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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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zwar hat ihn der "Staat" Gens nicht anerkannt und der Streit beginnt erst
jetzt so recht. Aber bezeichnend an diesem Handel sind zwei Dinge: erstens
das ausdrückliche Zugeständniß von ultramontaner Seite her, daß man vor
dem 12. Mai oder bei anderem Ausfall dieses Tages solchen Gewaltact nicht
gewagt hätte, zweitens die erfreuliche Wahrnehmung, daß gerade das Haupt
der Genfer Revisionsgegner, Staatsrath Carteret, es ist, der am entschiedensten
den von Mermillod hingeworfenen Handschuh aufgenommen hat und daß der¬
selbe in Bern anfrug, ob er bei seinem Vorgehen am Bund einen Rücken
finden werde. -- Neben dieser kirchlichen Streitigkeit ward von unsern Geg¬
nern auch die sogenannte cantonale Action in Scene gesetzt. Während es
für uns längst ein Satz der Erfahrung ist, daß gerade die Hauptfragen un-
seres öffentlichen Lebens gar nicht mehr auf cantonalem, sondern nur noch
auf eidgenössischen Boden gelöst werden können, stellten sich unsere Gegner
plötzlich, als wollten sie die Cantone aus ihrem Schlafe wachrufen, und ver¬
sprachen durch eine cantonale Action auf der ganzen Linie alles Gute der
verworfenen Bundesverfassung in den einzelnen Cantonen einzubürgern. Die
Hörner bliesen und schwiegen wieder. Im Canton Waadt wurde den ein¬
gesessener Schweizern aus anderen Cantonen das Stimmrecht in cantonalen
und communalen Angelegenheiten ertheilt, in Zug eine Verfassungsrevision an¬
geregt. Das war Alles. Niemand machte Ernst mit der Sache. -- Kam
schließlich noch Alt-Bundesrath Dubs mit seinen schmalspurigen Eisenbahnen.
In bengalischer Beleuchtung zeigte er uns die Schweiz, durchfurcht von hundert
und hundert Localbahnen. Das Geld dazu sollte den Gemeinden kommen,
sie wüßten selbst nicht wie. Einen Augenblick ward man stutzig. Man hat
von den Fähigkeiten des Abtrünnigen immer noch eine zu hohe, von seinem
Character eine zu gute Meinung, um ihn für einen einfachen Schwindler und
Intriganten zu halten. Bald aber löste sich auch dieses Trugbild in Nebel
auf. Die Erstellungskosten dieser schmalspurigen Eisenbahnen zeigten sich be¬
deutend größer, als zuerst angenommen worden, während ihre Verwendbarkeit
zum Waarentransport so ziemlich gleich Null ist.

Während so unsere Gegner Seifenblase um Seifenblase steigen ließen,
rückte der Tag der Entscheidung immer näher. Jene gingen ohne Feldzeichen
in den Kampf, und wenn sie überhaupt eine Fahne hatten, so war diese
sorgfältig eingewickelt und unsichtbar. Wir dagegen schaarten uns, durch den
12. Mai auch nicht von ferne entmuthigt, um den Adler der Revision. In
diesem Zeichen siegten wir so ziemlich genau mit zwei Drittel gegen ein Drittel
Stimmen. Zwar zählen wir im neuen Nationalrath, trotzdem er in Folge
der Bevölkerungszunahme sich um acht Mitglieder verstärkt hat, höchstens
3--4 Nevisionsfreunde mehr als im alten, ja wir haben in Genf, in der
Waadt, in Wallis, in Unterwalden, Schwyz und Zug sogar an Boden ver-


zwar hat ihn der „Staat" Gens nicht anerkannt und der Streit beginnt erst
jetzt so recht. Aber bezeichnend an diesem Handel sind zwei Dinge: erstens
das ausdrückliche Zugeständniß von ultramontaner Seite her, daß man vor
dem 12. Mai oder bei anderem Ausfall dieses Tages solchen Gewaltact nicht
gewagt hätte, zweitens die erfreuliche Wahrnehmung, daß gerade das Haupt
der Genfer Revisionsgegner, Staatsrath Carteret, es ist, der am entschiedensten
den von Mermillod hingeworfenen Handschuh aufgenommen hat und daß der¬
selbe in Bern anfrug, ob er bei seinem Vorgehen am Bund einen Rücken
finden werde. — Neben dieser kirchlichen Streitigkeit ward von unsern Geg¬
nern auch die sogenannte cantonale Action in Scene gesetzt. Während es
für uns längst ein Satz der Erfahrung ist, daß gerade die Hauptfragen un-
seres öffentlichen Lebens gar nicht mehr auf cantonalem, sondern nur noch
auf eidgenössischen Boden gelöst werden können, stellten sich unsere Gegner
plötzlich, als wollten sie die Cantone aus ihrem Schlafe wachrufen, und ver¬
sprachen durch eine cantonale Action auf der ganzen Linie alles Gute der
verworfenen Bundesverfassung in den einzelnen Cantonen einzubürgern. Die
Hörner bliesen und schwiegen wieder. Im Canton Waadt wurde den ein¬
gesessener Schweizern aus anderen Cantonen das Stimmrecht in cantonalen
und communalen Angelegenheiten ertheilt, in Zug eine Verfassungsrevision an¬
geregt. Das war Alles. Niemand machte Ernst mit der Sache. — Kam
schließlich noch Alt-Bundesrath Dubs mit seinen schmalspurigen Eisenbahnen.
In bengalischer Beleuchtung zeigte er uns die Schweiz, durchfurcht von hundert
und hundert Localbahnen. Das Geld dazu sollte den Gemeinden kommen,
sie wüßten selbst nicht wie. Einen Augenblick ward man stutzig. Man hat
von den Fähigkeiten des Abtrünnigen immer noch eine zu hohe, von seinem
Character eine zu gute Meinung, um ihn für einen einfachen Schwindler und
Intriganten zu halten. Bald aber löste sich auch dieses Trugbild in Nebel
auf. Die Erstellungskosten dieser schmalspurigen Eisenbahnen zeigten sich be¬
deutend größer, als zuerst angenommen worden, während ihre Verwendbarkeit
zum Waarentransport so ziemlich gleich Null ist.

Während so unsere Gegner Seifenblase um Seifenblase steigen ließen,
rückte der Tag der Entscheidung immer näher. Jene gingen ohne Feldzeichen
in den Kampf, und wenn sie überhaupt eine Fahne hatten, so war diese
sorgfältig eingewickelt und unsichtbar. Wir dagegen schaarten uns, durch den
12. Mai auch nicht von ferne entmuthigt, um den Adler der Revision. In
diesem Zeichen siegten wir so ziemlich genau mit zwei Drittel gegen ein Drittel
Stimmen. Zwar zählen wir im neuen Nationalrath, trotzdem er in Folge
der Bevölkerungszunahme sich um acht Mitglieder verstärkt hat, höchstens
3—4 Nevisionsfreunde mehr als im alten, ja wir haben in Genf, in der
Waadt, in Wallis, in Unterwalden, Schwyz und Zug sogar an Boden ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/315>, abgerufen am 22.07.2024.