Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wer heißt denn Thomasina? -- O, seit fünf Generationen hat es stets einen
Thomas oder eine Thomasina in der Bertram'schen Familie gegeben, erläutert
Anthony Bertram, der Vater der neuen Thomasina, und alle die Thomastna's
sind bedeutende Frauenzimmer gewesen: seine liebe Schwester und seine liebe
Cousine, die beide todt sind; und seine Tante, die noch lebt, die Schwester
seines Baders, Mrs. General Grey, ist allerdings nicht ganz einnehmend --
sie hat es bei ihrem alten General so schwer gehabt und es sich dabei ange¬
wöhnt, unangenehm zu sein -- aber a remarkadls >poena" ist sie doch, und
endlich wünschen Sir Richard und Lady Bertram, daß ihr erstes Enkelkind
den traditionellen Familiennamen trage. Sobald die junge Frau hört, daß
Sir Richard und Lady Bertram es wünschen, läßt sie ohne weitere Widerrede
das Geschick des unglücklichen Namens über ihr kleines Mädchen ergehen.
Anthony ist ein Modellsohn; mit vierzig Jahren gehorcht er, wie mit vieren,
und zwar nicht blos für seine eigene Person, sondern auch im Namen seiner
Frau. Diese langweilt sich in ihrer schwiegertöchterlichen Nichteristenz langsam
zu Tode, was die Familie, Thomasina inbegriffen, sehr kühl aufnimmt. Ein
Kind, welches an einer kränkelnden, traurigen Mutter hängt, muß ein halber
Engel sein und das ist Thomasina nicht. Thomasina besteht vorläufig noch
gänzlich aus Eigenwillen und Egoismus, aber dabei hat sie gesunde Vernunft¬
instinkte, will endlich nicht immer so viel mit "großen Leuten", sondern mit
Gespielen ihres Alters verkehren und nebenbei etwas lernen. "Ich will Euch
etwas sagen, Anthony," sagt sie zu ihrem Vater, "ich will aufhören, Euch
so zu rufen und s, äuoe zu sein, nicht weil Tante Thomasina es wünscht,
sondern weil ich es wünsche." Sie weiß auch gleich, wohin sie will: zum
Verwalter, Herrn Windsor, wo die älteste Tochter, Polly, ihre kleineren Ge¬
schwister unterrichtet. Was geschähe wohl nicht, wenn Thomasina es wünscht?
Sie kommt in Polly Windsor's Schulstube, Polly kommt dadurch häusiger
mit den Herrschaften in Berührung, und -- der kindliche Anthony ist aller¬
dings fünfzig Jahr alt, hat aber noch ein zwanzigjähriges Herz. -- "Möchtet
Ihr gern eine Stiefmutter haben?" frägt eines Tages Mrs. General Grey
ihre Großnichte. "Wißt Ihr, Vater, daß Tante Thomasina sagt, Ihr würdet
eines Tages Polly heirathen?" frägt Thomasina die jüngere bei der nächsten
Gelegenheit den Urheber ihrer Tage. -- "Sie würde mich nicht mögen," ant¬
wortet Anthony; "Ihr wißt, daß ich alt genug bin, um ihr Vater sein zu
können." -- "Ich finde Euch nicht so sehr alt," sagt Thomasina, "und ich habe
sie sagen hören, daß sie Leute in mittleren Jahren am liebsten hat; sie denkt,
daß junge Männer meistens albern sind." -- Genug, Thomasina ermuthigt
Anthony, sein Glück zu versuchen; er thut es, und Polly will, aber Sir
Richard will nicht. Was dem unverschämten Jungen einfällt! Will aus Liebe
heirathen, in seinen Jahren,"und noch dazu die Tochter des Verwalters! An¬
thony kann doch nicht gegen Papas Willen heirathen -- das sieht man ein ;


Wer heißt denn Thomasina? — O, seit fünf Generationen hat es stets einen
Thomas oder eine Thomasina in der Bertram'schen Familie gegeben, erläutert
Anthony Bertram, der Vater der neuen Thomasina, und alle die Thomastna's
sind bedeutende Frauenzimmer gewesen: seine liebe Schwester und seine liebe
Cousine, die beide todt sind; und seine Tante, die noch lebt, die Schwester
seines Baders, Mrs. General Grey, ist allerdings nicht ganz einnehmend —
sie hat es bei ihrem alten General so schwer gehabt und es sich dabei ange¬
wöhnt, unangenehm zu sein — aber a remarkadls >poena» ist sie doch, und
endlich wünschen Sir Richard und Lady Bertram, daß ihr erstes Enkelkind
den traditionellen Familiennamen trage. Sobald die junge Frau hört, daß
Sir Richard und Lady Bertram es wünschen, läßt sie ohne weitere Widerrede
das Geschick des unglücklichen Namens über ihr kleines Mädchen ergehen.
Anthony ist ein Modellsohn; mit vierzig Jahren gehorcht er, wie mit vieren,
und zwar nicht blos für seine eigene Person, sondern auch im Namen seiner
Frau. Diese langweilt sich in ihrer schwiegertöchterlichen Nichteristenz langsam
zu Tode, was die Familie, Thomasina inbegriffen, sehr kühl aufnimmt. Ein
Kind, welches an einer kränkelnden, traurigen Mutter hängt, muß ein halber
Engel sein und das ist Thomasina nicht. Thomasina besteht vorläufig noch
gänzlich aus Eigenwillen und Egoismus, aber dabei hat sie gesunde Vernunft¬
instinkte, will endlich nicht immer so viel mit „großen Leuten", sondern mit
Gespielen ihres Alters verkehren und nebenbei etwas lernen. „Ich will Euch
etwas sagen, Anthony," sagt sie zu ihrem Vater, „ich will aufhören, Euch
so zu rufen und s, äuoe zu sein, nicht weil Tante Thomasina es wünscht,
sondern weil ich es wünsche." Sie weiß auch gleich, wohin sie will: zum
Verwalter, Herrn Windsor, wo die älteste Tochter, Polly, ihre kleineren Ge¬
schwister unterrichtet. Was geschähe wohl nicht, wenn Thomasina es wünscht?
Sie kommt in Polly Windsor's Schulstube, Polly kommt dadurch häusiger
mit den Herrschaften in Berührung, und — der kindliche Anthony ist aller¬
dings fünfzig Jahr alt, hat aber noch ein zwanzigjähriges Herz. — „Möchtet
Ihr gern eine Stiefmutter haben?" frägt eines Tages Mrs. General Grey
ihre Großnichte. „Wißt Ihr, Vater, daß Tante Thomasina sagt, Ihr würdet
eines Tages Polly heirathen?" frägt Thomasina die jüngere bei der nächsten
Gelegenheit den Urheber ihrer Tage. — „Sie würde mich nicht mögen," ant¬
wortet Anthony; „Ihr wißt, daß ich alt genug bin, um ihr Vater sein zu
können." — „Ich finde Euch nicht so sehr alt," sagt Thomasina, „und ich habe
sie sagen hören, daß sie Leute in mittleren Jahren am liebsten hat; sie denkt,
daß junge Männer meistens albern sind." — Genug, Thomasina ermuthigt
Anthony, sein Glück zu versuchen; er thut es, und Polly will, aber Sir
Richard will nicht. Was dem unverschämten Jungen einfällt! Will aus Liebe
heirathen, in seinen Jahren,"und noch dazu die Tochter des Verwalters! An¬
thony kann doch nicht gegen Papas Willen heirathen — das sieht man ein ;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128843"/>
          <p xml:id="ID_1260" prev="#ID_1259" next="#ID_1261"> Wer heißt denn Thomasina? &#x2014; O, seit fünf Generationen hat es stets einen<lb/>
Thomas oder eine Thomasina in der Bertram'schen Familie gegeben, erläutert<lb/>
Anthony Bertram, der Vater der neuen Thomasina, und alle die Thomastna's<lb/>
sind bedeutende Frauenzimmer gewesen: seine liebe Schwester und seine liebe<lb/>
Cousine, die beide todt sind; und seine Tante, die noch lebt, die Schwester<lb/>
seines Baders, Mrs. General Grey, ist allerdings nicht ganz einnehmend &#x2014;<lb/>
sie hat es bei ihrem alten General so schwer gehabt und es sich dabei ange¬<lb/>
wöhnt, unangenehm zu sein &#x2014; aber a remarkadls &gt;poena» ist sie doch, und<lb/>
endlich wünschen Sir Richard und Lady Bertram, daß ihr erstes Enkelkind<lb/>
den traditionellen Familiennamen trage.  Sobald die junge Frau hört, daß<lb/>
Sir Richard und Lady Bertram es wünschen, läßt sie ohne weitere Widerrede<lb/>
das Geschick des unglücklichen Namens über ihr kleines Mädchen ergehen.<lb/>
Anthony ist ein Modellsohn; mit vierzig Jahren gehorcht er, wie mit vieren,<lb/>
und zwar nicht blos für seine eigene Person, sondern auch im Namen seiner<lb/>
Frau.  Diese langweilt sich in ihrer schwiegertöchterlichen Nichteristenz langsam<lb/>
zu Tode, was die Familie, Thomasina inbegriffen, sehr kühl aufnimmt. Ein<lb/>
Kind, welches an einer kränkelnden, traurigen Mutter hängt, muß ein halber<lb/>
Engel sein und das ist Thomasina nicht.  Thomasina besteht vorläufig noch<lb/>
gänzlich aus Eigenwillen und Egoismus, aber dabei hat sie gesunde Vernunft¬<lb/>
instinkte, will endlich nicht immer so viel mit &#x201E;großen Leuten", sondern mit<lb/>
Gespielen ihres Alters verkehren und nebenbei etwas lernen.  &#x201E;Ich will Euch<lb/>
etwas sagen, Anthony," sagt sie zu ihrem Vater, &#x201E;ich will aufhören, Euch<lb/>
so zu rufen und s, äuoe zu sein, nicht weil Tante Thomasina es wünscht,<lb/>
sondern weil ich es wünsche." Sie weiß auch gleich, wohin sie will: zum<lb/>
Verwalter, Herrn Windsor, wo die älteste Tochter, Polly, ihre kleineren Ge¬<lb/>
schwister unterrichtet.  Was geschähe wohl nicht, wenn Thomasina es wünscht?<lb/>
Sie kommt in Polly Windsor's Schulstube, Polly kommt dadurch häusiger<lb/>
mit den Herrschaften in Berührung, und &#x2014; der kindliche Anthony ist aller¬<lb/>
dings fünfzig Jahr alt, hat aber noch ein zwanzigjähriges Herz. &#x2014; &#x201E;Möchtet<lb/>
Ihr gern eine Stiefmutter haben?" frägt eines Tages Mrs. General Grey<lb/>
ihre Großnichte.  &#x201E;Wißt Ihr, Vater, daß Tante Thomasina sagt, Ihr würdet<lb/>
eines Tages Polly heirathen?" frägt Thomasina die jüngere bei der nächsten<lb/>
Gelegenheit den Urheber ihrer Tage. &#x2014; &#x201E;Sie würde mich nicht mögen," ant¬<lb/>
wortet Anthony; &#x201E;Ihr wißt, daß ich alt genug bin, um ihr Vater sein zu<lb/>
können." &#x2014; &#x201E;Ich finde Euch nicht so sehr alt," sagt Thomasina, &#x201E;und ich habe<lb/>
sie sagen hören, daß sie Leute in mittleren Jahren am liebsten hat; sie denkt,<lb/>
daß junge Männer meistens albern sind." &#x2014; Genug, Thomasina ermuthigt<lb/>
Anthony, sein Glück zu versuchen; er thut es, und Polly will, aber Sir<lb/>
Richard will nicht.  Was dem unverschämten Jungen einfällt! Will aus Liebe<lb/>
heirathen, in seinen Jahren,"und noch dazu die Tochter des Verwalters! An¬<lb/>
thony kann doch nicht gegen Papas Willen heirathen &#x2014; das sieht man ein ;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] Wer heißt denn Thomasina? — O, seit fünf Generationen hat es stets einen Thomas oder eine Thomasina in der Bertram'schen Familie gegeben, erläutert Anthony Bertram, der Vater der neuen Thomasina, und alle die Thomastna's sind bedeutende Frauenzimmer gewesen: seine liebe Schwester und seine liebe Cousine, die beide todt sind; und seine Tante, die noch lebt, die Schwester seines Baders, Mrs. General Grey, ist allerdings nicht ganz einnehmend — sie hat es bei ihrem alten General so schwer gehabt und es sich dabei ange¬ wöhnt, unangenehm zu sein — aber a remarkadls >poena» ist sie doch, und endlich wünschen Sir Richard und Lady Bertram, daß ihr erstes Enkelkind den traditionellen Familiennamen trage. Sobald die junge Frau hört, daß Sir Richard und Lady Bertram es wünschen, läßt sie ohne weitere Widerrede das Geschick des unglücklichen Namens über ihr kleines Mädchen ergehen. Anthony ist ein Modellsohn; mit vierzig Jahren gehorcht er, wie mit vieren, und zwar nicht blos für seine eigene Person, sondern auch im Namen seiner Frau. Diese langweilt sich in ihrer schwiegertöchterlichen Nichteristenz langsam zu Tode, was die Familie, Thomasina inbegriffen, sehr kühl aufnimmt. Ein Kind, welches an einer kränkelnden, traurigen Mutter hängt, muß ein halber Engel sein und das ist Thomasina nicht. Thomasina besteht vorläufig noch gänzlich aus Eigenwillen und Egoismus, aber dabei hat sie gesunde Vernunft¬ instinkte, will endlich nicht immer so viel mit „großen Leuten", sondern mit Gespielen ihres Alters verkehren und nebenbei etwas lernen. „Ich will Euch etwas sagen, Anthony," sagt sie zu ihrem Vater, „ich will aufhören, Euch so zu rufen und s, äuoe zu sein, nicht weil Tante Thomasina es wünscht, sondern weil ich es wünsche." Sie weiß auch gleich, wohin sie will: zum Verwalter, Herrn Windsor, wo die älteste Tochter, Polly, ihre kleineren Ge¬ schwister unterrichtet. Was geschähe wohl nicht, wenn Thomasina es wünscht? Sie kommt in Polly Windsor's Schulstube, Polly kommt dadurch häusiger mit den Herrschaften in Berührung, und — der kindliche Anthony ist aller¬ dings fünfzig Jahr alt, hat aber noch ein zwanzigjähriges Herz. — „Möchtet Ihr gern eine Stiefmutter haben?" frägt eines Tages Mrs. General Grey ihre Großnichte. „Wißt Ihr, Vater, daß Tante Thomasina sagt, Ihr würdet eines Tages Polly heirathen?" frägt Thomasina die jüngere bei der nächsten Gelegenheit den Urheber ihrer Tage. — „Sie würde mich nicht mögen," ant¬ wortet Anthony; „Ihr wißt, daß ich alt genug bin, um ihr Vater sein zu können." — „Ich finde Euch nicht so sehr alt," sagt Thomasina, „und ich habe sie sagen hören, daß sie Leute in mittleren Jahren am liebsten hat; sie denkt, daß junge Männer meistens albern sind." — Genug, Thomasina ermuthigt Anthony, sein Glück zu versuchen; er thut es, und Polly will, aber Sir Richard will nicht. Was dem unverschämten Jungen einfällt! Will aus Liebe heirathen, in seinen Jahren,"und noch dazu die Tochter des Verwalters! An¬ thony kann doch nicht gegen Papas Willen heirathen — das sieht man ein ;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/389>, abgerufen am 30.06.2024.