Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenner bestehe eben darin, daß die Farben verblaßt und nachgedunkelt seien,
und sich seinerseits an die Gemälde von frischer Farbe hielt. Sicherlich ist
der frische Farbenglanz nicht das Höchste der Malerei, aber etwas Erfreu¬
liches ist er. wenn die Farbe so behandelt ist: so reine Töne, eine so prächtig
aufsteigende Scala von den dunklen Farben der Rayentypen zu den hell strah¬
lenden Glanz-Gewändern bis zu dem kräftigen sonnigen Blau des ägyptischen
Himmels. Mit den Jahren macht man freilich Ansprüche an Gemälde, die
hier nicht befriedigt sind, aber auch nicht befriedigt werden wollten. Man
sucht geistige Tiefe, individuelle Charakteristik und dergleichen. Aber jener
Reiz der Farbe, wenn er mit anmuthiger Zeichnung verbunden sich der Natur
des gewählten Gegenstandes anpaßt, ist zu allen Zeiten ein erfreulicher Triumph
der Malerkunst gewesen. So mögen manche Gemälde von Titian, so die
besten von Paolo Veronese auf ihre Zeitgenossen gewirkt haben. Neuerdings
hat Makart als Virtuose der Farbe mannigfache Bewunderung errungen.
Aber die Wirkung dieses Malers, auch nur von Seite der Farbe betrachtet,
ist durch eine gewaltsame Mischung der Töne erreicht, die auf die Dauer
schon für sich abstoßend wirkt. - Dazu kommt nun verletzende Beschaffenheit
der Gegenstände, die Unnatur der Zeichnung, Composition u. s. w. Von
alledem ist auf dem Richter'schen Bild keine Rede.' Soll man an einem Ge¬
mälde die Farbenwirkung in ihrem ungetrübten Reiz genießen, so muß der
Gegenstand von unschuldiger Natur und mit nicht allzu großem Ernst der
Characteristik behandelt sein. Gerade so finden wir es hier: einen prächtigen
König und eine liebreizende Königin, die sich am sonnigen Tage den auf¬
steigenden Königsbau besehen. Es werden wohl mächtige Steine geschleppt
und eine jugendliche Phantasie glaubt an die Schwere der Arbeit. Aber der
letzteren Druck und Jammer, ihr Keuchen und Stöhnen, die zornige Geißel
ihrer Aufseher und der Ingrimm ihrer Sclaven sind nicht zu sehen, und das
ist gut so für das, was hier erreicht werden sollte. Und ebenso sieht man
dem Arbeitsherrn und seinem Gefolge nichts Anderes an, als die Höhe der
Lebensstellung und das harmlose Interesse an dem großen Werk, das sie aus¬
führen lassen, aber nichts von Tyranneneigenfinn, nichts von Cäsarenwahn¬
sinn, nichts von prahlerisch-phantastischer Vermessenheit. Und das ist wiederum
gut. Man sieht die Macht und die Untertänigkeit im prächtigen Sonnen¬
glanze, in phantastisch-fremdartiger und doch naturwahrer Erscheinung, beide
den allgemeinen Character ihres Looses zur Schau tragend, ohne die tiefen
Furchen der Last so verschiedenartig gewaltiger Lebensloose. Und nochmals
sei es gesagt, es gibt Stimmungen, vorzugsweise in der Jugend, aber sich
forterhaltend durch das Leben, in denen uns wohlthätig ist. an den allge¬
meinen Character der Lebensloose auf bedeutende und zugleich gefällige Weise
erinnert zu werden, in denen die Phantasie sich gern solchen Ausgangspunkt


Grenzboten IV. 1872. 25

Kenner bestehe eben darin, daß die Farben verblaßt und nachgedunkelt seien,
und sich seinerseits an die Gemälde von frischer Farbe hielt. Sicherlich ist
der frische Farbenglanz nicht das Höchste der Malerei, aber etwas Erfreu¬
liches ist er. wenn die Farbe so behandelt ist: so reine Töne, eine so prächtig
aufsteigende Scala von den dunklen Farben der Rayentypen zu den hell strah¬
lenden Glanz-Gewändern bis zu dem kräftigen sonnigen Blau des ägyptischen
Himmels. Mit den Jahren macht man freilich Ansprüche an Gemälde, die
hier nicht befriedigt sind, aber auch nicht befriedigt werden wollten. Man
sucht geistige Tiefe, individuelle Charakteristik und dergleichen. Aber jener
Reiz der Farbe, wenn er mit anmuthiger Zeichnung verbunden sich der Natur
des gewählten Gegenstandes anpaßt, ist zu allen Zeiten ein erfreulicher Triumph
der Malerkunst gewesen. So mögen manche Gemälde von Titian, so die
besten von Paolo Veronese auf ihre Zeitgenossen gewirkt haben. Neuerdings
hat Makart als Virtuose der Farbe mannigfache Bewunderung errungen.
Aber die Wirkung dieses Malers, auch nur von Seite der Farbe betrachtet,
ist durch eine gewaltsame Mischung der Töne erreicht, die auf die Dauer
schon für sich abstoßend wirkt. - Dazu kommt nun verletzende Beschaffenheit
der Gegenstände, die Unnatur der Zeichnung, Composition u. s. w. Von
alledem ist auf dem Richter'schen Bild keine Rede.' Soll man an einem Ge¬
mälde die Farbenwirkung in ihrem ungetrübten Reiz genießen, so muß der
Gegenstand von unschuldiger Natur und mit nicht allzu großem Ernst der
Characteristik behandelt sein. Gerade so finden wir es hier: einen prächtigen
König und eine liebreizende Königin, die sich am sonnigen Tage den auf¬
steigenden Königsbau besehen. Es werden wohl mächtige Steine geschleppt
und eine jugendliche Phantasie glaubt an die Schwere der Arbeit. Aber der
letzteren Druck und Jammer, ihr Keuchen und Stöhnen, die zornige Geißel
ihrer Aufseher und der Ingrimm ihrer Sclaven sind nicht zu sehen, und das
ist gut so für das, was hier erreicht werden sollte. Und ebenso sieht man
dem Arbeitsherrn und seinem Gefolge nichts Anderes an, als die Höhe der
Lebensstellung und das harmlose Interesse an dem großen Werk, das sie aus¬
führen lassen, aber nichts von Tyranneneigenfinn, nichts von Cäsarenwahn¬
sinn, nichts von prahlerisch-phantastischer Vermessenheit. Und das ist wiederum
gut. Man sieht die Macht und die Untertänigkeit im prächtigen Sonnen¬
glanze, in phantastisch-fremdartiger und doch naturwahrer Erscheinung, beide
den allgemeinen Character ihres Looses zur Schau tragend, ohne die tiefen
Furchen der Last so verschiedenartig gewaltiger Lebensloose. Und nochmals
sei es gesagt, es gibt Stimmungen, vorzugsweise in der Jugend, aber sich
forterhaltend durch das Leben, in denen uns wohlthätig ist. an den allge¬
meinen Character der Lebensloose auf bedeutende und zugleich gefällige Weise
erinnert zu werden, in denen die Phantasie sich gern solchen Ausgangspunkt


Grenzboten IV. 1872. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128655"/>
          <p xml:id="ID_584" prev="#ID_583" next="#ID_585"> Kenner bestehe eben darin, daß die Farben verblaßt und nachgedunkelt seien,<lb/>
und sich seinerseits an die Gemälde von frischer Farbe hielt. Sicherlich ist<lb/>
der frische Farbenglanz nicht das Höchste der Malerei, aber etwas Erfreu¬<lb/>
liches ist er. wenn die Farbe so behandelt ist: so reine Töne, eine so prächtig<lb/>
aufsteigende Scala von den dunklen Farben der Rayentypen zu den hell strah¬<lb/>
lenden Glanz-Gewändern bis zu dem kräftigen sonnigen Blau des ägyptischen<lb/>
Himmels. Mit den Jahren macht man freilich Ansprüche an Gemälde, die<lb/>
hier nicht befriedigt sind, aber auch nicht befriedigt werden wollten. Man<lb/>
sucht geistige Tiefe, individuelle Charakteristik und dergleichen. Aber jener<lb/>
Reiz der Farbe, wenn er mit anmuthiger Zeichnung verbunden sich der Natur<lb/>
des gewählten Gegenstandes anpaßt, ist zu allen Zeiten ein erfreulicher Triumph<lb/>
der Malerkunst gewesen. So mögen manche Gemälde von Titian, so die<lb/>
besten von Paolo Veronese auf ihre Zeitgenossen gewirkt haben. Neuerdings<lb/>
hat Makart als Virtuose der Farbe mannigfache Bewunderung errungen.<lb/>
Aber die Wirkung dieses Malers, auch nur von Seite der Farbe betrachtet,<lb/>
ist durch eine gewaltsame Mischung der Töne erreicht, die auf die Dauer<lb/>
schon für sich abstoßend wirkt. - Dazu kommt nun verletzende Beschaffenheit<lb/>
der Gegenstände, die Unnatur der Zeichnung, Composition u. s. w. Von<lb/>
alledem ist auf dem Richter'schen Bild keine Rede.' Soll man an einem Ge¬<lb/>
mälde die Farbenwirkung in ihrem ungetrübten Reiz genießen, so muß der<lb/>
Gegenstand von unschuldiger Natur und mit nicht allzu großem Ernst der<lb/>
Characteristik behandelt sein. Gerade so finden wir es hier: einen prächtigen<lb/>
König und eine liebreizende Königin, die sich am sonnigen Tage den auf¬<lb/>
steigenden Königsbau besehen. Es werden wohl mächtige Steine geschleppt<lb/>
und eine jugendliche Phantasie glaubt an die Schwere der Arbeit. Aber der<lb/>
letzteren Druck und Jammer, ihr Keuchen und Stöhnen, die zornige Geißel<lb/>
ihrer Aufseher und der Ingrimm ihrer Sclaven sind nicht zu sehen, und das<lb/>
ist gut so für das, was hier erreicht werden sollte. Und ebenso sieht man<lb/>
dem Arbeitsherrn und seinem Gefolge nichts Anderes an, als die Höhe der<lb/>
Lebensstellung und das harmlose Interesse an dem großen Werk, das sie aus¬<lb/>
führen lassen, aber nichts von Tyranneneigenfinn, nichts von Cäsarenwahn¬<lb/>
sinn, nichts von prahlerisch-phantastischer Vermessenheit. Und das ist wiederum<lb/>
gut. Man sieht die Macht und die Untertänigkeit im prächtigen Sonnen¬<lb/>
glanze, in phantastisch-fremdartiger und doch naturwahrer Erscheinung, beide<lb/>
den allgemeinen Character ihres Looses zur Schau tragend, ohne die tiefen<lb/>
Furchen der Last so verschiedenartig gewaltiger Lebensloose. Und nochmals<lb/>
sei es gesagt, es gibt Stimmungen, vorzugsweise in der Jugend, aber sich<lb/>
forterhaltend durch das Leben, in denen uns wohlthätig ist. an den allge¬<lb/>
meinen Character der Lebensloose auf bedeutende und zugleich gefällige Weise<lb/>
erinnert zu werden, in denen die Phantasie sich gern solchen Ausgangspunkt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1872. 25</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] Kenner bestehe eben darin, daß die Farben verblaßt und nachgedunkelt seien, und sich seinerseits an die Gemälde von frischer Farbe hielt. Sicherlich ist der frische Farbenglanz nicht das Höchste der Malerei, aber etwas Erfreu¬ liches ist er. wenn die Farbe so behandelt ist: so reine Töne, eine so prächtig aufsteigende Scala von den dunklen Farben der Rayentypen zu den hell strah¬ lenden Glanz-Gewändern bis zu dem kräftigen sonnigen Blau des ägyptischen Himmels. Mit den Jahren macht man freilich Ansprüche an Gemälde, die hier nicht befriedigt sind, aber auch nicht befriedigt werden wollten. Man sucht geistige Tiefe, individuelle Charakteristik und dergleichen. Aber jener Reiz der Farbe, wenn er mit anmuthiger Zeichnung verbunden sich der Natur des gewählten Gegenstandes anpaßt, ist zu allen Zeiten ein erfreulicher Triumph der Malerkunst gewesen. So mögen manche Gemälde von Titian, so die besten von Paolo Veronese auf ihre Zeitgenossen gewirkt haben. Neuerdings hat Makart als Virtuose der Farbe mannigfache Bewunderung errungen. Aber die Wirkung dieses Malers, auch nur von Seite der Farbe betrachtet, ist durch eine gewaltsame Mischung der Töne erreicht, die auf die Dauer schon für sich abstoßend wirkt. - Dazu kommt nun verletzende Beschaffenheit der Gegenstände, die Unnatur der Zeichnung, Composition u. s. w. Von alledem ist auf dem Richter'schen Bild keine Rede.' Soll man an einem Ge¬ mälde die Farbenwirkung in ihrem ungetrübten Reiz genießen, so muß der Gegenstand von unschuldiger Natur und mit nicht allzu großem Ernst der Characteristik behandelt sein. Gerade so finden wir es hier: einen prächtigen König und eine liebreizende Königin, die sich am sonnigen Tage den auf¬ steigenden Königsbau besehen. Es werden wohl mächtige Steine geschleppt und eine jugendliche Phantasie glaubt an die Schwere der Arbeit. Aber der letzteren Druck und Jammer, ihr Keuchen und Stöhnen, die zornige Geißel ihrer Aufseher und der Ingrimm ihrer Sclaven sind nicht zu sehen, und das ist gut so für das, was hier erreicht werden sollte. Und ebenso sieht man dem Arbeitsherrn und seinem Gefolge nichts Anderes an, als die Höhe der Lebensstellung und das harmlose Interesse an dem großen Werk, das sie aus¬ führen lassen, aber nichts von Tyranneneigenfinn, nichts von Cäsarenwahn¬ sinn, nichts von prahlerisch-phantastischer Vermessenheit. Und das ist wiederum gut. Man sieht die Macht und die Untertänigkeit im prächtigen Sonnen¬ glanze, in phantastisch-fremdartiger und doch naturwahrer Erscheinung, beide den allgemeinen Character ihres Looses zur Schau tragend, ohne die tiefen Furchen der Last so verschiedenartig gewaltiger Lebensloose. Und nochmals sei es gesagt, es gibt Stimmungen, vorzugsweise in der Jugend, aber sich forterhaltend durch das Leben, in denen uns wohlthätig ist. an den allge¬ meinen Character der Lebensloose auf bedeutende und zugleich gefällige Weise erinnert zu werden, in denen die Phantasie sich gern solchen Ausgangspunkt Grenzboten IV. 1872. 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/201>, abgerufen am 03.07.2024.