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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ein anderes Recht auf den Thron gelangt, so darf er weder von einem Bürger
noch von einem Fremden getödtet werden. Welcher Trost bleibt aber dann
dem betrübten Vaterlands? Die, welche die Sache reiflich erwogen haben,
antworten: wenn man den Tyrannen nicht vor einen höheren Richterstuhl
bringen kann, so ist die Lage der Dinge so verzweifelt, daß die Theologen
die Absetzung des Tyrannen rathen, und fragt man nun Wetter, ob der ab¬
gesetzte Tyrann vom ersten Besten ums Leben gebracht werden darf, so geht
die Meinung bewährter Autoren dahin, daß die Stellung eines abgesetzten
Tyrannen sich von derjenigen andrer Verbrecher nicht unterscheidet."

Aehnlich Franz Toletus, Lessius, Fernandius, Delrio und
namentlich Beccanus, welcher in seiner "Lumms. ?kLoIogig.ö" sagt: "Wie
aber, wenn die Tyrannei unerträglich wird? In solchem Falle muß der Fürst
erst vom Staate und den Ständen oder von einem Andern, der dazu Macht
und Ansehen besitzt (der Autor denkt ohne Zweifel an den Papst) seiner
Würde entsetzt und für einen Feind erklärt werden, damit es erlaubt
sei, etwas gegen ihn zu unternehmen, denn dann hört er auf, Fürst
zu sein."

Paul Comitolus sagt in seinen "Moralischen Entscheidungen": "Ein
Fürst, der die Staatsbürger mißhandelt, ist ein wildes, grausames Thier und
darf wie ein solches behandelt werden."

Daß Rosseus ganz wie Mariana denkt, wenn es sich um den Fürsten¬
mord handelt, versteht sich nach den oben mitgetheilten Auszügen aus seinem
berüchtigten Buche von selbst. Nur bringt es die Tendenz seiner Schrift mit
sich, daß er vorzüglich das Recht zur Ermordung ketzerischer Könige betont.
Wenn er dreierlei Tyrannen kennt, zu deren ersten Arten er alle Könige zählt,
welche das Eigenthumsrecht verletzen, gegen die Gesetze des Staates regieren
und die Gebote der Sitte und des Anstandes übertreten, so hält er doch für
die ärgste und ruchloseste Gattung von Tyrannen die ketzerischen Fürsten.
Gegen diese wüthet er auf das Grimmigste, wobei ihm jeder ketzerische König
ohne Weiteres nothwendig unter die Tyrannen gehört.

"Die ketzerischen Könige sind", so behauptet er, "allezeit Gegenstände der
Verachtung gewesen. Chrysostomus, Lucifer, Erzbischof von Sardinien,
Athanasius und alle Propheten haben behauptet, daß dieselben schlechter als
Hunde seien. Ein solcher König ist der größte Bösewicht unter den Menschen;
er muß nach dem Befehle der heiligen Schrift getödtet werden, kann
über keinen Christen herrschen, kann gegen Katholiken nicht als Zeuge vor
Gericht auftreten, kein Christ darf mit ihm Umgang pflegen. Er ist der
Religion gefährlicher als der Sultan, und seine Ketzerei beraubt ihn seiner
königlichen Würde, so daß er zum Privatmann herabsinkt und keiner ihm zu
gehorchen braucht."


ein anderes Recht auf den Thron gelangt, so darf er weder von einem Bürger
noch von einem Fremden getödtet werden. Welcher Trost bleibt aber dann
dem betrübten Vaterlands? Die, welche die Sache reiflich erwogen haben,
antworten: wenn man den Tyrannen nicht vor einen höheren Richterstuhl
bringen kann, so ist die Lage der Dinge so verzweifelt, daß die Theologen
die Absetzung des Tyrannen rathen, und fragt man nun Wetter, ob der ab¬
gesetzte Tyrann vom ersten Besten ums Leben gebracht werden darf, so geht
die Meinung bewährter Autoren dahin, daß die Stellung eines abgesetzten
Tyrannen sich von derjenigen andrer Verbrecher nicht unterscheidet."

Aehnlich Franz Toletus, Lessius, Fernandius, Delrio und
namentlich Beccanus, welcher in seiner „Lumms. ?kLoIogig.ö" sagt: „Wie
aber, wenn die Tyrannei unerträglich wird? In solchem Falle muß der Fürst
erst vom Staate und den Ständen oder von einem Andern, der dazu Macht
und Ansehen besitzt (der Autor denkt ohne Zweifel an den Papst) seiner
Würde entsetzt und für einen Feind erklärt werden, damit es erlaubt
sei, etwas gegen ihn zu unternehmen, denn dann hört er auf, Fürst
zu sein."

Paul Comitolus sagt in seinen „Moralischen Entscheidungen": „Ein
Fürst, der die Staatsbürger mißhandelt, ist ein wildes, grausames Thier und
darf wie ein solches behandelt werden."

Daß Rosseus ganz wie Mariana denkt, wenn es sich um den Fürsten¬
mord handelt, versteht sich nach den oben mitgetheilten Auszügen aus seinem
berüchtigten Buche von selbst. Nur bringt es die Tendenz seiner Schrift mit
sich, daß er vorzüglich das Recht zur Ermordung ketzerischer Könige betont.
Wenn er dreierlei Tyrannen kennt, zu deren ersten Arten er alle Könige zählt,
welche das Eigenthumsrecht verletzen, gegen die Gesetze des Staates regieren
und die Gebote der Sitte und des Anstandes übertreten, so hält er doch für
die ärgste und ruchloseste Gattung von Tyrannen die ketzerischen Fürsten.
Gegen diese wüthet er auf das Grimmigste, wobei ihm jeder ketzerische König
ohne Weiteres nothwendig unter die Tyrannen gehört.

„Die ketzerischen Könige sind", so behauptet er, „allezeit Gegenstände der
Verachtung gewesen. Chrysostomus, Lucifer, Erzbischof von Sardinien,
Athanasius und alle Propheten haben behauptet, daß dieselben schlechter als
Hunde seien. Ein solcher König ist der größte Bösewicht unter den Menschen;
er muß nach dem Befehle der heiligen Schrift getödtet werden, kann
über keinen Christen herrschen, kann gegen Katholiken nicht als Zeuge vor
Gericht auftreten, kein Christ darf mit ihm Umgang pflegen. Er ist der
Religion gefährlicher als der Sultan, und seine Ketzerei beraubt ihn seiner
königlichen Würde, so daß er zum Privatmann herabsinkt und keiner ihm zu
gehorchen braucht."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/386>, abgerufen am 02.07.2024.