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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Herr Christe, hier bin ich, ich habe Dich bekannt und gepredigt, ist's nun
Zeit, so besehe ich meinen Geist in Deine Hände! und wollt also sterben."
Um das Recht des Widerstandes gegen katholische Ueberwältigung befragt,
hat er lange dafür gehalten, einem Christen zieme sich nicht, mit dem Schwert
sich zu wehren, sondern zu leiden wie sein Herr Christus, und der Kurfürst
dürfe sich, wenn es zur Gewalt käme, als ein Christ dem Kaiser ebensowenig
widersetzen, als der Wittenberger Bürgermeister dem Kurfürsten.

Ganz anders die Doctoren der Gesellschaft Jesu; vor allen Juan Mari-
ana, welcher die Sache im sechsten und siebenten Kapitel seines Werkes:
,,ve liege et liegis institutione" ausführlich erörtert. Er fragt zunächst:
"Darf man einen Tyrannen tödten?" dann: "Darf man einen Tyrannen mit
Gift aus der Welt schaffen?" beide Fragen werden von ihm bejaht. "Sicher¬
lich kann der Staat", so sagt er, "dem die Könige ihre Gewalt verdanken,
unter dringenden Umständen den König vor seinen Richterstuhl laden und
ihn, falls er sich nicht bessern will, der Negierung entsetzen. Denn der Staat
hat dem Fürsten die Gewalt nicht so übertragen, daß er sich nicht eine grö¬
ßere vorbehalten haben sollte. Außerdem sehen wir, daß Tyrannenmorde
allezeit hoch gepriesen wurden, wie Thrasybul, Harmodius und Aristogiton,
Cassius, Chärea, Stephanus (der Domitian ermordete), Martialis (der Mör¬
der Caracalla's) und die Prätorianer. die den Heliogabal erschlugen." "Wer
hat je deren Kühnheit getadelt und sie nicht vielmehr des höchsten Lobes
würdig erachtet? Und es giebt ein allgemeines Gefühl, gleichsam eine Stimme
der Natur, die in unser Herz gelegt ist, ein Gesetz, das in unsern Ohren tönt,
vermöge dessen wir das Schändliche vom Ehrenwerthen unterscheiden. Dazu
nehme man an, daß ein Tyrann einem reißenden und toll gewordenen Thiere
gleicht, welches allenthalben Verwüstungen anrichtet, raubt, brennt und mordet.
Soll man darüber wegsehen? Soll man es nicht vielmehr loben, wenn jemand
mit Gefahr seines Lebens den Staat von ihm errettet? Man darf behaupten,
daß gegen die Tyrannen die Geschosse Aller gerichtet werden müssen als gegen
ein grausames Ungeheuer, welches sich auf die Erde begeben hat, um zu wür¬
gen, so lange es die Glieder regen kann."

"Darin", so fährt Mariana fort, "sehe ich sowohl Philosophen als Theo¬
logen übereinstimmen, daß ein Fürst, der einen Staat mit Waffengewalt in
Besitz genommen hat, ohne ein Recht darauf zu haben, ohne daß die Bürger
es gutheißen, von einem Jeden getödtet werden könne." "Wenn aber ein
Fürst mit Zustimmung des Volkes oder durch Erbschaft herrscht, so muß
man seine Fehler und Laster so lange tragen, bis er die Gesetze des Anstandes
und der Zucht, an die er gebunden ist, hintansetzt. Wenn er den Staat zu
Grunde richtet, das Wohl des Ganzen wie der Einzelnen mit Füßen tritt,
die öffentlichen Gesetze und die heilige Religion verachtet, so darf man es nicht
länger tragen. Jedoch muß man wohl erwägen, wie man sich eines solchen


Herr Christe, hier bin ich, ich habe Dich bekannt und gepredigt, ist's nun
Zeit, so besehe ich meinen Geist in Deine Hände! und wollt also sterben."
Um das Recht des Widerstandes gegen katholische Ueberwältigung befragt,
hat er lange dafür gehalten, einem Christen zieme sich nicht, mit dem Schwert
sich zu wehren, sondern zu leiden wie sein Herr Christus, und der Kurfürst
dürfe sich, wenn es zur Gewalt käme, als ein Christ dem Kaiser ebensowenig
widersetzen, als der Wittenberger Bürgermeister dem Kurfürsten.

Ganz anders die Doctoren der Gesellschaft Jesu; vor allen Juan Mari-
ana, welcher die Sache im sechsten und siebenten Kapitel seines Werkes:
,,ve liege et liegis institutione" ausführlich erörtert. Er fragt zunächst:
„Darf man einen Tyrannen tödten?" dann: „Darf man einen Tyrannen mit
Gift aus der Welt schaffen?" beide Fragen werden von ihm bejaht. „Sicher¬
lich kann der Staat", so sagt er, „dem die Könige ihre Gewalt verdanken,
unter dringenden Umständen den König vor seinen Richterstuhl laden und
ihn, falls er sich nicht bessern will, der Negierung entsetzen. Denn der Staat
hat dem Fürsten die Gewalt nicht so übertragen, daß er sich nicht eine grö¬
ßere vorbehalten haben sollte. Außerdem sehen wir, daß Tyrannenmorde
allezeit hoch gepriesen wurden, wie Thrasybul, Harmodius und Aristogiton,
Cassius, Chärea, Stephanus (der Domitian ermordete), Martialis (der Mör¬
der Caracalla's) und die Prätorianer. die den Heliogabal erschlugen." „Wer
hat je deren Kühnheit getadelt und sie nicht vielmehr des höchsten Lobes
würdig erachtet? Und es giebt ein allgemeines Gefühl, gleichsam eine Stimme
der Natur, die in unser Herz gelegt ist, ein Gesetz, das in unsern Ohren tönt,
vermöge dessen wir das Schändliche vom Ehrenwerthen unterscheiden. Dazu
nehme man an, daß ein Tyrann einem reißenden und toll gewordenen Thiere
gleicht, welches allenthalben Verwüstungen anrichtet, raubt, brennt und mordet.
Soll man darüber wegsehen? Soll man es nicht vielmehr loben, wenn jemand
mit Gefahr seines Lebens den Staat von ihm errettet? Man darf behaupten,
daß gegen die Tyrannen die Geschosse Aller gerichtet werden müssen als gegen
ein grausames Ungeheuer, welches sich auf die Erde begeben hat, um zu wür¬
gen, so lange es die Glieder regen kann."

„Darin", so fährt Mariana fort, „sehe ich sowohl Philosophen als Theo¬
logen übereinstimmen, daß ein Fürst, der einen Staat mit Waffengewalt in
Besitz genommen hat, ohne ein Recht darauf zu haben, ohne daß die Bürger
es gutheißen, von einem Jeden getödtet werden könne." „Wenn aber ein
Fürst mit Zustimmung des Volkes oder durch Erbschaft herrscht, so muß
man seine Fehler und Laster so lange tragen, bis er die Gesetze des Anstandes
und der Zucht, an die er gebunden ist, hintansetzt. Wenn er den Staat zu
Grunde richtet, das Wohl des Ganzen wie der Einzelnen mit Füßen tritt,
die öffentlichen Gesetze und die heilige Religion verachtet, so darf man es nicht
länger tragen. Jedoch muß man wohl erwägen, wie man sich eines solchen


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[0381] Herr Christe, hier bin ich, ich habe Dich bekannt und gepredigt, ist's nun Zeit, so besehe ich meinen Geist in Deine Hände! und wollt also sterben." Um das Recht des Widerstandes gegen katholische Ueberwältigung befragt, hat er lange dafür gehalten, einem Christen zieme sich nicht, mit dem Schwert sich zu wehren, sondern zu leiden wie sein Herr Christus, und der Kurfürst dürfe sich, wenn es zur Gewalt käme, als ein Christ dem Kaiser ebensowenig widersetzen, als der Wittenberger Bürgermeister dem Kurfürsten. Ganz anders die Doctoren der Gesellschaft Jesu; vor allen Juan Mari- ana, welcher die Sache im sechsten und siebenten Kapitel seines Werkes: ,,ve liege et liegis institutione" ausführlich erörtert. Er fragt zunächst: „Darf man einen Tyrannen tödten?" dann: „Darf man einen Tyrannen mit Gift aus der Welt schaffen?" beide Fragen werden von ihm bejaht. „Sicher¬ lich kann der Staat", so sagt er, „dem die Könige ihre Gewalt verdanken, unter dringenden Umständen den König vor seinen Richterstuhl laden und ihn, falls er sich nicht bessern will, der Negierung entsetzen. Denn der Staat hat dem Fürsten die Gewalt nicht so übertragen, daß er sich nicht eine grö¬ ßere vorbehalten haben sollte. Außerdem sehen wir, daß Tyrannenmorde allezeit hoch gepriesen wurden, wie Thrasybul, Harmodius und Aristogiton, Cassius, Chärea, Stephanus (der Domitian ermordete), Martialis (der Mör¬ der Caracalla's) und die Prätorianer. die den Heliogabal erschlugen." „Wer hat je deren Kühnheit getadelt und sie nicht vielmehr des höchsten Lobes würdig erachtet? Und es giebt ein allgemeines Gefühl, gleichsam eine Stimme der Natur, die in unser Herz gelegt ist, ein Gesetz, das in unsern Ohren tönt, vermöge dessen wir das Schändliche vom Ehrenwerthen unterscheiden. Dazu nehme man an, daß ein Tyrann einem reißenden und toll gewordenen Thiere gleicht, welches allenthalben Verwüstungen anrichtet, raubt, brennt und mordet. Soll man darüber wegsehen? Soll man es nicht vielmehr loben, wenn jemand mit Gefahr seines Lebens den Staat von ihm errettet? Man darf behaupten, daß gegen die Tyrannen die Geschosse Aller gerichtet werden müssen als gegen ein grausames Ungeheuer, welches sich auf die Erde begeben hat, um zu wür¬ gen, so lange es die Glieder regen kann." „Darin", so fährt Mariana fort, „sehe ich sowohl Philosophen als Theo¬ logen übereinstimmen, daß ein Fürst, der einen Staat mit Waffengewalt in Besitz genommen hat, ohne ein Recht darauf zu haben, ohne daß die Bürger es gutheißen, von einem Jeden getödtet werden könne." „Wenn aber ein Fürst mit Zustimmung des Volkes oder durch Erbschaft herrscht, so muß man seine Fehler und Laster so lange tragen, bis er die Gesetze des Anstandes und der Zucht, an die er gebunden ist, hintansetzt. Wenn er den Staat zu Grunde richtet, das Wohl des Ganzen wie der Einzelnen mit Füßen tritt, die öffentlichen Gesetze und die heilige Religion verachtet, so darf man es nicht länger tragen. Jedoch muß man wohl erwägen, wie man sich eines solchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/381>, abgerufen am 22.07.2024.