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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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fremd, wie dessen Trieb zur Arbeit. Am liebsten lebt er träge in den Tag
hinein, und ein Gewerbe, welches viel Muskelanstrengung oder viel Sitzfleisch
erfordert, ist niemals sein Geschmack. Auf das Lügen und Täuschen versteht
er sich aus dem Grunde. Leichtsinnig läßt er jeden Tag für das Seine sorgen
und für die fernere Zukunft den Zufall walten, eine Leichtlebigkeit, die ver¬
muthlich neben seiner Furcht vor dem Tode Ursache gewesen ist, wenn man
fast nie von Selbstmorden unter den Zigeunern gehört hat. -- Ein
übler Charakterzug wieder ist von ihm seine Unbarmherzigkeit gegen
Thiere. Seine Pferde strengt er bei kargen Futter über Maß und Gebühr an.
Mitleidslos hält er den gefangenen Igel, während derselbe noch lebt, an sein
Lagerfeuer, um ihm die Stacheln abzusengen. Aeußerst unreinlich und lieder¬
lich, liebt er doch Putz und Prunk. Die Weiber kleiden sich, soweit möglich,
in schreiende Farben und stecken sich, wenn nicht goldene, Ringe von Silber
oder Messing an die Finger. Der Mann trägt, wenn er's haben kann, eine
Schnurenpikesche, einen Jägerhut mit Federn und hohe Stiefel, welche die
Beinkleider bis an die Knie aufnehmen. Gern sieht er's, wenn der Rock einen
grünen Kragen und eben solche Aufschläge hat. Denn Grün bedeutet, daß er
nach Zigeunerbegriffen ein unbescholtener Mann ist. Wer vom Hauptmann
für ehrlos erklärt ist, darf nichts Grünes an sich tragen. Recht komisch sieht
es aus, wenn man Zigeunern begegnet, an deren Fingern dicke Siegelringe
blitzen, während ihnen das schmutzige Hemd aus den Ellbogen der Jacke hängt,
und an deren zerrissenem Schuhwerk mächtige silberne Pfundsporen klirren.
Unter dem Geschirr eines nicht allzuarmen Zigeunerhaushalts befindet sich
stets ein silberner Becher, der ihnen niemals feil ist. Wohlhabende Familien,
deren es unter den Zigeunern mehr giebt, als man nach ihrem bettelhafter
Auftreten vermuthen sollte, führen einen förmlichen Schatz von Pretiosen
Ketten, Ringen, Dosen, Uhren von Gold und massiv silbernes Tischgeräthe
mit sich herum.

Zur Nahrung dient dem Zigeuner jede Speise, die der Landmann zu
genießen Pflegt. Doch zieht er Fleisch, besonders recht settes, der Pflanzenkost
vor. Nur kommt ihm nicht häufig diese Lieblingsspeise vor den Mund, wie
schon seine Bezeichnung des Sonntags andeutet, der bei ihm "Masello Dioch",
d. i. Fleischtag, heißt. Igel, Eichhörnchen, Frösche, desgleichen junge Gänse
und Enten, die er den Bauern mit Angelruthen wegzufangen versteht, sind
ihm Leckerbissen. Fleisch von gefallenem Mes, selbst Aas verzehrt er ohne Ekel.
Dagegen ist er nicht dahin zu bringen, Pferdefleisch zu genießen. Wenn der
Igel durch Absengen von seinen Stacheln befreit, gebrüht, ausgeschlachtet und
reichlich mit Zwiebeln und Knoblauch gespickt ist, wird er am Spieß gebraten
oder in Essig gedämpft und dann ohne anderes Gewürz, selbst ohne Salz,
begierig verschlungen. Aehnlich verfährt man mit dem Eichhörnchen, Der


fremd, wie dessen Trieb zur Arbeit. Am liebsten lebt er träge in den Tag
hinein, und ein Gewerbe, welches viel Muskelanstrengung oder viel Sitzfleisch
erfordert, ist niemals sein Geschmack. Auf das Lügen und Täuschen versteht
er sich aus dem Grunde. Leichtsinnig läßt er jeden Tag für das Seine sorgen
und für die fernere Zukunft den Zufall walten, eine Leichtlebigkeit, die ver¬
muthlich neben seiner Furcht vor dem Tode Ursache gewesen ist, wenn man
fast nie von Selbstmorden unter den Zigeunern gehört hat. — Ein
übler Charakterzug wieder ist von ihm seine Unbarmherzigkeit gegen
Thiere. Seine Pferde strengt er bei kargen Futter über Maß und Gebühr an.
Mitleidslos hält er den gefangenen Igel, während derselbe noch lebt, an sein
Lagerfeuer, um ihm die Stacheln abzusengen. Aeußerst unreinlich und lieder¬
lich, liebt er doch Putz und Prunk. Die Weiber kleiden sich, soweit möglich,
in schreiende Farben und stecken sich, wenn nicht goldene, Ringe von Silber
oder Messing an die Finger. Der Mann trägt, wenn er's haben kann, eine
Schnurenpikesche, einen Jägerhut mit Federn und hohe Stiefel, welche die
Beinkleider bis an die Knie aufnehmen. Gern sieht er's, wenn der Rock einen
grünen Kragen und eben solche Aufschläge hat. Denn Grün bedeutet, daß er
nach Zigeunerbegriffen ein unbescholtener Mann ist. Wer vom Hauptmann
für ehrlos erklärt ist, darf nichts Grünes an sich tragen. Recht komisch sieht
es aus, wenn man Zigeunern begegnet, an deren Fingern dicke Siegelringe
blitzen, während ihnen das schmutzige Hemd aus den Ellbogen der Jacke hängt,
und an deren zerrissenem Schuhwerk mächtige silberne Pfundsporen klirren.
Unter dem Geschirr eines nicht allzuarmen Zigeunerhaushalts befindet sich
stets ein silberner Becher, der ihnen niemals feil ist. Wohlhabende Familien,
deren es unter den Zigeunern mehr giebt, als man nach ihrem bettelhafter
Auftreten vermuthen sollte, führen einen förmlichen Schatz von Pretiosen
Ketten, Ringen, Dosen, Uhren von Gold und massiv silbernes Tischgeräthe
mit sich herum.

Zur Nahrung dient dem Zigeuner jede Speise, die der Landmann zu
genießen Pflegt. Doch zieht er Fleisch, besonders recht settes, der Pflanzenkost
vor. Nur kommt ihm nicht häufig diese Lieblingsspeise vor den Mund, wie
schon seine Bezeichnung des Sonntags andeutet, der bei ihm „Masello Dioch",
d. i. Fleischtag, heißt. Igel, Eichhörnchen, Frösche, desgleichen junge Gänse
und Enten, die er den Bauern mit Angelruthen wegzufangen versteht, sind
ihm Leckerbissen. Fleisch von gefallenem Mes, selbst Aas verzehrt er ohne Ekel.
Dagegen ist er nicht dahin zu bringen, Pferdefleisch zu genießen. Wenn der
Igel durch Absengen von seinen Stacheln befreit, gebrüht, ausgeschlachtet und
reichlich mit Zwiebeln und Knoblauch gespickt ist, wird er am Spieß gebraten
oder in Essig gedämpft und dann ohne anderes Gewürz, selbst ohne Salz,
begierig verschlungen. Aehnlich verfährt man mit dem Eichhörnchen, Der


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[0213] fremd, wie dessen Trieb zur Arbeit. Am liebsten lebt er träge in den Tag hinein, und ein Gewerbe, welches viel Muskelanstrengung oder viel Sitzfleisch erfordert, ist niemals sein Geschmack. Auf das Lügen und Täuschen versteht er sich aus dem Grunde. Leichtsinnig läßt er jeden Tag für das Seine sorgen und für die fernere Zukunft den Zufall walten, eine Leichtlebigkeit, die ver¬ muthlich neben seiner Furcht vor dem Tode Ursache gewesen ist, wenn man fast nie von Selbstmorden unter den Zigeunern gehört hat. — Ein übler Charakterzug wieder ist von ihm seine Unbarmherzigkeit gegen Thiere. Seine Pferde strengt er bei kargen Futter über Maß und Gebühr an. Mitleidslos hält er den gefangenen Igel, während derselbe noch lebt, an sein Lagerfeuer, um ihm die Stacheln abzusengen. Aeußerst unreinlich und lieder¬ lich, liebt er doch Putz und Prunk. Die Weiber kleiden sich, soweit möglich, in schreiende Farben und stecken sich, wenn nicht goldene, Ringe von Silber oder Messing an die Finger. Der Mann trägt, wenn er's haben kann, eine Schnurenpikesche, einen Jägerhut mit Federn und hohe Stiefel, welche die Beinkleider bis an die Knie aufnehmen. Gern sieht er's, wenn der Rock einen grünen Kragen und eben solche Aufschläge hat. Denn Grün bedeutet, daß er nach Zigeunerbegriffen ein unbescholtener Mann ist. Wer vom Hauptmann für ehrlos erklärt ist, darf nichts Grünes an sich tragen. Recht komisch sieht es aus, wenn man Zigeunern begegnet, an deren Fingern dicke Siegelringe blitzen, während ihnen das schmutzige Hemd aus den Ellbogen der Jacke hängt, und an deren zerrissenem Schuhwerk mächtige silberne Pfundsporen klirren. Unter dem Geschirr eines nicht allzuarmen Zigeunerhaushalts befindet sich stets ein silberner Becher, der ihnen niemals feil ist. Wohlhabende Familien, deren es unter den Zigeunern mehr giebt, als man nach ihrem bettelhafter Auftreten vermuthen sollte, führen einen förmlichen Schatz von Pretiosen Ketten, Ringen, Dosen, Uhren von Gold und massiv silbernes Tischgeräthe mit sich herum. Zur Nahrung dient dem Zigeuner jede Speise, die der Landmann zu genießen Pflegt. Doch zieht er Fleisch, besonders recht settes, der Pflanzenkost vor. Nur kommt ihm nicht häufig diese Lieblingsspeise vor den Mund, wie schon seine Bezeichnung des Sonntags andeutet, der bei ihm „Masello Dioch", d. i. Fleischtag, heißt. Igel, Eichhörnchen, Frösche, desgleichen junge Gänse und Enten, die er den Bauern mit Angelruthen wegzufangen versteht, sind ihm Leckerbissen. Fleisch von gefallenem Mes, selbst Aas verzehrt er ohne Ekel. Dagegen ist er nicht dahin zu bringen, Pferdefleisch zu genießen. Wenn der Igel durch Absengen von seinen Stacheln befreit, gebrüht, ausgeschlachtet und reichlich mit Zwiebeln und Knoblauch gespickt ist, wird er am Spieß gebraten oder in Essig gedämpft und dann ohne anderes Gewürz, selbst ohne Salz, begierig verschlungen. Aehnlich verfährt man mit dem Eichhörnchen, Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/213>, abgerufen am 04.07.2024.