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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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einige verunglückte Versuche ethnologisch-empirischer d. h. religiöser Darstellung
hat sich die protestantische Malerei mit einer schwachen Reproduction der ka¬
tholischen Typen begnügt, während doch die eigenthümliche Religiosität des
Protestantismus in der Musik den vollen Ausdruck gefunden hat.

Die Scene des Abendmahls ist schon von I^ong-rclo ela Vinci mit einem
rein sittlichen Gehalte dargestellt worden. Die verschiedenartigen Gemüths¬
bewegungen der Jünger bei der Verkündigung des Meisters, daß unter ihnen
der Verräther weilt, bilden den Inhalt des Gemäldes, dessen lebendig schöne
Composition und unvergleichlicher Reichthum an natürlich bedeutsamer Cha-
racteristik die Bewunderung der Welt geblieben, nachdem es längst zu Grunde
gegangen. In der That verläßt dieser Gehalt beinah das religiöse Gebiet,
als Darstellung einer höchst ergreifenden, aber völlig natürlichen Stimmung,
die sich ähnlich äußern würde, auch wenn der Verrath nicht dem himmlischen
Meister der Wahrheit gälte. Nur in dem Bilde des Meisters und einiger
Apostel ist religiöse Idealität als herrschender Characterzug ausgedrückt, aber
nicht gerade als bewegende Stimmung des Moments.

Das Bild nun, das wir vor uns haben, stellt nicht den Eindruck der
Jünger dar bei der Ankündigung des Verraths in ihrer eigenen Mitte, son-
drn den Eindruck dei der Ankündigung des unmittelbar bevorstehenden Scha¬
dens Christi. Diese Stimmung ist mehr religiös als weltlich, sie erlaubt
wenigstens, den religiösen Hintergrund der bewegten Seelen Hervorscheinen zu
lassen; und mit eigenthümlicher Tiefe ist dieser Hintergrund erfaßt. Es sind
die Armen im Geist, denen die Sonne ihres Lebens sagt, daß sie ihnen ent¬
schwinden wird, es ist die Innigkeit beschränkter, aber gemüthstiefer Men¬
schen, die in Schmerz und Staunen hervorbricht. Man fühlt, diese Menschen
lassen sich die Sonne ihres Lebens nicht entschwinden, sie wird unvergänglich
aufleuchten in ihrem Inneren, und hingerissen von ihrem Glänze werden sie
der Welt die Auferstehung des Gekreuzigten verkündigen. -- So wird uns
die Entstehung des Christenthums begreiflich, als das höchste Wunder, nicht
der Magie aber, des Geistes, der sich sein Heiligstes nicht rauben läßt, son¬
dern es triumphirend über die Welt erhebt, es tausendmal mit dem Tode
besiegelt und endlich zur gestaltenden Weltmacht bildet.

Das Bild, das wir hier sehen, ist in drei Gruppen getheilt. Der linken
Seite des Beschauers gegenüber beginnt die Gruppe mit einem sitzenden
Apostel, in dem das abwehrende Erstaunen über das unerwartet Ungeheuere
sich ausprägt, an ihn schließen sich nach der rechten Seite des Beschauers zu
drei andere Apostel, in welchen die erschreckte Begierde nach näherer Kunde,
tief schmerzliches Verlangen nach der Erklärung des Furchtbaren, dumpf er¬
staunte Neugierde und endlich der tiefe herzliche Jammer über das unzweifel¬
hafte Schicksal ausgedrückt sind. Die zweite oder mittlere Gruppe bildet


einige verunglückte Versuche ethnologisch-empirischer d. h. religiöser Darstellung
hat sich die protestantische Malerei mit einer schwachen Reproduction der ka¬
tholischen Typen begnügt, während doch die eigenthümliche Religiosität des
Protestantismus in der Musik den vollen Ausdruck gefunden hat.

Die Scene des Abendmahls ist schon von I^ong-rclo ela Vinci mit einem
rein sittlichen Gehalte dargestellt worden. Die verschiedenartigen Gemüths¬
bewegungen der Jünger bei der Verkündigung des Meisters, daß unter ihnen
der Verräther weilt, bilden den Inhalt des Gemäldes, dessen lebendig schöne
Composition und unvergleichlicher Reichthum an natürlich bedeutsamer Cha-
racteristik die Bewunderung der Welt geblieben, nachdem es längst zu Grunde
gegangen. In der That verläßt dieser Gehalt beinah das religiöse Gebiet,
als Darstellung einer höchst ergreifenden, aber völlig natürlichen Stimmung,
die sich ähnlich äußern würde, auch wenn der Verrath nicht dem himmlischen
Meister der Wahrheit gälte. Nur in dem Bilde des Meisters und einiger
Apostel ist religiöse Idealität als herrschender Characterzug ausgedrückt, aber
nicht gerade als bewegende Stimmung des Moments.

Das Bild nun, das wir vor uns haben, stellt nicht den Eindruck der
Jünger dar bei der Ankündigung des Verraths in ihrer eigenen Mitte, son-
drn den Eindruck dei der Ankündigung des unmittelbar bevorstehenden Scha¬
dens Christi. Diese Stimmung ist mehr religiös als weltlich, sie erlaubt
wenigstens, den religiösen Hintergrund der bewegten Seelen Hervorscheinen zu
lassen; und mit eigenthümlicher Tiefe ist dieser Hintergrund erfaßt. Es sind
die Armen im Geist, denen die Sonne ihres Lebens sagt, daß sie ihnen ent¬
schwinden wird, es ist die Innigkeit beschränkter, aber gemüthstiefer Men¬
schen, die in Schmerz und Staunen hervorbricht. Man fühlt, diese Menschen
lassen sich die Sonne ihres Lebens nicht entschwinden, sie wird unvergänglich
aufleuchten in ihrem Inneren, und hingerissen von ihrem Glänze werden sie
der Welt die Auferstehung des Gekreuzigten verkündigen. — So wird uns
die Entstehung des Christenthums begreiflich, als das höchste Wunder, nicht
der Magie aber, des Geistes, der sich sein Heiligstes nicht rauben läßt, son¬
dern es triumphirend über die Welt erhebt, es tausendmal mit dem Tode
besiegelt und endlich zur gestaltenden Weltmacht bildet.

Das Bild, das wir hier sehen, ist in drei Gruppen getheilt. Der linken
Seite des Beschauers gegenüber beginnt die Gruppe mit einem sitzenden
Apostel, in dem das abwehrende Erstaunen über das unerwartet Ungeheuere
sich ausprägt, an ihn schließen sich nach der rechten Seite des Beschauers zu
drei andere Apostel, in welchen die erschreckte Begierde nach näherer Kunde,
tief schmerzliches Verlangen nach der Erklärung des Furchtbaren, dumpf er¬
staunte Neugierde und endlich der tiefe herzliche Jammer über das unzweifel¬
hafte Schicksal ausgedrückt sind. Die zweite oder mittlere Gruppe bildet


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[0203] einige verunglückte Versuche ethnologisch-empirischer d. h. religiöser Darstellung hat sich die protestantische Malerei mit einer schwachen Reproduction der ka¬ tholischen Typen begnügt, während doch die eigenthümliche Religiosität des Protestantismus in der Musik den vollen Ausdruck gefunden hat. Die Scene des Abendmahls ist schon von I^ong-rclo ela Vinci mit einem rein sittlichen Gehalte dargestellt worden. Die verschiedenartigen Gemüths¬ bewegungen der Jünger bei der Verkündigung des Meisters, daß unter ihnen der Verräther weilt, bilden den Inhalt des Gemäldes, dessen lebendig schöne Composition und unvergleichlicher Reichthum an natürlich bedeutsamer Cha- racteristik die Bewunderung der Welt geblieben, nachdem es längst zu Grunde gegangen. In der That verläßt dieser Gehalt beinah das religiöse Gebiet, als Darstellung einer höchst ergreifenden, aber völlig natürlichen Stimmung, die sich ähnlich äußern würde, auch wenn der Verrath nicht dem himmlischen Meister der Wahrheit gälte. Nur in dem Bilde des Meisters und einiger Apostel ist religiöse Idealität als herrschender Characterzug ausgedrückt, aber nicht gerade als bewegende Stimmung des Moments. Das Bild nun, das wir vor uns haben, stellt nicht den Eindruck der Jünger dar bei der Ankündigung des Verraths in ihrer eigenen Mitte, son- drn den Eindruck dei der Ankündigung des unmittelbar bevorstehenden Scha¬ dens Christi. Diese Stimmung ist mehr religiös als weltlich, sie erlaubt wenigstens, den religiösen Hintergrund der bewegten Seelen Hervorscheinen zu lassen; und mit eigenthümlicher Tiefe ist dieser Hintergrund erfaßt. Es sind die Armen im Geist, denen die Sonne ihres Lebens sagt, daß sie ihnen ent¬ schwinden wird, es ist die Innigkeit beschränkter, aber gemüthstiefer Men¬ schen, die in Schmerz und Staunen hervorbricht. Man fühlt, diese Menschen lassen sich die Sonne ihres Lebens nicht entschwinden, sie wird unvergänglich aufleuchten in ihrem Inneren, und hingerissen von ihrem Glänze werden sie der Welt die Auferstehung des Gekreuzigten verkündigen. — So wird uns die Entstehung des Christenthums begreiflich, als das höchste Wunder, nicht der Magie aber, des Geistes, der sich sein Heiligstes nicht rauben läßt, son¬ dern es triumphirend über die Welt erhebt, es tausendmal mit dem Tode besiegelt und endlich zur gestaltenden Weltmacht bildet. Das Bild, das wir hier sehen, ist in drei Gruppen getheilt. Der linken Seite des Beschauers gegenüber beginnt die Gruppe mit einem sitzenden Apostel, in dem das abwehrende Erstaunen über das unerwartet Ungeheuere sich ausprägt, an ihn schließen sich nach der rechten Seite des Beschauers zu drei andere Apostel, in welchen die erschreckte Begierde nach näherer Kunde, tief schmerzliches Verlangen nach der Erklärung des Furchtbaren, dumpf er¬ staunte Neugierde und endlich der tiefe herzliche Jammer über das unzweifel¬ hafte Schicksal ausgedrückt sind. Die zweite oder mittlere Gruppe bildet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/203>, abgerufen am 04.07.2024.