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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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ausgeweitete Fuchs dagegen muß einige Tage in fließendem Wasser liegen
und wird dann in einem tüchtig ausgeheizten Erdloche, mit Laub und Sand
und darüber mit glühender Asche bedeckt, gebacken. Zu seinem Salat verwendet
der Zigeuner gern eine Pflanze, die das Volk Zigeunersalat benennt, ferner
die Melde und die Blätter des Löwenzahns.

Geistige Getränke nimmt der Zigeuner, wenn er sie haben kann, in
Massen zu sich. Selbst Kinder bekommen schon in zartem Alter Branntwein
zu trinken, der neben der Zwiebel und dem Safran als Universalheilmittel
gilt. Liebich erzählt^): "Mir ist ein etwa 23 Jahre zählendes Zigeunerweib
vorgekommen, welches ein ganzes Quart Branntwein auf Einem Sitze, ich
könnte fast sagen, in Einem Zuge, ohne betrunken zu werden, bis auf den
letzten Tropfen zu leeren vermochte, und von welchem dessen mit gleich er¬
staunenswerther Gabe ausgerüsteter Ehemann versicherte, daß es noch mehr zu
bezwingen im Stande sei." "Wein zieht er dem Branntwein vor, Bier aber setzt er
ihm nach. Ein gleich großes Bedürfniß ist ihm der Tabak, den er raucht, schnupft,
kaut, ja sogar mit Lust und Begierde verschlingt. Ich selbst habe gesehen, daß
eine Zigeunerin den ganzen Inhalt einer ziemlich großen Tabaksdose mit Ver¬
gnügen auffraß. Die Ziegen machen es ebenso." "Als Delikatesse gilt, wenig¬
stens bei den ungarischen Zigeunern, wie mir aus glaubhaften Munde ver¬
sichert worden ist, ein aus Tabaksasche und Tabakssaft zusammengerührter
Brei, Modscha genannt."

Sehr selten wird der Zigeuner von Krankh eilen heimgesucht. Die Gicht
kennt er gar nicht. Dagegen ist er dem Scharlachfieber, das er Lolo sehn,
d. i. die rothe Kälte nennt, den Masern, der Bräune, den Blattern und der
Syphilis ausgesetzt. Wunden heilen bei ihm überraschend schnell, auch die
genannten Krankheiten überwindet er leicht, und trifft ihn nicht ein Unfall,
ein Sturz vom Pferde oder vom Seile, so stirbt er regelmäßig den natür¬
lichen Tod an Altersschwäche.

An Aberglauben leidet der Zigeuner nicht oder nur insofern, als er
etwas auf Vorbedeutungen und Umgänge giebt. Seine Sprache hat kein
Wort für Gespenst. Dagegen benutzt er den Aberglauben Anderer, um ihnen
Geld oder Geldeswerth zu entlocken, indem namentlich die Weiber als Wahr¬
sagerinnen unter den Bauern der von ihnen durchzogenen Dörfer auftreten,
ihnen ihre Träume deuten und ihnen sich zur Hebung von Schätzen anbieten.
Auch mit Besprechen von Krankheiten der Menschen und des Viehes, sowie
mit dein Verkauf von Amuleten geben sie sich ab.

Von Religion ist bei dem Zigeuner kaum die Rede. Er glaubt zwar an
ein göttliches Wesen, aber seine Vorstellungen von demselben sind sehr ver-



") A. a. O. S. 87.

ausgeweitete Fuchs dagegen muß einige Tage in fließendem Wasser liegen
und wird dann in einem tüchtig ausgeheizten Erdloche, mit Laub und Sand
und darüber mit glühender Asche bedeckt, gebacken. Zu seinem Salat verwendet
der Zigeuner gern eine Pflanze, die das Volk Zigeunersalat benennt, ferner
die Melde und die Blätter des Löwenzahns.

Geistige Getränke nimmt der Zigeuner, wenn er sie haben kann, in
Massen zu sich. Selbst Kinder bekommen schon in zartem Alter Branntwein
zu trinken, der neben der Zwiebel und dem Safran als Universalheilmittel
gilt. Liebich erzählt^): „Mir ist ein etwa 23 Jahre zählendes Zigeunerweib
vorgekommen, welches ein ganzes Quart Branntwein auf Einem Sitze, ich
könnte fast sagen, in Einem Zuge, ohne betrunken zu werden, bis auf den
letzten Tropfen zu leeren vermochte, und von welchem dessen mit gleich er¬
staunenswerther Gabe ausgerüsteter Ehemann versicherte, daß es noch mehr zu
bezwingen im Stande sei." „Wein zieht er dem Branntwein vor, Bier aber setzt er
ihm nach. Ein gleich großes Bedürfniß ist ihm der Tabak, den er raucht, schnupft,
kaut, ja sogar mit Lust und Begierde verschlingt. Ich selbst habe gesehen, daß
eine Zigeunerin den ganzen Inhalt einer ziemlich großen Tabaksdose mit Ver¬
gnügen auffraß. Die Ziegen machen es ebenso." „Als Delikatesse gilt, wenig¬
stens bei den ungarischen Zigeunern, wie mir aus glaubhaften Munde ver¬
sichert worden ist, ein aus Tabaksasche und Tabakssaft zusammengerührter
Brei, Modscha genannt."

Sehr selten wird der Zigeuner von Krankh eilen heimgesucht. Die Gicht
kennt er gar nicht. Dagegen ist er dem Scharlachfieber, das er Lolo sehn,
d. i. die rothe Kälte nennt, den Masern, der Bräune, den Blattern und der
Syphilis ausgesetzt. Wunden heilen bei ihm überraschend schnell, auch die
genannten Krankheiten überwindet er leicht, und trifft ihn nicht ein Unfall,
ein Sturz vom Pferde oder vom Seile, so stirbt er regelmäßig den natür¬
lichen Tod an Altersschwäche.

An Aberglauben leidet der Zigeuner nicht oder nur insofern, als er
etwas auf Vorbedeutungen und Umgänge giebt. Seine Sprache hat kein
Wort für Gespenst. Dagegen benutzt er den Aberglauben Anderer, um ihnen
Geld oder Geldeswerth zu entlocken, indem namentlich die Weiber als Wahr¬
sagerinnen unter den Bauern der von ihnen durchzogenen Dörfer auftreten,
ihnen ihre Träume deuten und ihnen sich zur Hebung von Schätzen anbieten.
Auch mit Besprechen von Krankheiten der Menschen und des Viehes, sowie
mit dein Verkauf von Amuleten geben sie sich ab.

Von Religion ist bei dem Zigeuner kaum die Rede. Er glaubt zwar an
ein göttliches Wesen, aber seine Vorstellungen von demselben sind sehr ver-



") A. a. O. S. 87.
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[0214] ausgeweitete Fuchs dagegen muß einige Tage in fließendem Wasser liegen und wird dann in einem tüchtig ausgeheizten Erdloche, mit Laub und Sand und darüber mit glühender Asche bedeckt, gebacken. Zu seinem Salat verwendet der Zigeuner gern eine Pflanze, die das Volk Zigeunersalat benennt, ferner die Melde und die Blätter des Löwenzahns. Geistige Getränke nimmt der Zigeuner, wenn er sie haben kann, in Massen zu sich. Selbst Kinder bekommen schon in zartem Alter Branntwein zu trinken, der neben der Zwiebel und dem Safran als Universalheilmittel gilt. Liebich erzählt^): „Mir ist ein etwa 23 Jahre zählendes Zigeunerweib vorgekommen, welches ein ganzes Quart Branntwein auf Einem Sitze, ich könnte fast sagen, in Einem Zuge, ohne betrunken zu werden, bis auf den letzten Tropfen zu leeren vermochte, und von welchem dessen mit gleich er¬ staunenswerther Gabe ausgerüsteter Ehemann versicherte, daß es noch mehr zu bezwingen im Stande sei." „Wein zieht er dem Branntwein vor, Bier aber setzt er ihm nach. Ein gleich großes Bedürfniß ist ihm der Tabak, den er raucht, schnupft, kaut, ja sogar mit Lust und Begierde verschlingt. Ich selbst habe gesehen, daß eine Zigeunerin den ganzen Inhalt einer ziemlich großen Tabaksdose mit Ver¬ gnügen auffraß. Die Ziegen machen es ebenso." „Als Delikatesse gilt, wenig¬ stens bei den ungarischen Zigeunern, wie mir aus glaubhaften Munde ver¬ sichert worden ist, ein aus Tabaksasche und Tabakssaft zusammengerührter Brei, Modscha genannt." Sehr selten wird der Zigeuner von Krankh eilen heimgesucht. Die Gicht kennt er gar nicht. Dagegen ist er dem Scharlachfieber, das er Lolo sehn, d. i. die rothe Kälte nennt, den Masern, der Bräune, den Blattern und der Syphilis ausgesetzt. Wunden heilen bei ihm überraschend schnell, auch die genannten Krankheiten überwindet er leicht, und trifft ihn nicht ein Unfall, ein Sturz vom Pferde oder vom Seile, so stirbt er regelmäßig den natür¬ lichen Tod an Altersschwäche. An Aberglauben leidet der Zigeuner nicht oder nur insofern, als er etwas auf Vorbedeutungen und Umgänge giebt. Seine Sprache hat kein Wort für Gespenst. Dagegen benutzt er den Aberglauben Anderer, um ihnen Geld oder Geldeswerth zu entlocken, indem namentlich die Weiber als Wahr¬ sagerinnen unter den Bauern der von ihnen durchzogenen Dörfer auftreten, ihnen ihre Träume deuten und ihnen sich zur Hebung von Schätzen anbieten. Auch mit Besprechen von Krankheiten der Menschen und des Viehes, sowie mit dein Verkauf von Amuleten geben sie sich ab. Von Religion ist bei dem Zigeuner kaum die Rede. Er glaubt zwar an ein göttliches Wesen, aber seine Vorstellungen von demselben sind sehr ver- ") A. a. O. S. 87.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/214>, abgerufen am 04.07.2024.