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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Feder, die zwar viele trockene Zahlen, aber keine idealen Gegenstände aus
Beruf behandelt, daß sie bei ausnahmsweiser Veranlassung mit ganz beson¬
derer Empfänglichkeit solchen Dingen gerecht zu werden im Stande sei. Es
möge zunächst mit der Kunst gewagt, sein, wenn Sie die Grillen eines Laien
nicht fürchten, der bei Kunstgegenständen nur danach fragt, was sie ihm ge¬
währen, nicht aber danach, was das verehrte Publikum pflichtschuldigst dabei
zu denken hat.

Wir haben wieder einmal eine Ausstellung von Gemälden und plastischen
Bildwerken in den Sälen der Academie der Künste. Dieser Ausstellungen,
die bekanntlich in der Regel ein Jahr um das andere stattfinden, ist die diesma¬
lige die 48ste. Nach allgemeinem Urtheil hebt sich das durchschnittliche Können der
Maler, der durchschnittliche Werth der Gemälde seit Jahren zusehends mit
sicherem Fortschritt. Die Technik, die Energie der Farbe, die Correctheit der
Zeichnung, das Geschick der Composition, die treue Nachahmung des Lebens,
der Muth in der Auswahl interessanter Gegenstände und die Fähigkeit, ihnen
die malerische Seite abzugewinnen, alle diese guten Eigenschaften sehen un¬
sere Optimisten in erfreulicher Zunahme, und ich will gar nicht leugnen, mit
einem gewissen Recht, vielleicht mit vollem Recht. Werden denn nun aber
Bilder gemalt, bei denen einem das Herz aufgeht, die einen tiefen Gehalt
des Menschenlebens in bedeutender Erscheinung, mit Glanz und Frische in die
Seele des Beschauers senken und die, was vielleicht die Hauptsache ist, uns
etwas zeigen, was wir zum ersten Male sehen, aber schon lange zu sehen
verlangten. Nur wenn solche Eigenschaften zusammentreffen, hat man doch
die höchste Freude an der Kunst. Aber solche Forderungen sind vielleicht un¬
billig, unbillig gegenüber einer Künstlergeneration, die sich erst langsam und
fleißig in den Besitz aller ihrer Mittel setzt. Mit der vollen Herrschaft über
die Mittel kommt vielleicht die Zeit, um jene hohen Anforderungen zu stellen
und auch zu erfüllen. Treten wir mit gutem Willen an das Geleistete, und
hoffen wir für die Zukunft das noch Vermißte.

Gleich beim Eintritt in den ersten Saal fällt uns ein großes Bild in
die Augen: der Bau der ägyptischen Pyramiden von Gustav Richter, das uns
eine Zeit lang auf das Erfreulichste fesselt. Wir bedauern nur, daß wir das
Bild nicht in ganz jungen Jahren sehen können, daß wir ihm nicht mit dem
ersten Blick des für die Wirkungen der Malerei, empfänglich gewordenen
Auges begegnen. Denn das ist ganz ein Bild, wie sich eine kindliche Seele
die Bilder denkt: die reinste Pracht und die gefälligste Harmonie der Farben,
der Reiz des Fremden und des Großen, schöne Frauenbilder und unheimliche
aber prächtige Männer, eine reiche Scene mit einem ganz einfachen Vorgang.
Wenn man jung ist. geht es Einem wie jenem Liebhaber in Goethe's Wil¬
helm Meister, der der Ansicht war, der Reiz der alten Gemälde für den


Feder, die zwar viele trockene Zahlen, aber keine idealen Gegenstände aus
Beruf behandelt, daß sie bei ausnahmsweiser Veranlassung mit ganz beson¬
derer Empfänglichkeit solchen Dingen gerecht zu werden im Stande sei. Es
möge zunächst mit der Kunst gewagt, sein, wenn Sie die Grillen eines Laien
nicht fürchten, der bei Kunstgegenständen nur danach fragt, was sie ihm ge¬
währen, nicht aber danach, was das verehrte Publikum pflichtschuldigst dabei
zu denken hat.

Wir haben wieder einmal eine Ausstellung von Gemälden und plastischen
Bildwerken in den Sälen der Academie der Künste. Dieser Ausstellungen,
die bekanntlich in der Regel ein Jahr um das andere stattfinden, ist die diesma¬
lige die 48ste. Nach allgemeinem Urtheil hebt sich das durchschnittliche Können der
Maler, der durchschnittliche Werth der Gemälde seit Jahren zusehends mit
sicherem Fortschritt. Die Technik, die Energie der Farbe, die Correctheit der
Zeichnung, das Geschick der Composition, die treue Nachahmung des Lebens,
der Muth in der Auswahl interessanter Gegenstände und die Fähigkeit, ihnen
die malerische Seite abzugewinnen, alle diese guten Eigenschaften sehen un¬
sere Optimisten in erfreulicher Zunahme, und ich will gar nicht leugnen, mit
einem gewissen Recht, vielleicht mit vollem Recht. Werden denn nun aber
Bilder gemalt, bei denen einem das Herz aufgeht, die einen tiefen Gehalt
des Menschenlebens in bedeutender Erscheinung, mit Glanz und Frische in die
Seele des Beschauers senken und die, was vielleicht die Hauptsache ist, uns
etwas zeigen, was wir zum ersten Male sehen, aber schon lange zu sehen
verlangten. Nur wenn solche Eigenschaften zusammentreffen, hat man doch
die höchste Freude an der Kunst. Aber solche Forderungen sind vielleicht un¬
billig, unbillig gegenüber einer Künstlergeneration, die sich erst langsam und
fleißig in den Besitz aller ihrer Mittel setzt. Mit der vollen Herrschaft über
die Mittel kommt vielleicht die Zeit, um jene hohen Anforderungen zu stellen
und auch zu erfüllen. Treten wir mit gutem Willen an das Geleistete, und
hoffen wir für die Zukunft das noch Vermißte.

Gleich beim Eintritt in den ersten Saal fällt uns ein großes Bild in
die Augen: der Bau der ägyptischen Pyramiden von Gustav Richter, das uns
eine Zeit lang auf das Erfreulichste fesselt. Wir bedauern nur, daß wir das
Bild nicht in ganz jungen Jahren sehen können, daß wir ihm nicht mit dem
ersten Blick des für die Wirkungen der Malerei, empfänglich gewordenen
Auges begegnen. Denn das ist ganz ein Bild, wie sich eine kindliche Seele
die Bilder denkt: die reinste Pracht und die gefälligste Harmonie der Farben,
der Reiz des Fremden und des Großen, schöne Frauenbilder und unheimliche
aber prächtige Männer, eine reiche Scene mit einem ganz einfachen Vorgang.
Wenn man jung ist. geht es Einem wie jenem Liebhaber in Goethe's Wil¬
helm Meister, der der Ansicht war, der Reiz der alten Gemälde für den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/200>, abgerufen am 03.07.2024.