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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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durch Ausmerzung des Grundsätzlichen dem Volke mundgerecht zu machen, ein
Versuch, welcher die Initiative im Schooße der Bundesversammlung noth¬
wendig den Gegnern der Revision in die Hände gespielt hätte.

Allein unsere Gegner thaten so gut wie gar nichts, um ihren Sieg aus¬
zubeuten. Allerdings standen die Neuwahlen vor der Thür, allerdings sahen
sie sich gegenüber eine gewaltige Minderheit, welche ihnen zudem noch durch
die gefaßte Ruhe, mit der sie die Niederlage vom 12. Mai aufgenommen,
eine gewisse Scheu einflößte. Was aber noch viel mehr als diese beiden Rück¬
sichten unserer Gegner zur Unthätigkeit einer Boa nach eingenommenem Fraße
verdammte, das war die eigenthümliche Zusammensetzung ihrer eigenen Partei
nicht etwa blos aus verschiedenen Elementen, sondern aus grundsätzlichen
Gegnern. Ihren Kern bildeten nämlich die Ultramontanen der früheren
Sonderbundscantone einerseits, die Cantonesen der protestantisch-französischen
Schweiz andererseits. Einig waren die beiden Flügel der Partei einzig dar¬
über, daß die neue Bundesverfassung zu verwerfen sei; in den Gründen hier¬
für gingen sie aus einander, ja theilweise wider einander. Zwar für Auf¬
rechthaltung der Cantonssouverainetät sprachen sich beide Theile aus, allein
die Cantonesen aus blinder Vergötterung der Cantone, die Ultramontanen
umgekehrt, weil sie die Cantone noch mehr verachteten und weniger fürchteten
als den Bund. Andererseits ist unsern französischen Cantonesen die kirchliche
Wirthschaft der Ultramontanen in der Seele zuwider. Hätte die neue Ver¬
fassung blos Artikel enthalten, welche in Sachen der Schule, der Kirchen und
Klöster endlich einmal Ordnung geschafft hätten, so wären wenigstens Waadt
und Neunburg unbedenklich für sie eingetreten, ja in letzterem Canton wurde
die kluge Mäßigung des Entwurfs nach dieser Richtung hin ausdrücklich
zum Vorwand genommen, um die Revision als zu wenig weit gehend zu
verwerfen.

Als es nun den vereinigten Anstrengungen dieser ungleichen, theilweise
feindlichen Brüder gelungen war, die Vorlage der neuen Bundesverfassung
zu Falle zu bringen, da fanden sich diese plötzlich an einander geschmiedet
wie zwei Galeerensklaven. Jeder von ihnen hätte gern etwas Besonderes ge¬
than, keiner vermochte es ohne den andern, und der Schluß war, daß eben
beide gar nichts thaten. Vor einem ultramontanen Rückschlag bewahrten
nur die Cantonesen, vor einer Partialrevision die Ultramontanen, für welche
alles und jedes Rütteln am gegenwärtigen Zustand der Dinge ein Verlust
ist. Zwar versucht wurde Mancherlei. Gaspard Mermillod, Pfarrer von
Genf, wäre gern Bischof von Gens geworden. Bisher war er blos Bischof
von Hebron und Generalvicar Marilley's, des Bischofs von Freiburg (früher
Lausanne) und Genf. Durch eine kirchliche Palastrevolution ward Marilley
genöthigt, für Genf abzudanken und Mermillod an seine Stelle gesetzt. Noch


durch Ausmerzung des Grundsätzlichen dem Volke mundgerecht zu machen, ein
Versuch, welcher die Initiative im Schooße der Bundesversammlung noth¬
wendig den Gegnern der Revision in die Hände gespielt hätte.

Allein unsere Gegner thaten so gut wie gar nichts, um ihren Sieg aus¬
zubeuten. Allerdings standen die Neuwahlen vor der Thür, allerdings sahen
sie sich gegenüber eine gewaltige Minderheit, welche ihnen zudem noch durch
die gefaßte Ruhe, mit der sie die Niederlage vom 12. Mai aufgenommen,
eine gewisse Scheu einflößte. Was aber noch viel mehr als diese beiden Rück¬
sichten unserer Gegner zur Unthätigkeit einer Boa nach eingenommenem Fraße
verdammte, das war die eigenthümliche Zusammensetzung ihrer eigenen Partei
nicht etwa blos aus verschiedenen Elementen, sondern aus grundsätzlichen
Gegnern. Ihren Kern bildeten nämlich die Ultramontanen der früheren
Sonderbundscantone einerseits, die Cantonesen der protestantisch-französischen
Schweiz andererseits. Einig waren die beiden Flügel der Partei einzig dar¬
über, daß die neue Bundesverfassung zu verwerfen sei; in den Gründen hier¬
für gingen sie aus einander, ja theilweise wider einander. Zwar für Auf¬
rechthaltung der Cantonssouverainetät sprachen sich beide Theile aus, allein
die Cantonesen aus blinder Vergötterung der Cantone, die Ultramontanen
umgekehrt, weil sie die Cantone noch mehr verachteten und weniger fürchteten
als den Bund. Andererseits ist unsern französischen Cantonesen die kirchliche
Wirthschaft der Ultramontanen in der Seele zuwider. Hätte die neue Ver¬
fassung blos Artikel enthalten, welche in Sachen der Schule, der Kirchen und
Klöster endlich einmal Ordnung geschafft hätten, so wären wenigstens Waadt
und Neunburg unbedenklich für sie eingetreten, ja in letzterem Canton wurde
die kluge Mäßigung des Entwurfs nach dieser Richtung hin ausdrücklich
zum Vorwand genommen, um die Revision als zu wenig weit gehend zu
verwerfen.

Als es nun den vereinigten Anstrengungen dieser ungleichen, theilweise
feindlichen Brüder gelungen war, die Vorlage der neuen Bundesverfassung
zu Falle zu bringen, da fanden sich diese plötzlich an einander geschmiedet
wie zwei Galeerensklaven. Jeder von ihnen hätte gern etwas Besonderes ge¬
than, keiner vermochte es ohne den andern, und der Schluß war, daß eben
beide gar nichts thaten. Vor einem ultramontanen Rückschlag bewahrten
nur die Cantonesen, vor einer Partialrevision die Ultramontanen, für welche
alles und jedes Rütteln am gegenwärtigen Zustand der Dinge ein Verlust
ist. Zwar versucht wurde Mancherlei. Gaspard Mermillod, Pfarrer von
Genf, wäre gern Bischof von Gens geworden. Bisher war er blos Bischof
von Hebron und Generalvicar Marilley's, des Bischofs von Freiburg (früher
Lausanne) und Genf. Durch eine kirchliche Palastrevolution ward Marilley
genöthigt, für Genf abzudanken und Mermillod an seine Stelle gesetzt. Noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/314>, abgerufen am 22.07.2024.