah, die Zeichen einer aufreibenden Krise ohne andere
Lösung, als die allgemeine Ermattung. So standen wir vor zehn Jahren.
Heute haben wir die Gefahr zu vermeiden, durch den Glanz und die Stärke
5.' ' ,


In der ersten längeren Aeußerung des neuen Ministers vor der Budget¬
commission des Abgeordnetenhauses kam der Ausspruch vor: die Einheit
Deutschlands werde nur durch Blut und Eisen hergestellt werden. Niemals
hat das Wort eines Staatsmannes wohl einen größeren Aufruhr hervorge¬
rufen. Die wenigen, sehr wenigen Leute, die damals kaltes Blut besaßen,
wurden an jene Novelle erinnert, wo ein junger Mensch, durch Intrigue in
ein Irrenhaus gelockt, ohne seinen Aufenthalt zu erkennen, sich einige Zeit im
Unterhaltungszimmer der Anstalt bewegt und dann plötzlich in die sonderbare
Gesellschaft den Ausruf hinausschleudert: ich bin in einem Irrenhause! wodurch
die verschiedenartigsten Aeußerungen des Unwillens und eine allgemeine Pro¬
testation hervorgerufen werden. Wer damals nicht in der Phrase befangen
war — aber freilich, wie viel gab es solcher, die es nicht waren? — konnte
bei dem Ausspruch des Ministers höchstens den Ort und die Unumwundenheit
auffallend finden, aber die Richtigkeit war im Grunde so selbstverständlich,
daß sie den Ausspruch unnöthig erscheinen ließ. Wie in aller Welt hätte
denn Deutschland einig werden sollen? Sind jemals mächtige Herrschafts¬
stellungen durch Complimente beseitigt, sind jemals Staaten durch Resolutio¬
nen errichtet worden? Und "doch welcher Aufruhr! Man toastete auf Eisen
und Kohle, als die Bringer der deutschen Einheit. Aber Eisen und Kohle
verbinden ganz Europa durch Locomotiven und Schienenwege; sie können bald
Europa, Asien und Afrika verbinden, aber der Universalstaat, der so weit
reicht, als die Continuität der Schienenwege, ist noch nicht einmal der Traum
eines Müßigen geworden. Ein gutes Schienennetz wird sicher die Einheit
eines Staates befördern, wenn sie schon da ist, oder wenn andere mächtige
Factoren die noch nicht vorhandene begründen. Aber Eisen und Kohle an
sich als Bringer der Einheit zu feiern, dazu gehört jene traumseltge Unklar¬
heit, welche so oft und so lange öffentliches Unglück über Deutschland ge¬
bracht hat.

Wir wollen nicht fortfahren, den Contrast zwischen heute und vor zehn
Jahren auszumalen, soweit es sich um die Persönlichkeit handelt, auf welche
der Contrast sich am stärksten reflectirt. Wir möchten uns lieber daran erin¬
nern, was Deutschland vor zehn Jahren war, und was es heute ist. Damals
trostlos zerrissen, die gesunden Gedanken über das künftige nationale Gemein¬
wesen in dem überhandnehmenden Hader der Parteien erstickt und wie es schien
für immer zu Grunde gehend, die althabsburgische und die altbourbonische
Tradition, die letztere unter dem zweiten Bonaparte, zum Schaden Deutschlands
neu erblühend, nirgend ein Ausweg, als jener trostlose wie ihn der Ausgang
des 16. Jahrhunderts sah, die Zeichen einer aufreibenden Krise ohne andere
Lösung, als die allgemeine Ermattung. So standen wir vor zehn Jahren.
Heute haben wir die Gefahr zu vermeiden, durch den Glanz und die Stärke
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[0043] In der ersten längeren Aeußerung des neuen Ministers vor der Budget¬ commission des Abgeordnetenhauses kam der Ausspruch vor: die Einheit Deutschlands werde nur durch Blut und Eisen hergestellt werden. Niemals hat das Wort eines Staatsmannes wohl einen größeren Aufruhr hervorge¬ rufen. Die wenigen, sehr wenigen Leute, die damals kaltes Blut besaßen, wurden an jene Novelle erinnert, wo ein junger Mensch, durch Intrigue in ein Irrenhaus gelockt, ohne seinen Aufenthalt zu erkennen, sich einige Zeit im Unterhaltungszimmer der Anstalt bewegt und dann plötzlich in die sonderbare Gesellschaft den Ausruf hinausschleudert: ich bin in einem Irrenhause! wodurch die verschiedenartigsten Aeußerungen des Unwillens und eine allgemeine Pro¬ testation hervorgerufen werden. Wer damals nicht in der Phrase befangen war — aber freilich, wie viel gab es solcher, die es nicht waren? — konnte bei dem Ausspruch des Ministers höchstens den Ort und die Unumwundenheit auffallend finden, aber die Richtigkeit war im Grunde so selbstverständlich, daß sie den Ausspruch unnöthig erscheinen ließ. Wie in aller Welt hätte denn Deutschland einig werden sollen? Sind jemals mächtige Herrschafts¬ stellungen durch Complimente beseitigt, sind jemals Staaten durch Resolutio¬ nen errichtet worden? Und "doch welcher Aufruhr! Man toastete auf Eisen und Kohle, als die Bringer der deutschen Einheit. Aber Eisen und Kohle verbinden ganz Europa durch Locomotiven und Schienenwege; sie können bald Europa, Asien und Afrika verbinden, aber der Universalstaat, der so weit reicht, als die Continuität der Schienenwege, ist noch nicht einmal der Traum eines Müßigen geworden. Ein gutes Schienennetz wird sicher die Einheit eines Staates befördern, wenn sie schon da ist, oder wenn andere mächtige Factoren die noch nicht vorhandene begründen. Aber Eisen und Kohle an sich als Bringer der Einheit zu feiern, dazu gehört jene traumseltge Unklar¬ heit, welche so oft und so lange öffentliches Unglück über Deutschland ge¬ bracht hat. Wir wollen nicht fortfahren, den Contrast zwischen heute und vor zehn Jahren auszumalen, soweit es sich um die Persönlichkeit handelt, auf welche der Contrast sich am stärksten reflectirt. Wir möchten uns lieber daran erin¬ nern, was Deutschland vor zehn Jahren war, und was es heute ist. Damals trostlos zerrissen, die gesunden Gedanken über das künftige nationale Gemein¬ wesen in dem überhandnehmenden Hader der Parteien erstickt und wie es schien für immer zu Grunde gehend, die althabsburgische und die altbourbonische Tradition, die letztere unter dem zweiten Bonaparte, zum Schaden Deutschlands neu erblühend, nirgend ein Ausweg, als jener trostlose wie ihn der Ausgang des 16. Jahrhunderts sah, die Zeichen einer aufreibenden Krise ohne andere Lösung, als die allgemeine Ermattung. So standen wir vor zehn Jahren. Heute haben wir die Gefahr zu vermeiden, durch den Glanz und die Stärke 5.' ' ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/43>, abgerufen am 03.07.2024.