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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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aus ihnen eine Art Polizei bildete; doch that dies auf die Länge nicht gut.
Spaventa, der ihm in der Polizeiverwaltung Neapels folgte, wollte die Ca-
morristen durch die Camorristen vertilgen, indem er einen Theil derselben
anstellte, damit er die andern verfolge; doch auch dieses führte zu keinem
Ziele. Die Camorristen bestehen bis auf den heutigen Tag.

Der gelehrte Professor Zupetta in Neapel hat eine Abhandlung über
das Wort Camorra geschrieben, welches nicht italienischen Ursprungs ist. Er
behauptet, es gehöre jenem semitischen Dialekt an, den ein Theil der Be¬
völkerung Maltas redet. Auch glaubt er daraus nicht mit Unrecht die Fol¬
gerung ziehen zu dürfen, daß die Camorra ursprünglich auf Malta entstanden
und von da über die Insel Sicilien nach Neapel sich verbreitet habe.

Aus den hohen städtischen Aemtern sind die Mitglieder des großen
Gaunerbundes nun verschwunden, aber die ganze niedere Beamtenwelt Neapels
bildet jetzt einen grauenvollen Rattenkönig von Gaunern, der recht gut als
Erbschaft oder Fortsetzung der Camorra betrachtet werden darf. In Neapel
sieht es augenblicklich folgendermaßen aus. An den Halteplätzen der Fiaker
befinden sich Subjecte, die von jedem Einsteigenden unter irgend einem Vor-
wande Geld erpressen; in allen öffentlichen Speise- und Trinklokalen, in den
Schauspielhäusern wimmelt es von Taschendieben, die brillante Geschäfte
machen und mit denen Gensdarmen und Polizeidiener gut Freund find. Auf
den Plätzen, Märkten, den verkehrsreichsten Straßen sind die Gauner statio-
nirt, in den Hotels haben sie Verbindung mit der Dienerschaft und am Hafen
mit den Zollbeamten. Jeder dort aufgestellte Facchino gibt sich für einen
Staatsbeamten aus, stürzt über die Ankömmlinge her und liefert angeblich
das Gepäck in der Dogana ab -- zwanzig Procent der Colii aber verschwin¬
den, das ist hergebrachter Stil. Der Fremde ist in Neapel verrathen und
verkauft und der Polizist drückt allemal ein Auge zu, denn seine Maxime ist
^Leben und leben lassen". Und er lebt gut. An den Eisenbahnstationen end¬
lich derselbe Schwindel.

Aber nicht allein der Fremde leidet unter diesem großartigen Räuber-
unwesen, auch der ehrliche Einheimische. Sobald ein Bauer mit Früchten,
^Gemüsen oder Vieh zum Verkaufe in die Stadt eintritt, ist auch einer jener
aufdringlichen Gauner bei ihm, der das Mäklergeschäft besorgt, seinen
Clienten vor Uebervortheilung schützt, ihm aber dafür eine gehörige Steuer
auferlegt. Wo nur das Volk sich belustigt und z. B. auf Straßen und
Plätzen Karten, Würfel oder mit in die Luft geworfenen Münzen spielt, da
fehlen diese bekannten Spießgesellen nicht: sie sorgen dafür, daß kein Betrug
verübt werde, ziehen aber ihre Steuer ein, die nicht verweigert wird, aus
Angst vor Rache der Gauner.

Gegenwärtig, d. h. im September 1872, sind von dem Militärcomman-


aus ihnen eine Art Polizei bildete; doch that dies auf die Länge nicht gut.
Spaventa, der ihm in der Polizeiverwaltung Neapels folgte, wollte die Ca-
morristen durch die Camorristen vertilgen, indem er einen Theil derselben
anstellte, damit er die andern verfolge; doch auch dieses führte zu keinem
Ziele. Die Camorristen bestehen bis auf den heutigen Tag.

Der gelehrte Professor Zupetta in Neapel hat eine Abhandlung über
das Wort Camorra geschrieben, welches nicht italienischen Ursprungs ist. Er
behauptet, es gehöre jenem semitischen Dialekt an, den ein Theil der Be¬
völkerung Maltas redet. Auch glaubt er daraus nicht mit Unrecht die Fol¬
gerung ziehen zu dürfen, daß die Camorra ursprünglich auf Malta entstanden
und von da über die Insel Sicilien nach Neapel sich verbreitet habe.

Aus den hohen städtischen Aemtern sind die Mitglieder des großen
Gaunerbundes nun verschwunden, aber die ganze niedere Beamtenwelt Neapels
bildet jetzt einen grauenvollen Rattenkönig von Gaunern, der recht gut als
Erbschaft oder Fortsetzung der Camorra betrachtet werden darf. In Neapel
sieht es augenblicklich folgendermaßen aus. An den Halteplätzen der Fiaker
befinden sich Subjecte, die von jedem Einsteigenden unter irgend einem Vor-
wande Geld erpressen; in allen öffentlichen Speise- und Trinklokalen, in den
Schauspielhäusern wimmelt es von Taschendieben, die brillante Geschäfte
machen und mit denen Gensdarmen und Polizeidiener gut Freund find. Auf
den Plätzen, Märkten, den verkehrsreichsten Straßen sind die Gauner statio-
nirt, in den Hotels haben sie Verbindung mit der Dienerschaft und am Hafen
mit den Zollbeamten. Jeder dort aufgestellte Facchino gibt sich für einen
Staatsbeamten aus, stürzt über die Ankömmlinge her und liefert angeblich
das Gepäck in der Dogana ab — zwanzig Procent der Colii aber verschwin¬
den, das ist hergebrachter Stil. Der Fremde ist in Neapel verrathen und
verkauft und der Polizist drückt allemal ein Auge zu, denn seine Maxime ist
^Leben und leben lassen". Und er lebt gut. An den Eisenbahnstationen end¬
lich derselbe Schwindel.

Aber nicht allein der Fremde leidet unter diesem großartigen Räuber-
unwesen, auch der ehrliche Einheimische. Sobald ein Bauer mit Früchten,
^Gemüsen oder Vieh zum Verkaufe in die Stadt eintritt, ist auch einer jener
aufdringlichen Gauner bei ihm, der das Mäklergeschäft besorgt, seinen
Clienten vor Uebervortheilung schützt, ihm aber dafür eine gehörige Steuer
auferlegt. Wo nur das Volk sich belustigt und z. B. auf Straßen und
Plätzen Karten, Würfel oder mit in die Luft geworfenen Münzen spielt, da
fehlen diese bekannten Spießgesellen nicht: sie sorgen dafür, daß kein Betrug
verübt werde, ziehen aber ihre Steuer ein, die nicht verweigert wird, aus
Angst vor Rache der Gauner.

Gegenwärtig, d. h. im September 1872, sind von dem Militärcomman-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/196>, abgerufen am 03.07.2024.