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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ist der Unterschied eines plötzlichen allgemeinen Aufgebots von der deutschen
allgemeinen Wehrpflicht!

Wenn die gewaltige Armee der Hauptstadt ebenso tüchtig als groß
gewesen wäre, so hätte man Paris und seine Umgebung mit einem Radius
von etwa 20 Kilometer sehr wol activ vertheidigen können; denn die deutsche
Armee, welche die Cernirung unternahm, war nur 122,000 Mann Fußvolk
und 24,000 Reiter, also noch nicht halb so stark als die pariser Armee und
auf jeden Schritt der Cernirungslinie kam wenig mehr als ein Infanterist.
Doch die französischen Truppen hatten ein deutliches Gefühl ihres geringeren
Werthes; sie beschränkten sich ausschließlich auf die militärische Zone der
Forts, und Trochu forderte die Bewohner der Umgebung auf, mit Lebens¬
mitteln nach Paris zu kommen.*)

Trochu selbst bekennt/*) daß er die Absicht, Paris ohne Hilfsarmee zu
vertheidigen, als eine "luZMizinz tolle" betrachtet und bezeichnet habe; diese
Vertheidigung sei aber unumgänglich nöthig gewesen, um Frankreichs Ehre
zu retten, -- Trotz der 400,000 Bewaffneten, welche Paris umschloß, hatte
Trochu, als am 17. September die preußischen Kolonnen vor Paris an¬
langten, nur über 86,000 noch nicht vollständig ausgebildete Mannschaften
zur Verwendung im freien Felde zu gebieten, da er 100,000 M. bedürfte, um
täglich die Außenwerke, die Forts und die Wälle der Stadtbefestigung besetzen
zu können. Die dem Feinde bei CHZMon entgegengeworfenen jungen Trup¬
pen (28,000 M. des 14. Korps) vermochten nicht, dem feindlichen Artillerie¬
feuer zu widerstehen. Folgenden Tages erließen Gambetta und Trochu,
wie sich denken läßt, fulminante Proclamationen, und eine Stelle des sehr
schwachen militärischen Berichtes wurde berühmt in Paris, die Phrase:
"Einige unserer Soldaten haben sich mit bedauerlicher Eile zurückgezogen."
Seit diesem Tage wurde das Arretiren von Soldaten zu einer wahren Manie
der Nationalgarde und selbst Officiere entgingen ihrer Wuth nicht. Ende
September glaubte Trochu ein besonderes Exempel statuiren zu müssen: 21




") "Da begann", so schildert ein berühmter Kunstgclehrtcr (Viollei in Duc) jene Tage,
"diese geduldete Plünderung, die viel beitrug, die Armee zu demoralisiren. Da begann die
unnütze, gehässige, wilde Verwüstung, die bis zum letzten Tage der Belagerung fortdauerte,
ein Schandfleck auf dem Bilde einer großen Tragödie voller Beispiele des Heldenmuths, der
Erbarmung, der Entsagung, Der erbittertste Feind hätte es uicht schlimmer machen können.
Die Bataillone der Mobilgarde und Linie, dann der Nationalgarde (als min'elrs) und der
Frauctireurs schlugen Alles entzwei: Thüren, Meubles, Fenster, wühlten Gärten um, in der
Hoffnung, versteckte Lebensmittel zu finden und plünderten die Keller. Wie viel dieser Häuser
habe ich gesellen -- sonst die Freude der Besitzer -- geschwärzt durch Feuer, mit eingesunkenen
Dach, angefüllt mit Unrath, Was sollen die Feinde, die heute in diesen Dörfern wohnen,
von unseren Sitten denken!"
Hu" i>"gs a'Iüstoiro eolltomxorAins ÄLvant I'assLmlzlöL nativrmlg p-rr lo (Z^nor-ri
^rooliu. ?-rils 1871.

ist der Unterschied eines plötzlichen allgemeinen Aufgebots von der deutschen
allgemeinen Wehrpflicht!

Wenn die gewaltige Armee der Hauptstadt ebenso tüchtig als groß
gewesen wäre, so hätte man Paris und seine Umgebung mit einem Radius
von etwa 20 Kilometer sehr wol activ vertheidigen können; denn die deutsche
Armee, welche die Cernirung unternahm, war nur 122,000 Mann Fußvolk
und 24,000 Reiter, also noch nicht halb so stark als die pariser Armee und
auf jeden Schritt der Cernirungslinie kam wenig mehr als ein Infanterist.
Doch die französischen Truppen hatten ein deutliches Gefühl ihres geringeren
Werthes; sie beschränkten sich ausschließlich auf die militärische Zone der
Forts, und Trochu forderte die Bewohner der Umgebung auf, mit Lebens¬
mitteln nach Paris zu kommen.*)

Trochu selbst bekennt/*) daß er die Absicht, Paris ohne Hilfsarmee zu
vertheidigen, als eine „luZMizinz tolle" betrachtet und bezeichnet habe; diese
Vertheidigung sei aber unumgänglich nöthig gewesen, um Frankreichs Ehre
zu retten, — Trotz der 400,000 Bewaffneten, welche Paris umschloß, hatte
Trochu, als am 17. September die preußischen Kolonnen vor Paris an¬
langten, nur über 86,000 noch nicht vollständig ausgebildete Mannschaften
zur Verwendung im freien Felde zu gebieten, da er 100,000 M. bedürfte, um
täglich die Außenwerke, die Forts und die Wälle der Stadtbefestigung besetzen
zu können. Die dem Feinde bei CHZMon entgegengeworfenen jungen Trup¬
pen (28,000 M. des 14. Korps) vermochten nicht, dem feindlichen Artillerie¬
feuer zu widerstehen. Folgenden Tages erließen Gambetta und Trochu,
wie sich denken läßt, fulminante Proclamationen, und eine Stelle des sehr
schwachen militärischen Berichtes wurde berühmt in Paris, die Phrase:
„Einige unserer Soldaten haben sich mit bedauerlicher Eile zurückgezogen."
Seit diesem Tage wurde das Arretiren von Soldaten zu einer wahren Manie
der Nationalgarde und selbst Officiere entgingen ihrer Wuth nicht. Ende
September glaubte Trochu ein besonderes Exempel statuiren zu müssen: 21




") „Da begann", so schildert ein berühmter Kunstgclehrtcr (Viollei in Duc) jene Tage,
„diese geduldete Plünderung, die viel beitrug, die Armee zu demoralisiren. Da begann die
unnütze, gehässige, wilde Verwüstung, die bis zum letzten Tage der Belagerung fortdauerte,
ein Schandfleck auf dem Bilde einer großen Tragödie voller Beispiele des Heldenmuths, der
Erbarmung, der Entsagung, Der erbittertste Feind hätte es uicht schlimmer machen können.
Die Bataillone der Mobilgarde und Linie, dann der Nationalgarde (als min'elrs) und der
Frauctireurs schlugen Alles entzwei: Thüren, Meubles, Fenster, wühlten Gärten um, in der
Hoffnung, versteckte Lebensmittel zu finden und plünderten die Keller. Wie viel dieser Häuser
habe ich gesellen — sonst die Freude der Besitzer — geschwärzt durch Feuer, mit eingesunkenen
Dach, angefüllt mit Unrath, Was sollen die Feinde, die heute in diesen Dörfern wohnen,
von unseren Sitten denken!"
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[0224] ist der Unterschied eines plötzlichen allgemeinen Aufgebots von der deutschen allgemeinen Wehrpflicht! Wenn die gewaltige Armee der Hauptstadt ebenso tüchtig als groß gewesen wäre, so hätte man Paris und seine Umgebung mit einem Radius von etwa 20 Kilometer sehr wol activ vertheidigen können; denn die deutsche Armee, welche die Cernirung unternahm, war nur 122,000 Mann Fußvolk und 24,000 Reiter, also noch nicht halb so stark als die pariser Armee und auf jeden Schritt der Cernirungslinie kam wenig mehr als ein Infanterist. Doch die französischen Truppen hatten ein deutliches Gefühl ihres geringeren Werthes; sie beschränkten sich ausschließlich auf die militärische Zone der Forts, und Trochu forderte die Bewohner der Umgebung auf, mit Lebens¬ mitteln nach Paris zu kommen.*) Trochu selbst bekennt/*) daß er die Absicht, Paris ohne Hilfsarmee zu vertheidigen, als eine „luZMizinz tolle" betrachtet und bezeichnet habe; diese Vertheidigung sei aber unumgänglich nöthig gewesen, um Frankreichs Ehre zu retten, — Trotz der 400,000 Bewaffneten, welche Paris umschloß, hatte Trochu, als am 17. September die preußischen Kolonnen vor Paris an¬ langten, nur über 86,000 noch nicht vollständig ausgebildete Mannschaften zur Verwendung im freien Felde zu gebieten, da er 100,000 M. bedürfte, um täglich die Außenwerke, die Forts und die Wälle der Stadtbefestigung besetzen zu können. Die dem Feinde bei CHZMon entgegengeworfenen jungen Trup¬ pen (28,000 M. des 14. Korps) vermochten nicht, dem feindlichen Artillerie¬ feuer zu widerstehen. Folgenden Tages erließen Gambetta und Trochu, wie sich denken läßt, fulminante Proclamationen, und eine Stelle des sehr schwachen militärischen Berichtes wurde berühmt in Paris, die Phrase: „Einige unserer Soldaten haben sich mit bedauerlicher Eile zurückgezogen." Seit diesem Tage wurde das Arretiren von Soldaten zu einer wahren Manie der Nationalgarde und selbst Officiere entgingen ihrer Wuth nicht. Ende September glaubte Trochu ein besonderes Exempel statuiren zu müssen: 21 ") „Da begann", so schildert ein berühmter Kunstgclehrtcr (Viollei in Duc) jene Tage, „diese geduldete Plünderung, die viel beitrug, die Armee zu demoralisiren. Da begann die unnütze, gehässige, wilde Verwüstung, die bis zum letzten Tage der Belagerung fortdauerte, ein Schandfleck auf dem Bilde einer großen Tragödie voller Beispiele des Heldenmuths, der Erbarmung, der Entsagung, Der erbittertste Feind hätte es uicht schlimmer machen können. Die Bataillone der Mobilgarde und Linie, dann der Nationalgarde (als min'elrs) und der Frauctireurs schlugen Alles entzwei: Thüren, Meubles, Fenster, wühlten Gärten um, in der Hoffnung, versteckte Lebensmittel zu finden und plünderten die Keller. Wie viel dieser Häuser habe ich gesellen — sonst die Freude der Besitzer — geschwärzt durch Feuer, mit eingesunkenen Dach, angefüllt mit Unrath, Was sollen die Feinde, die heute in diesen Dörfern wohnen, von unseren Sitten denken!" Hu» i>»gs a'Iüstoiro eolltomxorAins ÄLvant I'assLmlzlöL nativrmlg p-rr lo (Z^nor-ri ^rooliu. ?-rils 1871.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/224>, abgerufen am 22.07.2024.