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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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derselbe mit 639 gegen 34 Stimmen angenommen. Während also in Deutsch¬
land die Angehörigen des Heeres wenigstens an den Landtagswahlen Theil
nahmen, ist die demokratische Republik Frankreich zu der wohlbegründeten
Ueberzeugung gelangt, daß sie ihren Kriegern keine Wahl mehr gestatten könne.

Der Artikel 6, welcher folgenden Tags zunächst zur Speeialdebatte gestellt
wurde, hat seine besondere Bedeutung darin, daß durch ihn, wie es auch in
den Motiven ausgesprochen ist, ipso die Nationalgarde aufgehoben
wird, "für die ja ohnehin bei einer Dienstverpflichtung bis 40 Jahr die Ele¬
mente im Lande fehlen würden."

In Frankreich ist fortan jede bewaffnete Truppe, welche sich nicht den
Kriegsbehörden des Staats unterordnet als revolutionär und "Kors ac ki^
loi" zu betrachten, und diese Bestimmung rechtfertigt sich, wenn man bedenkt,
daß Alles, was in Frankreich als Mobilgärde, Nationalgarde, Franctireur-
Compagnie und dergleichen existirte, im gegebenen Augenblicke stets und immer
nichts Anderes als ein schlagfertiges Revolutionseontingent darstellte -- eine
Erfahrung, die sich nie grausamer als bei der Vertheidigung und nach der
Uebergabe von Paris bewährt hat. -- In den Motiven für Artikel 6 wird
außerdem noch hervorgehoben, daß im letzten Kriege den vom Staate beauf¬
tragten bewaffneten Körpern mehrfach die Anerkennung als Soldaten ver¬
weigert worden sei, ein Uebelstand, welchem nur dadurch endgültig vorge¬
beugt werden könne, daß man keine andere bewaffnete Macht als die Armee
dulde. Der Artikel, mit welchem der erste Theil des Wehrgesetzentwurfes
schloß, wurde ohne nennenswerthe Debatte angenommen.

Den zweiten Theil des Wehrgesetzentwurfes bilden die Titel II bis V.
In den "allgemeinen Motiven" heißt es: "Die Armee soll nicht nur eine
kräftig organisirte permanente Macht sein, sondern auch eine große Schule,
in welcher alle Elemente der Nation nach und nach ihren militärischen Unter¬
richt empfangen, ehe sie in das bürgerliche Leben übergehen -- und ein großer
Rahmen, in welchen diese ausgebildeten und nach ihrer Leistungsfähigkeit ver¬
theilten Elemente an dem Tage eintreten, an welchem das Vaterland in seiner
Unabhängigkeit oder in seiner inneren Sicherheit bedroht ist." -- Im Uebrigen
legen die Motive einen großen Nachdruck auf die socialen Zustände Frank¬
reichs und auf die Abnahme des militärischen Geistes in Folge der Zunahme
des Reichthums und des Luxus. Die allgemeine Wehrpflicht werde diesen
Geist wieder neu beleben.

Titelll enthält in seinem ersten Theile (Artikel 8--16) die Bestimmungen
über die Ausführung der Vorarbeiten in den Kantons zum Zwecke der Re-
crutirung.

spätestens am 15. Januar müssen sich alle Militmrpflichtigen des laufenden Jahr¬
ganges auf den Mmrieen anmelden. Die Maires stellen Stammrollen auf. Dann


derselbe mit 639 gegen 34 Stimmen angenommen. Während also in Deutsch¬
land die Angehörigen des Heeres wenigstens an den Landtagswahlen Theil
nahmen, ist die demokratische Republik Frankreich zu der wohlbegründeten
Ueberzeugung gelangt, daß sie ihren Kriegern keine Wahl mehr gestatten könne.

Der Artikel 6, welcher folgenden Tags zunächst zur Speeialdebatte gestellt
wurde, hat seine besondere Bedeutung darin, daß durch ihn, wie es auch in
den Motiven ausgesprochen ist, ipso die Nationalgarde aufgehoben
wird, „für die ja ohnehin bei einer Dienstverpflichtung bis 40 Jahr die Ele¬
mente im Lande fehlen würden."

In Frankreich ist fortan jede bewaffnete Truppe, welche sich nicht den
Kriegsbehörden des Staats unterordnet als revolutionär und „Kors ac ki^
loi" zu betrachten, und diese Bestimmung rechtfertigt sich, wenn man bedenkt,
daß Alles, was in Frankreich als Mobilgärde, Nationalgarde, Franctireur-
Compagnie und dergleichen existirte, im gegebenen Augenblicke stets und immer
nichts Anderes als ein schlagfertiges Revolutionseontingent darstellte — eine
Erfahrung, die sich nie grausamer als bei der Vertheidigung und nach der
Uebergabe von Paris bewährt hat. — In den Motiven für Artikel 6 wird
außerdem noch hervorgehoben, daß im letzten Kriege den vom Staate beauf¬
tragten bewaffneten Körpern mehrfach die Anerkennung als Soldaten ver¬
weigert worden sei, ein Uebelstand, welchem nur dadurch endgültig vorge¬
beugt werden könne, daß man keine andere bewaffnete Macht als die Armee
dulde. Der Artikel, mit welchem der erste Theil des Wehrgesetzentwurfes
schloß, wurde ohne nennenswerthe Debatte angenommen.

Den zweiten Theil des Wehrgesetzentwurfes bilden die Titel II bis V.
In den „allgemeinen Motiven" heißt es: „Die Armee soll nicht nur eine
kräftig organisirte permanente Macht sein, sondern auch eine große Schule,
in welcher alle Elemente der Nation nach und nach ihren militärischen Unter¬
richt empfangen, ehe sie in das bürgerliche Leben übergehen — und ein großer
Rahmen, in welchen diese ausgebildeten und nach ihrer Leistungsfähigkeit ver¬
theilten Elemente an dem Tage eintreten, an welchem das Vaterland in seiner
Unabhängigkeit oder in seiner inneren Sicherheit bedroht ist." — Im Uebrigen
legen die Motive einen großen Nachdruck auf die socialen Zustände Frank¬
reichs und auf die Abnahme des militärischen Geistes in Folge der Zunahme
des Reichthums und des Luxus. Die allgemeine Wehrpflicht werde diesen
Geist wieder neu beleben.

Titelll enthält in seinem ersten Theile (Artikel 8—16) die Bestimmungen
über die Ausführung der Vorarbeiten in den Kantons zum Zwecke der Re-
crutirung.

spätestens am 15. Januar müssen sich alle Militmrpflichtigen des laufenden Jahr¬
ganges auf den Mmrieen anmelden. Die Maires stellen Stammrollen auf. Dann


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[0263] derselbe mit 639 gegen 34 Stimmen angenommen. Während also in Deutsch¬ land die Angehörigen des Heeres wenigstens an den Landtagswahlen Theil nahmen, ist die demokratische Republik Frankreich zu der wohlbegründeten Ueberzeugung gelangt, daß sie ihren Kriegern keine Wahl mehr gestatten könne. Der Artikel 6, welcher folgenden Tags zunächst zur Speeialdebatte gestellt wurde, hat seine besondere Bedeutung darin, daß durch ihn, wie es auch in den Motiven ausgesprochen ist, ipso die Nationalgarde aufgehoben wird, „für die ja ohnehin bei einer Dienstverpflichtung bis 40 Jahr die Ele¬ mente im Lande fehlen würden." In Frankreich ist fortan jede bewaffnete Truppe, welche sich nicht den Kriegsbehörden des Staats unterordnet als revolutionär und „Kors ac ki^ loi" zu betrachten, und diese Bestimmung rechtfertigt sich, wenn man bedenkt, daß Alles, was in Frankreich als Mobilgärde, Nationalgarde, Franctireur- Compagnie und dergleichen existirte, im gegebenen Augenblicke stets und immer nichts Anderes als ein schlagfertiges Revolutionseontingent darstellte — eine Erfahrung, die sich nie grausamer als bei der Vertheidigung und nach der Uebergabe von Paris bewährt hat. — In den Motiven für Artikel 6 wird außerdem noch hervorgehoben, daß im letzten Kriege den vom Staate beauf¬ tragten bewaffneten Körpern mehrfach die Anerkennung als Soldaten ver¬ weigert worden sei, ein Uebelstand, welchem nur dadurch endgültig vorge¬ beugt werden könne, daß man keine andere bewaffnete Macht als die Armee dulde. Der Artikel, mit welchem der erste Theil des Wehrgesetzentwurfes schloß, wurde ohne nennenswerthe Debatte angenommen. Den zweiten Theil des Wehrgesetzentwurfes bilden die Titel II bis V. In den „allgemeinen Motiven" heißt es: „Die Armee soll nicht nur eine kräftig organisirte permanente Macht sein, sondern auch eine große Schule, in welcher alle Elemente der Nation nach und nach ihren militärischen Unter¬ richt empfangen, ehe sie in das bürgerliche Leben übergehen — und ein großer Rahmen, in welchen diese ausgebildeten und nach ihrer Leistungsfähigkeit ver¬ theilten Elemente an dem Tage eintreten, an welchem das Vaterland in seiner Unabhängigkeit oder in seiner inneren Sicherheit bedroht ist." — Im Uebrigen legen die Motive einen großen Nachdruck auf die socialen Zustände Frank¬ reichs und auf die Abnahme des militärischen Geistes in Folge der Zunahme des Reichthums und des Luxus. Die allgemeine Wehrpflicht werde diesen Geist wieder neu beleben. Titelll enthält in seinem ersten Theile (Artikel 8—16) die Bestimmungen über die Ausführung der Vorarbeiten in den Kantons zum Zwecke der Re- crutirung. spätestens am 15. Januar müssen sich alle Militmrpflichtigen des laufenden Jahr¬ ganges auf den Mmrieen anmelden. Die Maires stellen Stammrollen auf. Dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/263>, abgerufen am 04.07.2024.