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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Artikel 1. Jeder Franzose ist zum persönlichen Kriegsdienst verpflichtet.

Artikel 2. Bei den französischen Truppen gibt es weder Geldprämien noch irgend
welchen Engagements-Preis.

Artikel 3. Jeder Franzose, der nicht zu jedem militärischen Dienst untauglich
erklärt worden ist, kann vom 20. bis zum 40. Lebensjahr nach dem vom Gesetz be¬
stimmten Modus zum stehenden Heere oder zu den.Reserven einberufen werden.

Artikel 4. Die Stellvertretung ist aufgehoben. Dispensationen vom Dienst in den
vom Gesetz bezeichneten Fällen schließen keine definitive Dienstbefreiung in sich.

Artikel S. Die unter den Fahnen befindlichen Männer nehmen an keinem Wahl¬
act Theil.

Artikel 6. Jede organisirte und bewaffnete Abtheilung ist den militairischen Ge¬
setzen unterworfen und gehört zur Armee. Sie ressortirt entweder vom Kriegs - oder
Marineminister.

Artikel 7. In das französische Heer wird Niemand zugelassen, der nicht Fran¬
zose ist. Vom Kriegsdienst sind ausgeschlossen und können unter keinerlei Vorwand in
der Armee dienen:

1) Diejenigen Personen, welche zu einer Leibes- oder schimpflichen Strafe verur¬
theilt gewesen sind;

2) diejenigen Personen, welche zu einer Correctionsstrafe von 2 Jahren Gefängniß
und darüber, und außerdem durch richterliches Erkenntniß zur Stellung unter Polizei-
Aufsicht und zur ganzen oder theilweisen Untersagung der städtischen und staatlichen
Bürgerrechte oder der Familienrechte verurtheilt worden sind.

Die Artikel 1 bis 4 wurden fast ohne Discussion angenommen; sie
schließen sich eng an das deutsche Vorbild an*), auf welches der Anfang des
Commissionsberichtes mit denselben Worten hinwies, mit denen Napoleon III.
zu Wilhelmshöhe seine Neorganisationsvorschläge einleitete: "Große Nieder¬
lagen schließen große Lehren in sich." -- Die Artikel S und K sind wesentlich
politischer Natur. In ihnen kommen die Erfahrungen zum Ausdruck, welche
man im Jahre 1870 vom Mai-Plebiscit an bis zu den Erfahrungen mit den
Franctireurs vom October gemacht.

Ueber Artikel 3 (Nichttheilnahme an den Wähler) entspann sich eine
längere Debatte.

Gegen diesen Artikel trat besonders ein radicaler Lyoner, Herr Millcmd,
in die Schranken. Er sieht in Artikel 5 einen Anachronismus in einem Ge¬
setze, das aus allen Bürgern Soldaten, aus allen Scldaten Bürger machen
will, und meint, die Revanche sei überhaupt nur unde: der Bedingung mög¬
lich, daß man eine wahrhaft nationale Armee schaffe. Da aber nicht nur der
Berichterstatter, der Kriegsminister und General Dunod, sondern merkwür¬
digerweise auch Herr Gcunbetta zu Gunsten des Artikels 6 sprachen, so wurde



-) Artikel 57 der Reichsverfassung und Gesetz vom 9. Nov. 18t7 betreffend die Verpflichtung
zum Kriegsdienste.

Artikel 1. Jeder Franzose ist zum persönlichen Kriegsdienst verpflichtet.

Artikel 2. Bei den französischen Truppen gibt es weder Geldprämien noch irgend
welchen Engagements-Preis.

Artikel 3. Jeder Franzose, der nicht zu jedem militärischen Dienst untauglich
erklärt worden ist, kann vom 20. bis zum 40. Lebensjahr nach dem vom Gesetz be¬
stimmten Modus zum stehenden Heere oder zu den.Reserven einberufen werden.

Artikel 4. Die Stellvertretung ist aufgehoben. Dispensationen vom Dienst in den
vom Gesetz bezeichneten Fällen schließen keine definitive Dienstbefreiung in sich.

Artikel S. Die unter den Fahnen befindlichen Männer nehmen an keinem Wahl¬
act Theil.

Artikel 6. Jede organisirte und bewaffnete Abtheilung ist den militairischen Ge¬
setzen unterworfen und gehört zur Armee. Sie ressortirt entweder vom Kriegs - oder
Marineminister.

Artikel 7. In das französische Heer wird Niemand zugelassen, der nicht Fran¬
zose ist. Vom Kriegsdienst sind ausgeschlossen und können unter keinerlei Vorwand in
der Armee dienen:

1) Diejenigen Personen, welche zu einer Leibes- oder schimpflichen Strafe verur¬
theilt gewesen sind;

2) diejenigen Personen, welche zu einer Correctionsstrafe von 2 Jahren Gefängniß
und darüber, und außerdem durch richterliches Erkenntniß zur Stellung unter Polizei-
Aufsicht und zur ganzen oder theilweisen Untersagung der städtischen und staatlichen
Bürgerrechte oder der Familienrechte verurtheilt worden sind.

Die Artikel 1 bis 4 wurden fast ohne Discussion angenommen; sie
schließen sich eng an das deutsche Vorbild an*), auf welches der Anfang des
Commissionsberichtes mit denselben Worten hinwies, mit denen Napoleon III.
zu Wilhelmshöhe seine Neorganisationsvorschläge einleitete: „Große Nieder¬
lagen schließen große Lehren in sich." — Die Artikel S und K sind wesentlich
politischer Natur. In ihnen kommen die Erfahrungen zum Ausdruck, welche
man im Jahre 1870 vom Mai-Plebiscit an bis zu den Erfahrungen mit den
Franctireurs vom October gemacht.

Ueber Artikel 3 (Nichttheilnahme an den Wähler) entspann sich eine
längere Debatte.

Gegen diesen Artikel trat besonders ein radicaler Lyoner, Herr Millcmd,
in die Schranken. Er sieht in Artikel 5 einen Anachronismus in einem Ge¬
setze, das aus allen Bürgern Soldaten, aus allen Scldaten Bürger machen
will, und meint, die Revanche sei überhaupt nur unde: der Bedingung mög¬
lich, daß man eine wahrhaft nationale Armee schaffe. Da aber nicht nur der
Berichterstatter, der Kriegsminister und General Dunod, sondern merkwür¬
digerweise auch Herr Gcunbetta zu Gunsten des Artikels 6 sprachen, so wurde



-) Artikel 57 der Reichsverfassung und Gesetz vom 9. Nov. 18t7 betreffend die Verpflichtung
zum Kriegsdienste.
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[0262] Artikel 1. Jeder Franzose ist zum persönlichen Kriegsdienst verpflichtet. Artikel 2. Bei den französischen Truppen gibt es weder Geldprämien noch irgend welchen Engagements-Preis. Artikel 3. Jeder Franzose, der nicht zu jedem militärischen Dienst untauglich erklärt worden ist, kann vom 20. bis zum 40. Lebensjahr nach dem vom Gesetz be¬ stimmten Modus zum stehenden Heere oder zu den.Reserven einberufen werden. Artikel 4. Die Stellvertretung ist aufgehoben. Dispensationen vom Dienst in den vom Gesetz bezeichneten Fällen schließen keine definitive Dienstbefreiung in sich. Artikel S. Die unter den Fahnen befindlichen Männer nehmen an keinem Wahl¬ act Theil. Artikel 6. Jede organisirte und bewaffnete Abtheilung ist den militairischen Ge¬ setzen unterworfen und gehört zur Armee. Sie ressortirt entweder vom Kriegs - oder Marineminister. Artikel 7. In das französische Heer wird Niemand zugelassen, der nicht Fran¬ zose ist. Vom Kriegsdienst sind ausgeschlossen und können unter keinerlei Vorwand in der Armee dienen: 1) Diejenigen Personen, welche zu einer Leibes- oder schimpflichen Strafe verur¬ theilt gewesen sind; 2) diejenigen Personen, welche zu einer Correctionsstrafe von 2 Jahren Gefängniß und darüber, und außerdem durch richterliches Erkenntniß zur Stellung unter Polizei- Aufsicht und zur ganzen oder theilweisen Untersagung der städtischen und staatlichen Bürgerrechte oder der Familienrechte verurtheilt worden sind. Die Artikel 1 bis 4 wurden fast ohne Discussion angenommen; sie schließen sich eng an das deutsche Vorbild an*), auf welches der Anfang des Commissionsberichtes mit denselben Worten hinwies, mit denen Napoleon III. zu Wilhelmshöhe seine Neorganisationsvorschläge einleitete: „Große Nieder¬ lagen schließen große Lehren in sich." — Die Artikel S und K sind wesentlich politischer Natur. In ihnen kommen die Erfahrungen zum Ausdruck, welche man im Jahre 1870 vom Mai-Plebiscit an bis zu den Erfahrungen mit den Franctireurs vom October gemacht. Ueber Artikel 3 (Nichttheilnahme an den Wähler) entspann sich eine längere Debatte. Gegen diesen Artikel trat besonders ein radicaler Lyoner, Herr Millcmd, in die Schranken. Er sieht in Artikel 5 einen Anachronismus in einem Ge¬ setze, das aus allen Bürgern Soldaten, aus allen Scldaten Bürger machen will, und meint, die Revanche sei überhaupt nur unde: der Bedingung mög¬ lich, daß man eine wahrhaft nationale Armee schaffe. Da aber nicht nur der Berichterstatter, der Kriegsminister und General Dunod, sondern merkwür¬ digerweise auch Herr Gcunbetta zu Gunsten des Artikels 6 sprachen, so wurde -) Artikel 57 der Reichsverfassung und Gesetz vom 9. Nov. 18t7 betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/262>, abgerufen am 04.07.2024.