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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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in den Steinbeilen, die dazu dienten um den Schaft aufzunehmen, wurden
gleichfalls mit Sand und Wasser unter Beihilfe eines Stocks herausgeschliffen; auch
dieses Experiment wiederholte Evans, so daß wir über die Art, wie die Alten
ihre Steinwerkzeuge verfertigten, nicht mehr in Zweifel sein können. Wir
haben also folgende Methoden. 1. In der paläolithischen Zeit, jener der
Anschwemmungen, der Driftperiode der Engländer, wurden die Geräthe nur
durch Zuschlagen derselben und zum allergrößten Theile aus Feuerstein her¬
gestellt. 2. In der mittleren Periode, die man auch Renthierzeit genannt
hat, weil damals der Mensch der Steinzeit mit dem jetzt in Mitteleuropa
ausgestorbenen Ren zusammenlebte -- z. B. in den französischen Höhlen und
Schussenried in Schwaben -- war das Schleifen und Poliren noch nicht Ge¬
brauch, aber die Geräthe sind bereits mit weit größerer Sorgfalt als in der
paläolithischen Zeit gearbeitet. 3. In der neolithischen oder Oberflächenzeit
des westlichen Europa kommen außer Feuerstein schon zahlreiche andere Mine¬
ralien zur Verwendung; alle Geräthe sind geschliffen und polirt. 4. Die
Steinwerkzeuge, welche auch während der Bronzezeit noch im Gebrauch bleiben,
zeigen "vollendete, oft feine Formen, schöne, regelmäßige Durchbohrungen und
sorgfältige Politur. Einzelne Pfeilspitzen zeigen eine so vollendete Technik,
als seien sie aus Eisen geschmiedet.

Nachdem Evans uns genau mit der Art und Weise vertraut gemacht,
wie die Menschen der Steinzeit ihre Geräthe darstellten, läßt er die einzelnen
Geräthe Revue Passiren und bespricht deren Gebrauchsanwendung. Er be¬
ginnt, seinem Systeme getreu, mit den neolithischen Funden. Da begegnet
uns zunächst unter den Oberflächengeräthen am häufigsten der Celt oder
Steinmeißel. Es kann kein Zweifel darüber aufkommen, daß der Name dieses
Werkzeugs nichts mit den Kelten zu thun hat, sondern vom lateinischen esltis,
der Meißel, abgeleitet ist. Die Form des Celts ist typisch; er zeigt ein mehr
oder weniger flaches Blatt mit ovalem Querschnitt, mit geraden Seiten und
ist an einem Ende, dem zugeschärften, breiter als am andern; die Länge
wechselt zwischen 2 und 16 Zoll. Es sind dies die Donnerkeile des aber¬
gläubigen Landvolks, welches ihnen übernatürliche Kräfte beimaß. Noch im
Jahre 1734 war die Pariser Akademie über diese "Donnerkeile" im Unklaren,
während doch, wie wir erwähnt, zwanzig Jahre früher in Deutschland der
Marburger Studiosus Oesterling die Sache bereits entschieden hatte. Die
Cette bestehen aus sehr verschiedenem Material, Feuerstein, Thonschiefer,
Porphyr, Serpentin, Grünstein u. f. w. Auch Achat, Jaspis, Obsidian ist
dazu verwandt worden, je nach den Mineralien, die dem Menschen der Stein¬
zeit am leichtesten zur Hand waren. Im südlichen oder östlichen England
war der Feuerstein aus dem Kreidegebirge der am meisten verwandte Stoff,
während im Norden und Westen, wo der Feuerstein selten ist, metamorphische


in den Steinbeilen, die dazu dienten um den Schaft aufzunehmen, wurden
gleichfalls mit Sand und Wasser unter Beihilfe eines Stocks herausgeschliffen; auch
dieses Experiment wiederholte Evans, so daß wir über die Art, wie die Alten
ihre Steinwerkzeuge verfertigten, nicht mehr in Zweifel sein können. Wir
haben also folgende Methoden. 1. In der paläolithischen Zeit, jener der
Anschwemmungen, der Driftperiode der Engländer, wurden die Geräthe nur
durch Zuschlagen derselben und zum allergrößten Theile aus Feuerstein her¬
gestellt. 2. In der mittleren Periode, die man auch Renthierzeit genannt
hat, weil damals der Mensch der Steinzeit mit dem jetzt in Mitteleuropa
ausgestorbenen Ren zusammenlebte — z. B. in den französischen Höhlen und
Schussenried in Schwaben — war das Schleifen und Poliren noch nicht Ge¬
brauch, aber die Geräthe sind bereits mit weit größerer Sorgfalt als in der
paläolithischen Zeit gearbeitet. 3. In der neolithischen oder Oberflächenzeit
des westlichen Europa kommen außer Feuerstein schon zahlreiche andere Mine¬
ralien zur Verwendung; alle Geräthe sind geschliffen und polirt. 4. Die
Steinwerkzeuge, welche auch während der Bronzezeit noch im Gebrauch bleiben,
zeigen "vollendete, oft feine Formen, schöne, regelmäßige Durchbohrungen und
sorgfältige Politur. Einzelne Pfeilspitzen zeigen eine so vollendete Technik,
als seien sie aus Eisen geschmiedet.

Nachdem Evans uns genau mit der Art und Weise vertraut gemacht,
wie die Menschen der Steinzeit ihre Geräthe darstellten, läßt er die einzelnen
Geräthe Revue Passiren und bespricht deren Gebrauchsanwendung. Er be¬
ginnt, seinem Systeme getreu, mit den neolithischen Funden. Da begegnet
uns zunächst unter den Oberflächengeräthen am häufigsten der Celt oder
Steinmeißel. Es kann kein Zweifel darüber aufkommen, daß der Name dieses
Werkzeugs nichts mit den Kelten zu thun hat, sondern vom lateinischen esltis,
der Meißel, abgeleitet ist. Die Form des Celts ist typisch; er zeigt ein mehr
oder weniger flaches Blatt mit ovalem Querschnitt, mit geraden Seiten und
ist an einem Ende, dem zugeschärften, breiter als am andern; die Länge
wechselt zwischen 2 und 16 Zoll. Es sind dies die Donnerkeile des aber¬
gläubigen Landvolks, welches ihnen übernatürliche Kräfte beimaß. Noch im
Jahre 1734 war die Pariser Akademie über diese „Donnerkeile" im Unklaren,
während doch, wie wir erwähnt, zwanzig Jahre früher in Deutschland der
Marburger Studiosus Oesterling die Sache bereits entschieden hatte. Die
Cette bestehen aus sehr verschiedenem Material, Feuerstein, Thonschiefer,
Porphyr, Serpentin, Grünstein u. f. w. Auch Achat, Jaspis, Obsidian ist
dazu verwandt worden, je nach den Mineralien, die dem Menschen der Stein¬
zeit am leichtesten zur Hand waren. Im südlichen oder östlichen England
war der Feuerstein aus dem Kreidegebirge der am meisten verwandte Stoff,
während im Norden und Westen, wo der Feuerstein selten ist, metamorphische


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/307>, abgerufen am 04.07.2024.