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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Venen abzuschließen und seine früheren Werke selbst noch einmal zu revidiren.
Der Historiker des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts Mr exceller-os
hat dabei vorzugsweise die neuere Zeit ins Auge gefaßt. Wenn er schon
früher einmal den Werdeproceß des preußischen Staates in Deutschland in
einem Ueberblicke zu entwickeln unternommen, so bewegen sich seine jüngsten
Studien mit Vorliebe auf dem Boden der neueren preußischen und deutschen
Geschichte. Mit freudigem Danke nehmen wir entgegen, was er uns von
dieser Art bietet.

Vor Jahresfrist haben wir in diesen Blättern unseren Lesern Bericht
erstattet über den ersten Band eines neuen Geschichtswerkes von Ranke (Die
deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte
von 1780 bis 1790. Leipzig, Duncker und Humblot. 1871.) Seitdem
ist der zweite das Ganze abschließende Band erschienen. Er umfaßt die Er¬
eignisse von 1787 bis 1790. den Ausgang Josef's II. Die große Virtuosität
des Darstellers diplomatischer Geschichte verläugnet sich hier nirgendwo. Die
russische und östreichische Politik, die damals in naher Allianz den orienta¬
lischen Krieg gewagt haben, erfahren eine selbständige Würdigung, welche der
einer jeden Macht innewohnenden Tendenz gerecht zu werden vermag. Neben
den allgemeinen Verhältnissen sind auch die Persönlichkeiten der maßgebenden
Fürsten und Staatsmänner so gezeichnet, daß dem aufmerksamen Leser ein
treues Bild aller das öffentliche Leben bestimmenden Factoren sich ergeben
muß. Doch es ziemt sich kaum, hier eingehender die Eigenthümlichkeiten
Ranke's darzulegen. Auch den neueren Schriften sind sie deutlich aufgeprägt.
Die Art und Weise, fast möchten wir sagen die Manier Ranke's ist nun seit
bald SO Jahren so individuell und so fest geworden, daß jeder in Deutsch¬
land sie kennt. Daß Ranke's eigene Sympathien mit dem Staate Friedrich's
des Großen sind, wer wollte daran zweifeln? Desto bewundernswerther ist
es, wie er es versteht, auch alle die andern Mächte jener Zeit zu characteri-
siren und in ihrer relativen Berechtigung anzuerkennen. Er selbst sagt ein¬
mal: "Unmöglich wäre es, unter allen Kämpfen der Macht und der Ideen,
welche die größten Entscheidungen in sich tragen, keine Meinung darüber zu
haben. Dabei aber kann doch das Wesen der Unparteilichkeit gewahrt bleiben.
Denn dies besteht nur darin, daß man die agirenden Mächte in ihrer Stel¬
lung anerkennt und die einer jeden eigenthümlichen Beziehungen würdigt. Man
sieht sie in ihrem besonderen Selbst erscheinen, einander gegenübertreten und
mit einander ringen; in diesem Gegensatz vollziehen sich die Begebenheiten
und die weltbeherrschenden Geschicke. Objectivität ist zugleich Unparteilichkeit."
Wir meinen, hierin hat Ranke sehr deutlich seine Methode historischer Be¬
trachtung geschildert. Wir fordern Unparteilichkeit vom Historiker. Aber ein
anderes ist es, auf ein eigenes Urtheil ganz zu verzichten, ein anderes ist es,


Venen abzuschließen und seine früheren Werke selbst noch einmal zu revidiren.
Der Historiker des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts Mr exceller-os
hat dabei vorzugsweise die neuere Zeit ins Auge gefaßt. Wenn er schon
früher einmal den Werdeproceß des preußischen Staates in Deutschland in
einem Ueberblicke zu entwickeln unternommen, so bewegen sich seine jüngsten
Studien mit Vorliebe auf dem Boden der neueren preußischen und deutschen
Geschichte. Mit freudigem Danke nehmen wir entgegen, was er uns von
dieser Art bietet.

Vor Jahresfrist haben wir in diesen Blättern unseren Lesern Bericht
erstattet über den ersten Band eines neuen Geschichtswerkes von Ranke (Die
deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte
von 1780 bis 1790. Leipzig, Duncker und Humblot. 1871.) Seitdem
ist der zweite das Ganze abschließende Band erschienen. Er umfaßt die Er¬
eignisse von 1787 bis 1790. den Ausgang Josef's II. Die große Virtuosität
des Darstellers diplomatischer Geschichte verläugnet sich hier nirgendwo. Die
russische und östreichische Politik, die damals in naher Allianz den orienta¬
lischen Krieg gewagt haben, erfahren eine selbständige Würdigung, welche der
einer jeden Macht innewohnenden Tendenz gerecht zu werden vermag. Neben
den allgemeinen Verhältnissen sind auch die Persönlichkeiten der maßgebenden
Fürsten und Staatsmänner so gezeichnet, daß dem aufmerksamen Leser ein
treues Bild aller das öffentliche Leben bestimmenden Factoren sich ergeben
muß. Doch es ziemt sich kaum, hier eingehender die Eigenthümlichkeiten
Ranke's darzulegen. Auch den neueren Schriften sind sie deutlich aufgeprägt.
Die Art und Weise, fast möchten wir sagen die Manier Ranke's ist nun seit
bald SO Jahren so individuell und so fest geworden, daß jeder in Deutsch¬
land sie kennt. Daß Ranke's eigene Sympathien mit dem Staate Friedrich's
des Großen sind, wer wollte daran zweifeln? Desto bewundernswerther ist
es, wie er es versteht, auch alle die andern Mächte jener Zeit zu characteri-
siren und in ihrer relativen Berechtigung anzuerkennen. Er selbst sagt ein¬
mal: „Unmöglich wäre es, unter allen Kämpfen der Macht und der Ideen,
welche die größten Entscheidungen in sich tragen, keine Meinung darüber zu
haben. Dabei aber kann doch das Wesen der Unparteilichkeit gewahrt bleiben.
Denn dies besteht nur darin, daß man die agirenden Mächte in ihrer Stel¬
lung anerkennt und die einer jeden eigenthümlichen Beziehungen würdigt. Man
sieht sie in ihrem besonderen Selbst erscheinen, einander gegenübertreten und
mit einander ringen; in diesem Gegensatz vollziehen sich die Begebenheiten
und die weltbeherrschenden Geschicke. Objectivität ist zugleich Unparteilichkeit."
Wir meinen, hierin hat Ranke sehr deutlich seine Methode historischer Be¬
trachtung geschildert. Wir fordern Unparteilichkeit vom Historiker. Aber ein
anderes ist es, auf ein eigenes Urtheil ganz zu verzichten, ein anderes ist es,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/317>, abgerufen am 22.07.2024.