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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Fürsten entledigen soll. Der leichteste und sicherste Weg ist, daß sich die
Stände, wenn es angeht, versammeln und berathen, was zu geschehen habe.
Ihrem einmüthigen Beschlusse muß Folge geleistet werden." Wenn der Fürst
den Borstellungen derselben nicht nachkommt und keine Hoffnung der Besserung
giebt, so steht es dem Staate zu, über ihn das Urtheil zu sprechen und ihn
der Regierung zu entsetzen, ja, "wenn es die Sache mit sich bringt, wenn der
Staat nicht anders geschützt werden kann, den Tyrannen für einen öffentlichen
Feind zu erklären und ihn mit dem Schwerte zu todten."

"Aber was ist zu thun, wenn die Nation nicht zusammentreten kann,
was wohl oft vorkommen mag? Hier ist dasselbe zu urtheilen, nämlich, daß,
wenn der Staat verhindert wird, sich zu versammeln, jeder den Entschluß
fassen darf, für die offnen und verderblichen Laster des Fürsten Rache zu nehmen,
und wer hier, den öffentlichen Wünschen entsprechend, ihn zu ermorden versucht,
der thut meines Erachtens ein gutes Werk. So ist die Rechtsfrage entschieden,
daß es erlaubt ist, einen Tyrannen zu tödten. Und fürwahr, vortrefflich
würde es mit den Angelegenheiten der Menschen bestellt sein, wenn es viele
Leute mit starker Seele gäbe, die sich nicht bedenken, für die Errettung des
Vaterlandes Leben und Glück aufs Spiel zu setzen. Aber die Meisten hält die
Begierde nach Sicherheit von so großem Wagniß ab. Deswegen kann man
unter den Tyrannen des Alterthums so wenige finden, die den Streichen ihrer
Unterthanen erlegen sind. Und in der That ist es ein heilsamer Gedanke,
wenn die Fürsten sich überzeugen, daß sie, falls sie den Staat unterdrücken
und sich durch Laster und Schändlichkeit unerträglich machen, in einer Lage
leben, daß ihre Ermordung nicht nur für gerechtfertigt, sondern auch für lobens¬
wert!) und rühmlich gilt." ,

Nach diesen Grundsätzen findet unser Jesuit die That des Dominikaners
Element, der am 1. August 1589 Heinrich den Dritten von Frankreich mit
einem vergifteten Dolche erstach, höchst preiswürdig. Es war nach ihm "ein
Muth, der ebenso ausgezeichnet, als die That bewundernswürdig ist." Element
war "ein Jüngling einfachen Geistes und nicht starken Körpers, aber eine
höhere Kraft stählte Körper und Geist." Ungeheuren Ruhm", so heißt es
anderswo in der citirten Schrift, "erwarb er sich durch den Königsmord."

Mariana wirft dann im sechsten Kapitel die Frage auf: Ist es erlaubt,
einen Tyrannen mit Gift zu beseitigen? Wir lesen da Folgendes: "Rühmlich
ist es. diese ganz pestilenzialische und ruchlose Tyrannenbrut aus der mensch¬
lichen Gesellschaft zu vertilgen. Denn wie abgefaulte Glieder abgeschnitten
werden, damit sie den übrigen Körper nicht anstecken, so muß auch jene bestia¬
lische Wuth, die in Menschengestalt gekleidet ist, von dem Staatskörper ent¬
fernt und mit dem Eisen abgetrennt werden." "Daß ein Tyrann durch offne
Gewalt mit den Waffen getödtet werden dürfe, entweder durch einen Angriff
auf seinen Palast oder in einer Schlacht, bedarf keines Beweises mehr. Aber


Fürsten entledigen soll. Der leichteste und sicherste Weg ist, daß sich die
Stände, wenn es angeht, versammeln und berathen, was zu geschehen habe.
Ihrem einmüthigen Beschlusse muß Folge geleistet werden." Wenn der Fürst
den Borstellungen derselben nicht nachkommt und keine Hoffnung der Besserung
giebt, so steht es dem Staate zu, über ihn das Urtheil zu sprechen und ihn
der Regierung zu entsetzen, ja, „wenn es die Sache mit sich bringt, wenn der
Staat nicht anders geschützt werden kann, den Tyrannen für einen öffentlichen
Feind zu erklären und ihn mit dem Schwerte zu todten."

„Aber was ist zu thun, wenn die Nation nicht zusammentreten kann,
was wohl oft vorkommen mag? Hier ist dasselbe zu urtheilen, nämlich, daß,
wenn der Staat verhindert wird, sich zu versammeln, jeder den Entschluß
fassen darf, für die offnen und verderblichen Laster des Fürsten Rache zu nehmen,
und wer hier, den öffentlichen Wünschen entsprechend, ihn zu ermorden versucht,
der thut meines Erachtens ein gutes Werk. So ist die Rechtsfrage entschieden,
daß es erlaubt ist, einen Tyrannen zu tödten. Und fürwahr, vortrefflich
würde es mit den Angelegenheiten der Menschen bestellt sein, wenn es viele
Leute mit starker Seele gäbe, die sich nicht bedenken, für die Errettung des
Vaterlandes Leben und Glück aufs Spiel zu setzen. Aber die Meisten hält die
Begierde nach Sicherheit von so großem Wagniß ab. Deswegen kann man
unter den Tyrannen des Alterthums so wenige finden, die den Streichen ihrer
Unterthanen erlegen sind. Und in der That ist es ein heilsamer Gedanke,
wenn die Fürsten sich überzeugen, daß sie, falls sie den Staat unterdrücken
und sich durch Laster und Schändlichkeit unerträglich machen, in einer Lage
leben, daß ihre Ermordung nicht nur für gerechtfertigt, sondern auch für lobens¬
wert!) und rühmlich gilt." ,

Nach diesen Grundsätzen findet unser Jesuit die That des Dominikaners
Element, der am 1. August 1589 Heinrich den Dritten von Frankreich mit
einem vergifteten Dolche erstach, höchst preiswürdig. Es war nach ihm „ein
Muth, der ebenso ausgezeichnet, als die That bewundernswürdig ist." Element
war „ein Jüngling einfachen Geistes und nicht starken Körpers, aber eine
höhere Kraft stählte Körper und Geist." Ungeheuren Ruhm", so heißt es
anderswo in der citirten Schrift, „erwarb er sich durch den Königsmord."

Mariana wirft dann im sechsten Kapitel die Frage auf: Ist es erlaubt,
einen Tyrannen mit Gift zu beseitigen? Wir lesen da Folgendes: „Rühmlich
ist es. diese ganz pestilenzialische und ruchlose Tyrannenbrut aus der mensch¬
lichen Gesellschaft zu vertilgen. Denn wie abgefaulte Glieder abgeschnitten
werden, damit sie den übrigen Körper nicht anstecken, so muß auch jene bestia¬
lische Wuth, die in Menschengestalt gekleidet ist, von dem Staatskörper ent¬
fernt und mit dem Eisen abgetrennt werden." „Daß ein Tyrann durch offne
Gewalt mit den Waffen getödtet werden dürfe, entweder durch einen Angriff
auf seinen Palast oder in einer Schlacht, bedarf keines Beweises mehr. Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/382>, abgerufen am 25.07.2024.