Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.einem lebensunfähigen Kleinstaat, aber angesichts der staatbildenden Kraft Dazu kommt weiter etwas: Jener veraltete süddeutsche Liberalismus, So kam man zu dem Princip: Entweder Mißerfolg, oder Erfolg Die W-ihrheit führt ein Schwert, einem lebensunfähigen Kleinstaat, aber angesichts der staatbildenden Kraft Dazu kommt weiter etwas: Jener veraltete süddeutsche Liberalismus, So kam man zu dem Princip: Entweder Mißerfolg, oder Erfolg Die W-ihrheit führt ein Schwert, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128755"/> <p xml:id="ID_984" prev="#ID_983"> einem lebensunfähigen Kleinstaat, aber angesichts der staatbildenden Kraft<lb/> Preußens und der Hohenzollern, namentlich in der zweiten Hälfte des neun¬<lb/> zehnten Jahrhunderts, gelinde ausgedrückt, ein starker Anachronismus ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_985"> Dazu kommt weiter etwas: Jener veraltete süddeutsche Liberalismus,<lb/> welchen wir heut zu Tage vor Allem auch in Süddeutschland als einen<lb/> überwundenen Standpunkt betrachten dürfen, hatte eine Eigenthümlichkeit, wo¬<lb/> durch er sich merkwürdig abhob von dem Parteileben aller übrigen euro¬<lb/> päischen Cultur-Staaten. In den letzteren strebt jede lebensfähige politische<lb/> Partei nach der Gewalt, theils aus Selbsterhaltungstrieb, theils um ihr<lb/> Programm verwirklichen zu können. Der vormärzliche Liberalismus war ent¬<lb/> gegengesetzter Meinung. Er hatte eine wahre Idiosynkrasie. gegen die Arbeit,<lb/> d. h. gegen jede unmittelbaren practischen Erfolg anstrebende Thätigkeit. Statt<lb/> den „Erfolg anzubeten", verabscheute er ihn. Das Streben nach der Gewalt<lb/> war in seinen Augen nicht blos ein Fehler, — es war ein Verbrechen; und<lb/> als endlich der Zufall des Jahres 1848 die bisherigen Führer, halb wider<lb/> deren Willen, an die Spitze der Geschäfte gebracht hatte, galten sie sofort<lb/> als „Verräther"; und im Grunde genommen durften sie sich darüber gar<lb/> nicht beschweren; denn es waren ja nur ihre eigenen Ideen, die sich nun<lb/> gegen sie kehrten. Höchstens galt es für erlaubt, sich von einer revolutionären<lb/> Bewegung tragen zu lassen, wie Danton, welcher (wahrscheinlich ohne die<lb/> „Wahrhaften Geschichten des Freiherrn von Münchhausen" gelesen zu haben)<lb/> behauptete, er sei auf einer Kanonenkugel in das Ministerium geflogen. End¬<lb/> lich als letztes, aber nicht unwichtigstes Moment ist noch jene Unkenntniß<lb/> der praktischen Geschäfte zu erwähnen, welche die Schwierigkeiten unterschätzen<lb/> und die rechtzeitige Anwendung der Mittel zur Ueberwindung derselben ver¬<lb/> absäumen ließ und so zu Mißerfolgen führte, welche letztere man dann, statt<lb/> sie als Folge von Fehlern anzuerkennen, als Tugend glorificirte, indem man<lb/> Ungeschick als Stoicismus erklärte.</p><lb/> <p xml:id="ID_986"> So kam man zu dem Princip: Entweder Mißerfolg, oder Erfolg<lb/> nur durch Umwälzungen; ein Drittes gibt es nicht, oder es ist Abfall und<lb/> Verrath. Auf diesem Wege gelangt man schließlich zu Bebel und Liebknecht,<lb/> und diesen Weg ist Johann Jacoby gegangen. Wir haben dies ohne Haß<lb/> und Gunst nachzuweisen versucht; und wenn unser Urtheil zuweilen etwas<lb/> strenge lautet, so sagen wir zur Entschuldigung mit Johann Jacoby:</p><lb/> <quote> Die W-ihrheit führt ein Schwert,<lb/> Gerechtigkeit<lb/> Hat es geschmiedet.</quote><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0301]
einem lebensunfähigen Kleinstaat, aber angesichts der staatbildenden Kraft
Preußens und der Hohenzollern, namentlich in der zweiten Hälfte des neun¬
zehnten Jahrhunderts, gelinde ausgedrückt, ein starker Anachronismus ist.
Dazu kommt weiter etwas: Jener veraltete süddeutsche Liberalismus,
welchen wir heut zu Tage vor Allem auch in Süddeutschland als einen
überwundenen Standpunkt betrachten dürfen, hatte eine Eigenthümlichkeit, wo¬
durch er sich merkwürdig abhob von dem Parteileben aller übrigen euro¬
päischen Cultur-Staaten. In den letzteren strebt jede lebensfähige politische
Partei nach der Gewalt, theils aus Selbsterhaltungstrieb, theils um ihr
Programm verwirklichen zu können. Der vormärzliche Liberalismus war ent¬
gegengesetzter Meinung. Er hatte eine wahre Idiosynkrasie. gegen die Arbeit,
d. h. gegen jede unmittelbaren practischen Erfolg anstrebende Thätigkeit. Statt
den „Erfolg anzubeten", verabscheute er ihn. Das Streben nach der Gewalt
war in seinen Augen nicht blos ein Fehler, — es war ein Verbrechen; und
als endlich der Zufall des Jahres 1848 die bisherigen Führer, halb wider
deren Willen, an die Spitze der Geschäfte gebracht hatte, galten sie sofort
als „Verräther"; und im Grunde genommen durften sie sich darüber gar
nicht beschweren; denn es waren ja nur ihre eigenen Ideen, die sich nun
gegen sie kehrten. Höchstens galt es für erlaubt, sich von einer revolutionären
Bewegung tragen zu lassen, wie Danton, welcher (wahrscheinlich ohne die
„Wahrhaften Geschichten des Freiherrn von Münchhausen" gelesen zu haben)
behauptete, er sei auf einer Kanonenkugel in das Ministerium geflogen. End¬
lich als letztes, aber nicht unwichtigstes Moment ist noch jene Unkenntniß
der praktischen Geschäfte zu erwähnen, welche die Schwierigkeiten unterschätzen
und die rechtzeitige Anwendung der Mittel zur Ueberwindung derselben ver¬
absäumen ließ und so zu Mißerfolgen führte, welche letztere man dann, statt
sie als Folge von Fehlern anzuerkennen, als Tugend glorificirte, indem man
Ungeschick als Stoicismus erklärte.
So kam man zu dem Princip: Entweder Mißerfolg, oder Erfolg
nur durch Umwälzungen; ein Drittes gibt es nicht, oder es ist Abfall und
Verrath. Auf diesem Wege gelangt man schließlich zu Bebel und Liebknecht,
und diesen Weg ist Johann Jacoby gegangen. Wir haben dies ohne Haß
und Gunst nachzuweisen versucht; und wenn unser Urtheil zuweilen etwas
strenge lautet, so sagen wir zur Entschuldigung mit Johann Jacoby:
Die W-ihrheit führt ein Schwert,
Gerechtigkeit
Hat es geschmiedet.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |