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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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zu laut, unbändig und realistisch herging, wurden durch die "Liebesgeschichten"
Reichenau's wieder völlig befriedigt.

Nun, wieder nach Jahren des Schweigens, bietet uns Reichenau sein
neuestes Werkchen: "Am eigenen Herde. Aus den neuen vier Wänden." *)
Die Liebenden , welche in den "Liebesgeschichten" "sich endlich gekriegt"
haben, treten uns hier in dem Glück und Glanz ihrer jungen Häus¬
lichfeit entgegen. An Feinheit der Beobachtung, an Humor und an
Reinheit der Schilderung, steht dies Büchlein keinem der früheren nach.
An den tiefsten Gedanken und Beziehungen, die in der heitern Schreibart
des Verfassers hingeworfen sind, ist es vielleicht reicher, als irgend
eine seiner früheren Arbeiten. So kann das sehnsüchtige mächtige Hervor¬
brechen der Liebe zwischen der Mutter und der glücklich verheiratheten Tochter,
das Heimweh der jungen Frau nach dem mütterlichen Herd, die Sehnsucht
der Mutter nach einem Besuche des Kindes wohl kaum zarter und dennoch
freier von aller Sentimentalität geschildert werden, als in den Kapiteln "Die
junge Hausfrau", "Mutter und Tochter", "Im April". Daneben fehlt es
aber natürlich nicht an einer Menge der fröhlichsten und heitersten Abschnitte.
So sind die Bildungs- und Erziehungsmittel, welche eine Vorurtheilsfreie aber
langathmige Frau Nachbarin oder eine Kaffeegesellschaft einer jungen Frau
gewähren kann, auf das kostbarste geschildert. Und eine der reizendsten Mono¬
graphien der ganzen Sammlung bietet das Kapitel "Hausfrieden", das zwar
nur wie lueusg, von lueenäo so überschrieben zu werden verdient, aber uns dennoch
nicht etwa den Anfang des siebenjährigen Krieges des jungen Musterehepaares,
oder bei Nademacher's oder bei Alborn's erleben läßt, und uns daher keines¬
wegs mit Besorgnissen für den ferneren Familienfrieden oder über die Friedens¬
bedingungen erfüllt. Denn Hausfrieden und Hauskrieg wird in diesem Ab¬
schnitte nur in aiümg, piu von Hund und Katze aufgezeigt. Die Schilderung
der innersten Gemüthsbewegung der beiden Hausthiere, ihres Treibens, des easus
Kokil u. s. w. zeugt von bedeutenden diplomatisch-zoologischen Vorstudien des Ver¬
fassers. Aus dem Schlußkapitel, das natürlich "Taufe" überschrieben ist,
erfahren wir übrigens, daß unser Musterehepaar sich bereits vor dem Jahre
1848 seinen eigenen Herd gegründet hat, und so dürsten wir wohl -- wenn
auch freilich vielleicht wieder erst nach längerer Pause, noch mit einem Bänd¬
chen über das höhere Lebensalter von Rudolf Reichenau beschenkt werden,
welches naturgemäß dann eine der feinfühligster lebendigsten und werth¬
vollsten Dichtungen abschlösse, die über deutsches Familienleben jemals in
Prosa geschrieben worden sind.





-) Die genannten Werke Und. Reichenau's sind sämmtlich bei Fr. W. Grunow in
Leipzig erschienen.

zu laut, unbändig und realistisch herging, wurden durch die „Liebesgeschichten"
Reichenau's wieder völlig befriedigt.

Nun, wieder nach Jahren des Schweigens, bietet uns Reichenau sein
neuestes Werkchen: „Am eigenen Herde. Aus den neuen vier Wänden." *)
Die Liebenden , welche in den „Liebesgeschichten" „sich endlich gekriegt"
haben, treten uns hier in dem Glück und Glanz ihrer jungen Häus¬
lichfeit entgegen. An Feinheit der Beobachtung, an Humor und an
Reinheit der Schilderung, steht dies Büchlein keinem der früheren nach.
An den tiefsten Gedanken und Beziehungen, die in der heitern Schreibart
des Verfassers hingeworfen sind, ist es vielleicht reicher, als irgend
eine seiner früheren Arbeiten. So kann das sehnsüchtige mächtige Hervor¬
brechen der Liebe zwischen der Mutter und der glücklich verheiratheten Tochter,
das Heimweh der jungen Frau nach dem mütterlichen Herd, die Sehnsucht
der Mutter nach einem Besuche des Kindes wohl kaum zarter und dennoch
freier von aller Sentimentalität geschildert werden, als in den Kapiteln „Die
junge Hausfrau", „Mutter und Tochter", „Im April". Daneben fehlt es
aber natürlich nicht an einer Menge der fröhlichsten und heitersten Abschnitte.
So sind die Bildungs- und Erziehungsmittel, welche eine Vorurtheilsfreie aber
langathmige Frau Nachbarin oder eine Kaffeegesellschaft einer jungen Frau
gewähren kann, auf das kostbarste geschildert. Und eine der reizendsten Mono¬
graphien der ganzen Sammlung bietet das Kapitel „Hausfrieden", das zwar
nur wie lueusg, von lueenäo so überschrieben zu werden verdient, aber uns dennoch
nicht etwa den Anfang des siebenjährigen Krieges des jungen Musterehepaares,
oder bei Nademacher's oder bei Alborn's erleben läßt, und uns daher keines¬
wegs mit Besorgnissen für den ferneren Familienfrieden oder über die Friedens¬
bedingungen erfüllt. Denn Hausfrieden und Hauskrieg wird in diesem Ab¬
schnitte nur in aiümg, piu von Hund und Katze aufgezeigt. Die Schilderung
der innersten Gemüthsbewegung der beiden Hausthiere, ihres Treibens, des easus
Kokil u. s. w. zeugt von bedeutenden diplomatisch-zoologischen Vorstudien des Ver¬
fassers. Aus dem Schlußkapitel, das natürlich „Taufe" überschrieben ist,
erfahren wir übrigens, daß unser Musterehepaar sich bereits vor dem Jahre
1848 seinen eigenen Herd gegründet hat, und so dürsten wir wohl — wenn
auch freilich vielleicht wieder erst nach längerer Pause, noch mit einem Bänd¬
chen über das höhere Lebensalter von Rudolf Reichenau beschenkt werden,
welches naturgemäß dann eine der feinfühligster lebendigsten und werth¬
vollsten Dichtungen abschlösse, die über deutsches Familienleben jemals in
Prosa geschrieben worden sind.





-) Die genannten Werke Und. Reichenau's sind sämmtlich bei Fr. W. Grunow in
Leipzig erschienen.
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[0404] zu laut, unbändig und realistisch herging, wurden durch die „Liebesgeschichten" Reichenau's wieder völlig befriedigt. Nun, wieder nach Jahren des Schweigens, bietet uns Reichenau sein neuestes Werkchen: „Am eigenen Herde. Aus den neuen vier Wänden." *) Die Liebenden , welche in den „Liebesgeschichten" „sich endlich gekriegt" haben, treten uns hier in dem Glück und Glanz ihrer jungen Häus¬ lichfeit entgegen. An Feinheit der Beobachtung, an Humor und an Reinheit der Schilderung, steht dies Büchlein keinem der früheren nach. An den tiefsten Gedanken und Beziehungen, die in der heitern Schreibart des Verfassers hingeworfen sind, ist es vielleicht reicher, als irgend eine seiner früheren Arbeiten. So kann das sehnsüchtige mächtige Hervor¬ brechen der Liebe zwischen der Mutter und der glücklich verheiratheten Tochter, das Heimweh der jungen Frau nach dem mütterlichen Herd, die Sehnsucht der Mutter nach einem Besuche des Kindes wohl kaum zarter und dennoch freier von aller Sentimentalität geschildert werden, als in den Kapiteln „Die junge Hausfrau", „Mutter und Tochter", „Im April". Daneben fehlt es aber natürlich nicht an einer Menge der fröhlichsten und heitersten Abschnitte. So sind die Bildungs- und Erziehungsmittel, welche eine Vorurtheilsfreie aber langathmige Frau Nachbarin oder eine Kaffeegesellschaft einer jungen Frau gewähren kann, auf das kostbarste geschildert. Und eine der reizendsten Mono¬ graphien der ganzen Sammlung bietet das Kapitel „Hausfrieden", das zwar nur wie lueusg, von lueenäo so überschrieben zu werden verdient, aber uns dennoch nicht etwa den Anfang des siebenjährigen Krieges des jungen Musterehepaares, oder bei Nademacher's oder bei Alborn's erleben läßt, und uns daher keines¬ wegs mit Besorgnissen für den ferneren Familienfrieden oder über die Friedens¬ bedingungen erfüllt. Denn Hausfrieden und Hauskrieg wird in diesem Ab¬ schnitte nur in aiümg, piu von Hund und Katze aufgezeigt. Die Schilderung der innersten Gemüthsbewegung der beiden Hausthiere, ihres Treibens, des easus Kokil u. s. w. zeugt von bedeutenden diplomatisch-zoologischen Vorstudien des Ver¬ fassers. Aus dem Schlußkapitel, das natürlich „Taufe" überschrieben ist, erfahren wir übrigens, daß unser Musterehepaar sich bereits vor dem Jahre 1848 seinen eigenen Herd gegründet hat, und so dürsten wir wohl — wenn auch freilich vielleicht wieder erst nach längerer Pause, noch mit einem Bänd¬ chen über das höhere Lebensalter von Rudolf Reichenau beschenkt werden, welches naturgemäß dann eine der feinfühligster lebendigsten und werth¬ vollsten Dichtungen abschlösse, die über deutsches Familienleben jemals in Prosa geschrieben worden sind. -) Die genannten Werke Und. Reichenau's sind sämmtlich bei Fr. W. Grunow in Leipzig erschienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/404>, abgerufen am 30.06.2024.