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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Dieser Umweg, auf dem wir bei unserm eigentlichen Thema angelangt sind,
ist uns nöthig erschienen, um alle, denen der Gegenstand an sich vielleicht eini¬
ges Interesse abgewinnt, ehe sie sich noch dazu verstehen können, ihn in seiner
Ausführung durch zwei Bände im einzelnen zu verfolgen, oder auch alle dieje¬
nigen, denen "Roß und Reiter", als der Titel eines Buches, verwunderlich vor¬
kommt, von vornherein auf den Standpunkt zu führen, von wo aus der Ge¬
nuß und die Beurtheilung des hier Gebotenen allein auszugehen hat. Denn
"Roß und Reirer" ist ein ächtes Stück deutscher Culturgeschichtschreibung im
Geiste Herder's -- obgleich Herder nie daran gedacht hat, die Beziehungen des
Thierlebens zu der Menschenwelt monographisch darzustellen, und ein wichtiger
Beitrag zur Kenntniß der deutschen Volksseele, als des würdigsten Objects
deutscher geschichtlicher Forschung.

So wenig nämlich auch Herder selbst gewillt war, der Culturgeschichte, deren
Begriff als Wissenschaft er gefunden, durch die naturgemäße Beziehung auf
die deutsche Volksseele ihre eigentlich fruchtbare und zukunftsreiche Basis zu
unterbreiten, fo hat er doch in seinen früheren Tagen und gelegentlich auch
in den gesunden Momenten seiner späteren Periode auch dafür den Anstoß
gegeben. Es wäre ungerechtfertigt, die neue Phase der germanistischen Stu¬
dien seit dem Anfang dieses Jahrhunderts unmittelbar auf den Anstoß Her¬
der's zurückzuführen, aber es darf bei einer tiefer eindringenden Analyse doch
auch nicht übersehen werden, wie viel befruchtende Keime von ihm aus gleich¬
sam gegen seinen Willen auf die Romantiker und durch diese mittelbar auf
die eigentlichen Schöpfer unserer Wissenschaft, die Grimm's und ihre ältesten
Genossen, geflogen sind.

Und in diesem Sinne ist auch unser "Roß und Reiter" eine Frucht des
Herder'schen Geistes, nicht nur so, daß der Begriff der Erforschung der Volks¬
seele, ohne welche auch dieses Buch nicht existiren würde, durch ihn geschaffen
worden, sondern auch in der besondern Beziehung auf das deutsche Wesen.
Die Vermittelung, die vielleicht dem Verfahren selbst als die nächste Quelle
seiner eigenen Anregung gilt, ist allerdings besser mit Händen zu greifen, so
zu sagen auf jeder Seite, in jedem Satze zu fassen, als jene entfernte und fast
verschüttete Lebensader, die uns Heutigen beinahe zur Mythe geworden ist,

Wie überall, wo wir einer lebendig beseelten Forschung im Bereiche des
nationalen Alterthums und der nationalen Züge des jetzigen Volksthums be¬
gegnen, ist es auch hier der Altmeister Jacob Grimm selbst, der als der eigent¬
liche Vater und Erzeuger sich kund giebt. Wir glauben, daß Niemand, er
möge noch so hohen Werth auf seine eigene Geisteskraft, seinen eigenen Fleiß
und sein eigenes Wissen legen, in diesem Ausspruch eine Beeinträchtigung
seines Verdienstes finden wird. Gewiß kommt dereinst eine Zeit, in der sich
die unmittelbare, persönlich wirkende Kraft jenes einzigen Heroen nationaler


Dieser Umweg, auf dem wir bei unserm eigentlichen Thema angelangt sind,
ist uns nöthig erschienen, um alle, denen der Gegenstand an sich vielleicht eini¬
ges Interesse abgewinnt, ehe sie sich noch dazu verstehen können, ihn in seiner
Ausführung durch zwei Bände im einzelnen zu verfolgen, oder auch alle dieje¬
nigen, denen „Roß und Reiter", als der Titel eines Buches, verwunderlich vor¬
kommt, von vornherein auf den Standpunkt zu führen, von wo aus der Ge¬
nuß und die Beurtheilung des hier Gebotenen allein auszugehen hat. Denn
„Roß und Reirer" ist ein ächtes Stück deutscher Culturgeschichtschreibung im
Geiste Herder's — obgleich Herder nie daran gedacht hat, die Beziehungen des
Thierlebens zu der Menschenwelt monographisch darzustellen, und ein wichtiger
Beitrag zur Kenntniß der deutschen Volksseele, als des würdigsten Objects
deutscher geschichtlicher Forschung.

So wenig nämlich auch Herder selbst gewillt war, der Culturgeschichte, deren
Begriff als Wissenschaft er gefunden, durch die naturgemäße Beziehung auf
die deutsche Volksseele ihre eigentlich fruchtbare und zukunftsreiche Basis zu
unterbreiten, fo hat er doch in seinen früheren Tagen und gelegentlich auch
in den gesunden Momenten seiner späteren Periode auch dafür den Anstoß
gegeben. Es wäre ungerechtfertigt, die neue Phase der germanistischen Stu¬
dien seit dem Anfang dieses Jahrhunderts unmittelbar auf den Anstoß Her¬
der's zurückzuführen, aber es darf bei einer tiefer eindringenden Analyse doch
auch nicht übersehen werden, wie viel befruchtende Keime von ihm aus gleich¬
sam gegen seinen Willen auf die Romantiker und durch diese mittelbar auf
die eigentlichen Schöpfer unserer Wissenschaft, die Grimm's und ihre ältesten
Genossen, geflogen sind.

Und in diesem Sinne ist auch unser „Roß und Reiter" eine Frucht des
Herder'schen Geistes, nicht nur so, daß der Begriff der Erforschung der Volks¬
seele, ohne welche auch dieses Buch nicht existiren würde, durch ihn geschaffen
worden, sondern auch in der besondern Beziehung auf das deutsche Wesen.
Die Vermittelung, die vielleicht dem Verfahren selbst als die nächste Quelle
seiner eigenen Anregung gilt, ist allerdings besser mit Händen zu greifen, so
zu sagen auf jeder Seite, in jedem Satze zu fassen, als jene entfernte und fast
verschüttete Lebensader, die uns Heutigen beinahe zur Mythe geworden ist,

Wie überall, wo wir einer lebendig beseelten Forschung im Bereiche des
nationalen Alterthums und der nationalen Züge des jetzigen Volksthums be¬
gegnen, ist es auch hier der Altmeister Jacob Grimm selbst, der als der eigent¬
liche Vater und Erzeuger sich kund giebt. Wir glauben, daß Niemand, er
möge noch so hohen Werth auf seine eigene Geisteskraft, seinen eigenen Fleiß
und sein eigenes Wissen legen, in diesem Ausspruch eine Beeinträchtigung
seines Verdienstes finden wird. Gewiß kommt dereinst eine Zeit, in der sich
die unmittelbare, persönlich wirkende Kraft jenes einzigen Heroen nationaler


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[0410] Dieser Umweg, auf dem wir bei unserm eigentlichen Thema angelangt sind, ist uns nöthig erschienen, um alle, denen der Gegenstand an sich vielleicht eini¬ ges Interesse abgewinnt, ehe sie sich noch dazu verstehen können, ihn in seiner Ausführung durch zwei Bände im einzelnen zu verfolgen, oder auch alle dieje¬ nigen, denen „Roß und Reiter", als der Titel eines Buches, verwunderlich vor¬ kommt, von vornherein auf den Standpunkt zu führen, von wo aus der Ge¬ nuß und die Beurtheilung des hier Gebotenen allein auszugehen hat. Denn „Roß und Reirer" ist ein ächtes Stück deutscher Culturgeschichtschreibung im Geiste Herder's — obgleich Herder nie daran gedacht hat, die Beziehungen des Thierlebens zu der Menschenwelt monographisch darzustellen, und ein wichtiger Beitrag zur Kenntniß der deutschen Volksseele, als des würdigsten Objects deutscher geschichtlicher Forschung. So wenig nämlich auch Herder selbst gewillt war, der Culturgeschichte, deren Begriff als Wissenschaft er gefunden, durch die naturgemäße Beziehung auf die deutsche Volksseele ihre eigentlich fruchtbare und zukunftsreiche Basis zu unterbreiten, fo hat er doch in seinen früheren Tagen und gelegentlich auch in den gesunden Momenten seiner späteren Periode auch dafür den Anstoß gegeben. Es wäre ungerechtfertigt, die neue Phase der germanistischen Stu¬ dien seit dem Anfang dieses Jahrhunderts unmittelbar auf den Anstoß Her¬ der's zurückzuführen, aber es darf bei einer tiefer eindringenden Analyse doch auch nicht übersehen werden, wie viel befruchtende Keime von ihm aus gleich¬ sam gegen seinen Willen auf die Romantiker und durch diese mittelbar auf die eigentlichen Schöpfer unserer Wissenschaft, die Grimm's und ihre ältesten Genossen, geflogen sind. Und in diesem Sinne ist auch unser „Roß und Reiter" eine Frucht des Herder'schen Geistes, nicht nur so, daß der Begriff der Erforschung der Volks¬ seele, ohne welche auch dieses Buch nicht existiren würde, durch ihn geschaffen worden, sondern auch in der besondern Beziehung auf das deutsche Wesen. Die Vermittelung, die vielleicht dem Verfahren selbst als die nächste Quelle seiner eigenen Anregung gilt, ist allerdings besser mit Händen zu greifen, so zu sagen auf jeder Seite, in jedem Satze zu fassen, als jene entfernte und fast verschüttete Lebensader, die uns Heutigen beinahe zur Mythe geworden ist, Wie überall, wo wir einer lebendig beseelten Forschung im Bereiche des nationalen Alterthums und der nationalen Züge des jetzigen Volksthums be¬ gegnen, ist es auch hier der Altmeister Jacob Grimm selbst, der als der eigent¬ liche Vater und Erzeuger sich kund giebt. Wir glauben, daß Niemand, er möge noch so hohen Werth auf seine eigene Geisteskraft, seinen eigenen Fleiß und sein eigenes Wissen legen, in diesem Ausspruch eine Beeinträchtigung seines Verdienstes finden wird. Gewiß kommt dereinst eine Zeit, in der sich die unmittelbare, persönlich wirkende Kraft jenes einzigen Heroen nationaler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/410>, abgerufen am 02.07.2024.