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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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und congenial fügt sich Bild an Wort. Unter den sinnigsten Gaben für
den Weihnachtsbaum wird diese illustrirte Ausgabe von Reichenau's "Aus
unsern vier Wänden", wie überhaupt alle Werke Rudolf Reichenau's, die wir
im Nachstehenden noch anführen, eine der ersten Rangstufen behaupten.

Denn zu dem ersten Bändchen Rudolf Reichenau's war mit den Jahren
noch ein zweites und drittes getreten, deren jedes abermals von dem deut¬
schen Publikum mit freudigem, mächtigem Beifall begrüßt wurde. Zwischen
dem Erscheinen jedes der früheren und des neuen Bändchens lagen Jahre;
Beweis genug, wie ernst und sorgfältig der Verfasser arbeitete, wie schwer
und mühsam der köstliche Humor, der auch in diesen neueren Werken "schlank
und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen" uns bezaubert, in der vorwiegend
ernsten Natur des Dichters zum Durchbruch und zur schriftlichen Fixirung
gelangte. "Ku aben und M abcd en", "Auswärts und Daheim" hießen
die Titel der neueren Arbeiten Reichenau's. Ihr Inhalt war von selbst ge¬
geben durch die im Einzelnen ewig wechselnde, im Ganzen ewig gleichbleibende
Entwickelung der menschlichen Natur aus dem süßen unbewußten Traum der
Kindheit zu dem stets klareren verantwortlichen Dasein heranwachsender und
großgewordener Menschenkinder. Vielfach ist Angesichts dieser neueren Arbeiten
Rudolf Reichenau's geäußert worden, das erste Werk sei von keinem der fol¬
genden erreicht worden. Wir meinen: jedes in seiner Weise ist mustergültig.
Und nur das wäre ein entschiedener Fehler der Werke gewesen, welche die
Spiel- und Lernjahre der Jugend bis zur Beendigung der Hochschulstudien
schildern, wenn der Verfasser auch bei ihnen nur die zarten duftigen Töne
seiner Schilderungen aus der ersten Kindheit hätte anwenden wollen. Denn
wie der Landschafter Mittel" und Vordergrund in markigeren Farben dar¬
stellen muß, als Luft und Ferne, so muß auch der Dichter die Spiel-, Lern-,
Flegel- und Wanderjahre junger Menschen kräftiger schildern, wenn das Ab¬
bild wahr sein soll, als die fernen Tage, wo das Mutterauge dem Kinde
noch allein Licht und Freude spendete.

Wiederum vergingen Jahre, ehe Reichen"" seine jungen Freunde, die
er in "Auswärts und Daheim" bis zum Gipfel der Erziehung geführt hatte,
auch die Pfade der Liebe wandeln ließ. Es geschah dies in seinem vierten
Bändchen "Liebesgeschichten". Niemand wird von Reichenau Liebesgeschichten
verlangen, die durch schwierige Schürzungen des Knotens recht verwirrt und
pikant gemacht sind, bei denen das blendende Farbenspiel einer bewegten
Handlung die Armuth an Charakterschilderung oder psychologischer Motivi-
rung verbergen soll. Im Gegentheil, Reichenau zeigt sich auch in seinen
"Liebesgeschichten" als der feine Beobachter und Schilderer des inneren stillen
Lebens im Menschen, als ein rechter Herzenskundiger. Auch Diejenigen, denen
es unter den "Knaben und Mädchen", Auswärts und Daheim" manchmal


und congenial fügt sich Bild an Wort. Unter den sinnigsten Gaben für
den Weihnachtsbaum wird diese illustrirte Ausgabe von Reichenau's „Aus
unsern vier Wänden", wie überhaupt alle Werke Rudolf Reichenau's, die wir
im Nachstehenden noch anführen, eine der ersten Rangstufen behaupten.

Denn zu dem ersten Bändchen Rudolf Reichenau's war mit den Jahren
noch ein zweites und drittes getreten, deren jedes abermals von dem deut¬
schen Publikum mit freudigem, mächtigem Beifall begrüßt wurde. Zwischen
dem Erscheinen jedes der früheren und des neuen Bändchens lagen Jahre;
Beweis genug, wie ernst und sorgfältig der Verfasser arbeitete, wie schwer
und mühsam der köstliche Humor, der auch in diesen neueren Werken „schlank
und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen" uns bezaubert, in der vorwiegend
ernsten Natur des Dichters zum Durchbruch und zur schriftlichen Fixirung
gelangte. „Ku aben und M abcd en", „Auswärts und Daheim" hießen
die Titel der neueren Arbeiten Reichenau's. Ihr Inhalt war von selbst ge¬
geben durch die im Einzelnen ewig wechselnde, im Ganzen ewig gleichbleibende
Entwickelung der menschlichen Natur aus dem süßen unbewußten Traum der
Kindheit zu dem stets klareren verantwortlichen Dasein heranwachsender und
großgewordener Menschenkinder. Vielfach ist Angesichts dieser neueren Arbeiten
Rudolf Reichenau's geäußert worden, das erste Werk sei von keinem der fol¬
genden erreicht worden. Wir meinen: jedes in seiner Weise ist mustergültig.
Und nur das wäre ein entschiedener Fehler der Werke gewesen, welche die
Spiel- und Lernjahre der Jugend bis zur Beendigung der Hochschulstudien
schildern, wenn der Verfasser auch bei ihnen nur die zarten duftigen Töne
seiner Schilderungen aus der ersten Kindheit hätte anwenden wollen. Denn
wie der Landschafter Mittel« und Vordergrund in markigeren Farben dar¬
stellen muß, als Luft und Ferne, so muß auch der Dichter die Spiel-, Lern-,
Flegel- und Wanderjahre junger Menschen kräftiger schildern, wenn das Ab¬
bild wahr sein soll, als die fernen Tage, wo das Mutterauge dem Kinde
noch allein Licht und Freude spendete.

Wiederum vergingen Jahre, ehe Reichen«» seine jungen Freunde, die
er in „Auswärts und Daheim" bis zum Gipfel der Erziehung geführt hatte,
auch die Pfade der Liebe wandeln ließ. Es geschah dies in seinem vierten
Bändchen „Liebesgeschichten". Niemand wird von Reichenau Liebesgeschichten
verlangen, die durch schwierige Schürzungen des Knotens recht verwirrt und
pikant gemacht sind, bei denen das blendende Farbenspiel einer bewegten
Handlung die Armuth an Charakterschilderung oder psychologischer Motivi-
rung verbergen soll. Im Gegentheil, Reichenau zeigt sich auch in seinen
„Liebesgeschichten" als der feine Beobachter und Schilderer des inneren stillen
Lebens im Menschen, als ein rechter Herzenskundiger. Auch Diejenigen, denen
es unter den „Knaben und Mädchen", Auswärts und Daheim" manchmal


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[0403] und congenial fügt sich Bild an Wort. Unter den sinnigsten Gaben für den Weihnachtsbaum wird diese illustrirte Ausgabe von Reichenau's „Aus unsern vier Wänden", wie überhaupt alle Werke Rudolf Reichenau's, die wir im Nachstehenden noch anführen, eine der ersten Rangstufen behaupten. Denn zu dem ersten Bändchen Rudolf Reichenau's war mit den Jahren noch ein zweites und drittes getreten, deren jedes abermals von dem deut¬ schen Publikum mit freudigem, mächtigem Beifall begrüßt wurde. Zwischen dem Erscheinen jedes der früheren und des neuen Bändchens lagen Jahre; Beweis genug, wie ernst und sorgfältig der Verfasser arbeitete, wie schwer und mühsam der köstliche Humor, der auch in diesen neueren Werken „schlank und leicht, wie aus dem Nichts gesprungen" uns bezaubert, in der vorwiegend ernsten Natur des Dichters zum Durchbruch und zur schriftlichen Fixirung gelangte. „Ku aben und M abcd en", „Auswärts und Daheim" hießen die Titel der neueren Arbeiten Reichenau's. Ihr Inhalt war von selbst ge¬ geben durch die im Einzelnen ewig wechselnde, im Ganzen ewig gleichbleibende Entwickelung der menschlichen Natur aus dem süßen unbewußten Traum der Kindheit zu dem stets klareren verantwortlichen Dasein heranwachsender und großgewordener Menschenkinder. Vielfach ist Angesichts dieser neueren Arbeiten Rudolf Reichenau's geäußert worden, das erste Werk sei von keinem der fol¬ genden erreicht worden. Wir meinen: jedes in seiner Weise ist mustergültig. Und nur das wäre ein entschiedener Fehler der Werke gewesen, welche die Spiel- und Lernjahre der Jugend bis zur Beendigung der Hochschulstudien schildern, wenn der Verfasser auch bei ihnen nur die zarten duftigen Töne seiner Schilderungen aus der ersten Kindheit hätte anwenden wollen. Denn wie der Landschafter Mittel« und Vordergrund in markigeren Farben dar¬ stellen muß, als Luft und Ferne, so muß auch der Dichter die Spiel-, Lern-, Flegel- und Wanderjahre junger Menschen kräftiger schildern, wenn das Ab¬ bild wahr sein soll, als die fernen Tage, wo das Mutterauge dem Kinde noch allein Licht und Freude spendete. Wiederum vergingen Jahre, ehe Reichen«» seine jungen Freunde, die er in „Auswärts und Daheim" bis zum Gipfel der Erziehung geführt hatte, auch die Pfade der Liebe wandeln ließ. Es geschah dies in seinem vierten Bändchen „Liebesgeschichten". Niemand wird von Reichenau Liebesgeschichten verlangen, die durch schwierige Schürzungen des Knotens recht verwirrt und pikant gemacht sind, bei denen das blendende Farbenspiel einer bewegten Handlung die Armuth an Charakterschilderung oder psychologischer Motivi- rung verbergen soll. Im Gegentheil, Reichenau zeigt sich auch in seinen „Liebesgeschichten" als der feine Beobachter und Schilderer des inneren stillen Lebens im Menschen, als ein rechter Herzenskundiger. Auch Diejenigen, denen es unter den „Knaben und Mädchen", Auswärts und Daheim" manchmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/403>, abgerufen am 02.07.2024.