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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Polly und er geben einander auf, sind aber ernstlich unglücklich; Thomasina
ist beleidigt, denn ihr Plan ist gescheitert. ,Ale läßt ihre Erdbeeren
mit Sahne stehen, streichelt des Vaters dünnes graues Haar, sagt mitleidig:
"armer Anthony!" und geht würdevoll zu Bett, ohne den Großeltern gute
Nacht zu wünschen. Zum Glück ist dieses mal Mrs. General Grey gleicher
Ansicht mit ihrer Großnichte, und wenn zwei Thomafina's dasselbe wollen,
kann selbst Sir Richard Bertram ihnen keinen langen Widerstand entgegen¬
setzen. Anthony darf seine Polly heimführen, muß aber seinerseits V erwalter
werden und Thomasina statt seiner als Sir Richard's Erbin anerkennen. Wie
trotzdem das gesunde, freundschaftliche Verhältniß zwischen dem Vater und der
Tochter sich fort erhält, wie Thomasina "Polly und ihre Buben" protegirt und die
Familie am Ende glücklich wieder unter das großväterliche Dach und in ihre
rechtmäßige Stellung zurückbugsirt, wie bitterlich Sir Richard, als er mit
zweiundachtzig Jahren das Zeitliche gesegnet, von seinem sechzigjährigen Erben
beweint wird -- das Alles ist, dem Anfang entsprechend, mit dem weiblichsten
wohlthuendsten Humor geschildert.

Von mehreren Bänden mit "Ltorios" sind zwei hervorzuheben: "Ilcnv
it ng.pr>onoä gnü otksr Ltoriös do Urs> ?arr" (vol. 22--23). Die Ver¬
fasserin liebt als Schauplatz via-worlä Mevs, wie die Engländer stille, kleine
Orte nennen, die nicht an den Schienenwegen der Neuzeit liegen und daher
in ihren Häusern wie in ihren Gewohnheiten noch einiges vom Altherkömm¬
lichen behalten haben. Und wenn Mrs. Parr ihre Geschichten nach London
oder in irgend eine der großen Manufakturstädte verlegt, so behandelt sie mit
Vorliebe out-morta xooxlo, unter denen es natürlich an "extraordinairen
Frauenzimmern" auch nicht fehlt. Alt-England hat Vorrath an dieser eoinmoäitv
dermaßen reichlich, daß es dem Continent sogar umsonst davon abgiebt. Die
beiden Exemplare, welche Mrs. Parr uns liefert, Miß Pamela Plummidge, ge¬
nannt 01ä-?am, "gigantisch an Leib und Geist", und Miß Sally Noggs in
eisengrauem Alpaca, "mit dem Auge eines Falken", sind jedem humoristischen
Leser dringendst anzuempfehlen.

Einen besondern Reiz haben- die schottischen Romane von Mrs. Oliphant.
Es liegt über ihnen eine Melancholie, welche das ganze Empfindungsleben,
ja, selbst was von Leidenschaft erscheint, zu einer gleichsam puritanischen Feier¬
lichkeit abdämpft. Die Vollendung dieser Darstellungsweise finden wir im
ersten Buche von ,,^.äa,in Al'g,öMö ok NossZrÄv" (vol. 31--32). In "Jto
I-aircl ok Uorlg,>v" (vol. 14--15) wird mit ergreifender Wahrheit die Herzens¬
tragödie einer schlichten, tüchtigen Hausfrau geschildert. Keine hinschmachtende
Liebesheldin kann so die Sympathie in Anspruch nehmen, wie die weder geist¬
volle, noch gebildete, noch poetische Martha Livingstone, die Mistreß, wie sie genannt
wird, die Frau des liebenswürdigen, aber charakterlosen Livingstone von Norlaw.
Ein Mädchen, welches sie nie mit Augen gesehen, hat ihre ganze Ehe in eine


Polly und er geben einander auf, sind aber ernstlich unglücklich; Thomasina
ist beleidigt, denn ihr Plan ist gescheitert. ,Ale läßt ihre Erdbeeren
mit Sahne stehen, streichelt des Vaters dünnes graues Haar, sagt mitleidig:
„armer Anthony!" und geht würdevoll zu Bett, ohne den Großeltern gute
Nacht zu wünschen. Zum Glück ist dieses mal Mrs. General Grey gleicher
Ansicht mit ihrer Großnichte, und wenn zwei Thomafina's dasselbe wollen,
kann selbst Sir Richard Bertram ihnen keinen langen Widerstand entgegen¬
setzen. Anthony darf seine Polly heimführen, muß aber seinerseits V erwalter
werden und Thomasina statt seiner als Sir Richard's Erbin anerkennen. Wie
trotzdem das gesunde, freundschaftliche Verhältniß zwischen dem Vater und der
Tochter sich fort erhält, wie Thomasina „Polly und ihre Buben" protegirt und die
Familie am Ende glücklich wieder unter das großväterliche Dach und in ihre
rechtmäßige Stellung zurückbugsirt, wie bitterlich Sir Richard, als er mit
zweiundachtzig Jahren das Zeitliche gesegnet, von seinem sechzigjährigen Erben
beweint wird — das Alles ist, dem Anfang entsprechend, mit dem weiblichsten
wohlthuendsten Humor geschildert.

Von mehreren Bänden mit „Ltorios" sind zwei hervorzuheben: „Ilcnv
it ng.pr>onoä gnü otksr Ltoriös do Urs> ?arr" (vol. 22—23). Die Ver¬
fasserin liebt als Schauplatz via-worlä Mevs, wie die Engländer stille, kleine
Orte nennen, die nicht an den Schienenwegen der Neuzeit liegen und daher
in ihren Häusern wie in ihren Gewohnheiten noch einiges vom Altherkömm¬
lichen behalten haben. Und wenn Mrs. Parr ihre Geschichten nach London
oder in irgend eine der großen Manufakturstädte verlegt, so behandelt sie mit
Vorliebe out-morta xooxlo, unter denen es natürlich an „extraordinairen
Frauenzimmern" auch nicht fehlt. Alt-England hat Vorrath an dieser eoinmoäitv
dermaßen reichlich, daß es dem Continent sogar umsonst davon abgiebt. Die
beiden Exemplare, welche Mrs. Parr uns liefert, Miß Pamela Plummidge, ge¬
nannt 01ä-?am, „gigantisch an Leib und Geist", und Miß Sally Noggs in
eisengrauem Alpaca, „mit dem Auge eines Falken", sind jedem humoristischen
Leser dringendst anzuempfehlen.

Einen besondern Reiz haben- die schottischen Romane von Mrs. Oliphant.
Es liegt über ihnen eine Melancholie, welche das ganze Empfindungsleben,
ja, selbst was von Leidenschaft erscheint, zu einer gleichsam puritanischen Feier¬
lichkeit abdämpft. Die Vollendung dieser Darstellungsweise finden wir im
ersten Buche von ,,^.äa,in Al'g,öMö ok NossZrÄv" (vol. 31—32). In „Jto
I-aircl ok Uorlg,>v" (vol. 14—15) wird mit ergreifender Wahrheit die Herzens¬
tragödie einer schlichten, tüchtigen Hausfrau geschildert. Keine hinschmachtende
Liebesheldin kann so die Sympathie in Anspruch nehmen, wie die weder geist¬
volle, noch gebildete, noch poetische Martha Livingstone, die Mistreß, wie sie genannt
wird, die Frau des liebenswürdigen, aber charakterlosen Livingstone von Norlaw.
Ein Mädchen, welches sie nie mit Augen gesehen, hat ihre ganze Ehe in eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/390>, abgerufen am 02.07.2024.