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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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wählt, um den eigenen Trieb bedeutsam gerichtet, aber nicht eingeengt und
übermächtig bestimmt zu empfinden.

Daneben hängt ein ganz anderes Bild: das Abendmahl von v. Geb-
hardt. Man hat die Ausstellungscommission tadeln wollen, daß sie unmittel¬
bar neben das glänzende Richter'sche Bild ein Gemälde gebracht, dessen Be¬
deutung nur in dem Ausdruck der Figuren und in der geistigen Tiefe des
dargestellten Vorganges liegt, ohne jeden selbstständigen Reiz der Farbe und
Form. Wir wollen indeß uns nicht den Tadlern anschließen und vielmehr
die niemals zu allseitiger Zufriedenheit lösbare Aufgabe einer solchen Com¬
mission bedenken. Das Gebhardt'sche Gemälde, wenn man auch von seinem
tagesfreudigen Nachbar herkommt, man wird vor ihm verweilen und bald
wissen, daß man das bedeutendste Bild der Ausstellung vor sich hat. Wenn
die höchste Aufgabe der Malerei ist -- aber nicht etwa ihre alleinige --
merkwürdige Vorgänge des tieferen Geisteslebens zur Anschauung zu brin¬
gen, so ist hier zur Lösung einer solchen Aufgabe ein sehr eigenthümlicher,
aus innigem Glauben an die gesuchte Lösung hervorgegangener Anlauf ge¬
nommen.

Es ist oft gesagt worden, die religiöse Malerei habe sich in unseren Ta¬
gen überlebt, die Beschauer brächten nicht mehr den Glauben hinzu, aus
welchem die Empfänglichkeit, und die Maler nicht mehr den Glauben, aus
welchem die Erfindung stammt. Hier ist nun wieder einmal ein religiöser
Gegenstand, die bekannte, von einem größten Meister in einem weltberühmten
Bilde dargestellte Scene des Abendmahls. Aber der Versuch ist wohl ange¬
than, das unvergängliche Recht der religiösen Malerei dem Beschauer einzu¬
prägen, der Geistiges zu empfinden im Stande ist. Von dem Urheber dieses
Bildes wurde kürzlich die Aeußerung berichtet, daß man biblische Gegenstände
wieder tiefer erschöpfen könne, wenn man einerseits vom Typischen Abstand
nehme, andererseits auch nicht die Erscheinung zu erreichen strebe, wie sie die
damalige Wirklichkeit gezeigt haben möge, sondern die Thatsachen wie Tra¬
ditionen des eigenen Volkes behandeln-, nie habe die christliche Kunst eine
dauernde Höhe erreicht, ohne das zu thun. -- Ein geistreicher, tief begründeter
Ausspruch, der noch Tieferes enthält, als der unmittelbar ausgedrückte Sinn
besagt. Wenn man nämlich weder die ethnologisch-empirische, noch die katho¬
lisch-typische Gestaltung anstrebt, sondern die Borgänge wie Traditionen des
eigenen Volkes behandeln will, als welche sie doch nicht mythisch und typisch
überliefert sind, so muß man den Geist der Vorgänge aus der katholisch¬
typischen Einkleidung befreien und ihn in seiner historischen, in seiner nicht
magischen, sondern sittlichen Wirksamkeit anschauen und ergreifen. Wenn
die Malerei dies den biblischen Erzählungen gegenüber vermöchte, so wäre
dies erst der Beginn einer protestantisch-religiösen Malerei. Denn bis auf


wählt, um den eigenen Trieb bedeutsam gerichtet, aber nicht eingeengt und
übermächtig bestimmt zu empfinden.

Daneben hängt ein ganz anderes Bild: das Abendmahl von v. Geb-
hardt. Man hat die Ausstellungscommission tadeln wollen, daß sie unmittel¬
bar neben das glänzende Richter'sche Bild ein Gemälde gebracht, dessen Be¬
deutung nur in dem Ausdruck der Figuren und in der geistigen Tiefe des
dargestellten Vorganges liegt, ohne jeden selbstständigen Reiz der Farbe und
Form. Wir wollen indeß uns nicht den Tadlern anschließen und vielmehr
die niemals zu allseitiger Zufriedenheit lösbare Aufgabe einer solchen Com¬
mission bedenken. Das Gebhardt'sche Gemälde, wenn man auch von seinem
tagesfreudigen Nachbar herkommt, man wird vor ihm verweilen und bald
wissen, daß man das bedeutendste Bild der Ausstellung vor sich hat. Wenn
die höchste Aufgabe der Malerei ist — aber nicht etwa ihre alleinige —
merkwürdige Vorgänge des tieferen Geisteslebens zur Anschauung zu brin¬
gen, so ist hier zur Lösung einer solchen Aufgabe ein sehr eigenthümlicher,
aus innigem Glauben an die gesuchte Lösung hervorgegangener Anlauf ge¬
nommen.

Es ist oft gesagt worden, die religiöse Malerei habe sich in unseren Ta¬
gen überlebt, die Beschauer brächten nicht mehr den Glauben hinzu, aus
welchem die Empfänglichkeit, und die Maler nicht mehr den Glauben, aus
welchem die Erfindung stammt. Hier ist nun wieder einmal ein religiöser
Gegenstand, die bekannte, von einem größten Meister in einem weltberühmten
Bilde dargestellte Scene des Abendmahls. Aber der Versuch ist wohl ange¬
than, das unvergängliche Recht der religiösen Malerei dem Beschauer einzu¬
prägen, der Geistiges zu empfinden im Stande ist. Von dem Urheber dieses
Bildes wurde kürzlich die Aeußerung berichtet, daß man biblische Gegenstände
wieder tiefer erschöpfen könne, wenn man einerseits vom Typischen Abstand
nehme, andererseits auch nicht die Erscheinung zu erreichen strebe, wie sie die
damalige Wirklichkeit gezeigt haben möge, sondern die Thatsachen wie Tra¬
ditionen des eigenen Volkes behandeln-, nie habe die christliche Kunst eine
dauernde Höhe erreicht, ohne das zu thun. — Ein geistreicher, tief begründeter
Ausspruch, der noch Tieferes enthält, als der unmittelbar ausgedrückte Sinn
besagt. Wenn man nämlich weder die ethnologisch-empirische, noch die katho¬
lisch-typische Gestaltung anstrebt, sondern die Borgänge wie Traditionen des
eigenen Volkes behandeln will, als welche sie doch nicht mythisch und typisch
überliefert sind, so muß man den Geist der Vorgänge aus der katholisch¬
typischen Einkleidung befreien und ihn in seiner historischen, in seiner nicht
magischen, sondern sittlichen Wirksamkeit anschauen und ergreifen. Wenn
die Malerei dies den biblischen Erzählungen gegenüber vermöchte, so wäre
dies erst der Beginn einer protestantisch-religiösen Malerei. Denn bis auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/202>, abgerufen am 23.07.2024.