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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ketten, welche das Gesetz Jesu bekennen. Denn sie alle sind seiner mittelbaren
oder indirecten Negierung und Anordnung unterworfen, er kann ihnen wie
der Hirt seinen Schafen befehlen, nicht blos sie bitten und ernähren, daß sie
alle Kräfte ihrer Reiche und alle ihre Macht für das Heil der Seelen und für
die Verbreitung des Evangeliums aufbieten. Wenn sie aber dem nicht nach¬
kommen, so hat er das Recht, sie als Rebellen zu bestrafen, und wenn sie irgend
etwas gegen die Kirche oder die Ehre Christi unternehmen, so kann er sie
ihrer Reiche und ihrer Herrschaft entsetzen, ihre Staaten einem andern Fürsten
geben und ihre Unterthanen vom Eide der Treue entbinden, damit das Wort
des Herrn erfüllet werde, welches er durch den Mund des Propheten Jeremias
sprach: Heute habe ich euch gesetzt über die Völker und Königreiche, um zu
nehmen, zu entreißen, zu zerstören, zu verderben, zu zerstreuen, aufzubauen
und niederzuwerfen."

Andreas Philopator: "Hieraus schließt die ganze Schule der Theo¬
logen und Rechtsgelehrten, und es ist dies nicht allein gewiß, sondern auch
eine Glaubenssache, daß jeder christliche Fürst, welcher sich vom katholischen
Glauben trennt, und auch Andere davon losreißen will, von diesem Augen¬
blicke an aller Macht und aller Würde nach göttlichem und menschlichem
Rechte verlustig gehe, und zwar ohne vorheriges Erkenntniß des geistlichen,
d. h. des obersten Richters, daß zugleich alle Unterthanen des Eides der Treue
falls sie ihm denselben als ihrem rechtmäßigen Fürsten geschworen haben,
entbunden sind, und daß sie einen solchen Menschen als einen Abtrünnigen
und Ketzer, als einen erklärten Feind des Gemeinwesens mit bewaffneter
Hand nicht nur verjagen können, sondern selbst müssen, aus daß er nicht
Andere verderbe und durch Beispiel und Befehl vom wahren Glauben ab¬
wendig mache."

In ähnlichem Sinne sprachen sich Santarell, Cornelius a Lapide
Bauny, Lessius und Alagon sowie Ribadaneira aus. Wir citiren
aber ihre Aeußerungen nicht, sondern gehen nunmehr zu denjenigen jesuitischen
Moralisten über, welche sich mit der Frage der Erlaubtheit des Tyrannenmor¬
des beschäftigt und dieselbe bejaht haben.

Luther hat in seinen "Tischreden" über diesen Gegenstand gemeint, daß
ein Mann das Aeußerste thun dürfe, wenn er tödtlich gekränkt werde in
seiner Hausehre. Er sagt: "Wenn ich einen, der gleich kein Tyrann wäre, bei
meinem Eheweibe oder Tochter ergriffe, so möchte ich ihn wohl umbringen.
Item, wenn er diesem sein Weib, dem Andern seine Tochter, dem Dritten
seine Aecker mit Gewalt nähme, und die Bürger und Unterthanen träten zu¬
sammen und könnten seine Gewalt und Tyrannei nicht länger dulden, so
möchten sie ihn umbringen wie einen Mörder und Straßenräuber. Aber wenn
man mich ergriffe als einen Prediger ums Evangeliums willen, so wollte ich
mit gefalteten Händen meine Augen gen Himmel heben und sagen: Mein


ketten, welche das Gesetz Jesu bekennen. Denn sie alle sind seiner mittelbaren
oder indirecten Negierung und Anordnung unterworfen, er kann ihnen wie
der Hirt seinen Schafen befehlen, nicht blos sie bitten und ernähren, daß sie
alle Kräfte ihrer Reiche und alle ihre Macht für das Heil der Seelen und für
die Verbreitung des Evangeliums aufbieten. Wenn sie aber dem nicht nach¬
kommen, so hat er das Recht, sie als Rebellen zu bestrafen, und wenn sie irgend
etwas gegen die Kirche oder die Ehre Christi unternehmen, so kann er sie
ihrer Reiche und ihrer Herrschaft entsetzen, ihre Staaten einem andern Fürsten
geben und ihre Unterthanen vom Eide der Treue entbinden, damit das Wort
des Herrn erfüllet werde, welches er durch den Mund des Propheten Jeremias
sprach: Heute habe ich euch gesetzt über die Völker und Königreiche, um zu
nehmen, zu entreißen, zu zerstören, zu verderben, zu zerstreuen, aufzubauen
und niederzuwerfen."

Andreas Philopator: „Hieraus schließt die ganze Schule der Theo¬
logen und Rechtsgelehrten, und es ist dies nicht allein gewiß, sondern auch
eine Glaubenssache, daß jeder christliche Fürst, welcher sich vom katholischen
Glauben trennt, und auch Andere davon losreißen will, von diesem Augen¬
blicke an aller Macht und aller Würde nach göttlichem und menschlichem
Rechte verlustig gehe, und zwar ohne vorheriges Erkenntniß des geistlichen,
d. h. des obersten Richters, daß zugleich alle Unterthanen des Eides der Treue
falls sie ihm denselben als ihrem rechtmäßigen Fürsten geschworen haben,
entbunden sind, und daß sie einen solchen Menschen als einen Abtrünnigen
und Ketzer, als einen erklärten Feind des Gemeinwesens mit bewaffneter
Hand nicht nur verjagen können, sondern selbst müssen, aus daß er nicht
Andere verderbe und durch Beispiel und Befehl vom wahren Glauben ab¬
wendig mache."

In ähnlichem Sinne sprachen sich Santarell, Cornelius a Lapide
Bauny, Lessius und Alagon sowie Ribadaneira aus. Wir citiren
aber ihre Aeußerungen nicht, sondern gehen nunmehr zu denjenigen jesuitischen
Moralisten über, welche sich mit der Frage der Erlaubtheit des Tyrannenmor¬
des beschäftigt und dieselbe bejaht haben.

Luther hat in seinen „Tischreden" über diesen Gegenstand gemeint, daß
ein Mann das Aeußerste thun dürfe, wenn er tödtlich gekränkt werde in
seiner Hausehre. Er sagt: „Wenn ich einen, der gleich kein Tyrann wäre, bei
meinem Eheweibe oder Tochter ergriffe, so möchte ich ihn wohl umbringen.
Item, wenn er diesem sein Weib, dem Andern seine Tochter, dem Dritten
seine Aecker mit Gewalt nähme, und die Bürger und Unterthanen träten zu¬
sammen und könnten seine Gewalt und Tyrannei nicht länger dulden, so
möchten sie ihn umbringen wie einen Mörder und Straßenräuber. Aber wenn
man mich ergriffe als einen Prediger ums Evangeliums willen, so wollte ich
mit gefalteten Händen meine Augen gen Himmel heben und sagen: Mein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/380>, abgerufen am 22.07.2024.