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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Abhilfe des grauenvoll unsicheren Zustandes in Süditalien, speziell im ehe¬
maligen Königreich Neapel, angehen. Die Regierung wird aufgefordert, ener¬
gische Maßregeln zu ergreifen, denn so, wie die Sache jetzt liege, könne sie
unmöglich bleiben, das Königreich sei beschimpft und jeder ehrliche Patriot
müsse sich vor den Fremden schämen, die in so großer Anzahl Italien be¬
suchten, aber hauptsächlich das Opfer der heimischen Gauner und Briganten
würden. "Die Ueberreste der alten calabrischen Banden, verstärkt durch neue
Rekruten treiben auf das Unverschämteste ihr Wesen in den Provinzen Oa-
Isdria entra, ?iineipato Literiorö und Lasili^aw." Der Brief schildert, wie
der berüchtigte Räuber Manzi aus dem Gefängnisse ausbrach, wie er seine
alten "Jagdgründe" wieder aufsuchte, keck sich durch die Distrikte wagte, in
denen sich Militärstationen befinden, und wie er schließlich Salerno, eine
Provinzialhauptstadt und Sitz einer Division, bedrohte. Solche Thatsachen
könnten nur die Achtung vor dem Gesetze und das Vertrauen zur Regierung
vollständig erschüttern und unter dem gemeinen Volke die Ansicht hervor¬
bringen, daß man von obenher das Räuberwesen geradezu begünstige. Der
Brief erzählt weiter von der fast märchenhaften Gefangennahme des Signor
Mancufi durch Briganten, wenige Schritte vor seinem Hause und von der
fabelhaften für ihn verlangten Lösesumme. Wie die Gazetta ti Salerno be¬
richtet, wurden aus der Stadt Boten mit 25000 Lire in baarem Gelde, an
den Vertrauensmann der Räuber abgesandt, um Mancufi auszulösen, allein
sie trafen denselben nicht und kehrten um. Die Gazetta schreibt: "Die Boten
aus der Stadt hatten Besehl, auf der Montellastraße vorwärts zu gehen,
bis sie einen Mann träfen, der, nach dem Austausche gewisser Zeichen, sie
über Berge und durch Wälder zum Ziele führen werde."

Ist es nicht, als ob wir einen Räuberroman lasen, als ob Fra Diavolo
und Rinaldo Rinaldini auferstanden wären? Und in der That, sie sind auf¬
erstanden, Süditalien ist eine große Räuberhöhle, nicht nur das platte Land,
das bergige Innere, sondern namentlich auch die großen Städte, in welchen
die Camorra wieder ihr Wesen zu treiben beginnt. Sie ist da oder viel¬
mehr dieser Geheimbund, der sich vom Vater auf den Sohn forterbt, hat
noch niemals aufgehört, er hat sich eingeschüchtert wohl zeitweilig zurückge¬
zogen, lebt jetzt aber wieder auf. So oft man ihr auch den Garaus hat
machen wollen, die Camorra erhob doch stets wieder ihr Haupt. Noch Franz II.
versuchte es gleich nach seinem Regierungsantritte, ließ viele Camorristen fest¬
nehmen und auf die Inseln transportiren, nun aber setzten sich in Folge
dieser Maßregel die Camorristi mit dem Revolutionscomite in Verbindung
und halfen zur Verbreitung des Kriegs mit. So ragt dieses Gaunerthum in
die Politik hinein. Nach dem Einzuge Garibaldi's in Neapel suchte der
Minister Liborio Romano die Camorristen nützlich zu verwerthen, indem er


Abhilfe des grauenvoll unsicheren Zustandes in Süditalien, speziell im ehe¬
maligen Königreich Neapel, angehen. Die Regierung wird aufgefordert, ener¬
gische Maßregeln zu ergreifen, denn so, wie die Sache jetzt liege, könne sie
unmöglich bleiben, das Königreich sei beschimpft und jeder ehrliche Patriot
müsse sich vor den Fremden schämen, die in so großer Anzahl Italien be¬
suchten, aber hauptsächlich das Opfer der heimischen Gauner und Briganten
würden. „Die Ueberreste der alten calabrischen Banden, verstärkt durch neue
Rekruten treiben auf das Unverschämteste ihr Wesen in den Provinzen Oa-
Isdria entra, ?iineipato Literiorö und Lasili^aw." Der Brief schildert, wie
der berüchtigte Räuber Manzi aus dem Gefängnisse ausbrach, wie er seine
alten „Jagdgründe" wieder aufsuchte, keck sich durch die Distrikte wagte, in
denen sich Militärstationen befinden, und wie er schließlich Salerno, eine
Provinzialhauptstadt und Sitz einer Division, bedrohte. Solche Thatsachen
könnten nur die Achtung vor dem Gesetze und das Vertrauen zur Regierung
vollständig erschüttern und unter dem gemeinen Volke die Ansicht hervor¬
bringen, daß man von obenher das Räuberwesen geradezu begünstige. Der
Brief erzählt weiter von der fast märchenhaften Gefangennahme des Signor
Mancufi durch Briganten, wenige Schritte vor seinem Hause und von der
fabelhaften für ihn verlangten Lösesumme. Wie die Gazetta ti Salerno be¬
richtet, wurden aus der Stadt Boten mit 25000 Lire in baarem Gelde, an
den Vertrauensmann der Räuber abgesandt, um Mancufi auszulösen, allein
sie trafen denselben nicht und kehrten um. Die Gazetta schreibt: „Die Boten
aus der Stadt hatten Besehl, auf der Montellastraße vorwärts zu gehen,
bis sie einen Mann träfen, der, nach dem Austausche gewisser Zeichen, sie
über Berge und durch Wälder zum Ziele führen werde."

Ist es nicht, als ob wir einen Räuberroman lasen, als ob Fra Diavolo
und Rinaldo Rinaldini auferstanden wären? Und in der That, sie sind auf¬
erstanden, Süditalien ist eine große Räuberhöhle, nicht nur das platte Land,
das bergige Innere, sondern namentlich auch die großen Städte, in welchen
die Camorra wieder ihr Wesen zu treiben beginnt. Sie ist da oder viel¬
mehr dieser Geheimbund, der sich vom Vater auf den Sohn forterbt, hat
noch niemals aufgehört, er hat sich eingeschüchtert wohl zeitweilig zurückge¬
zogen, lebt jetzt aber wieder auf. So oft man ihr auch den Garaus hat
machen wollen, die Camorra erhob doch stets wieder ihr Haupt. Noch Franz II.
versuchte es gleich nach seinem Regierungsantritte, ließ viele Camorristen fest¬
nehmen und auf die Inseln transportiren, nun aber setzten sich in Folge
dieser Maßregel die Camorristi mit dem Revolutionscomite in Verbindung
und halfen zur Verbreitung des Kriegs mit. So ragt dieses Gaunerthum in
die Politik hinein. Nach dem Einzuge Garibaldi's in Neapel suchte der
Minister Liborio Romano die Camorristen nützlich zu verwerthen, indem er


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[0195] Abhilfe des grauenvoll unsicheren Zustandes in Süditalien, speziell im ehe¬ maligen Königreich Neapel, angehen. Die Regierung wird aufgefordert, ener¬ gische Maßregeln zu ergreifen, denn so, wie die Sache jetzt liege, könne sie unmöglich bleiben, das Königreich sei beschimpft und jeder ehrliche Patriot müsse sich vor den Fremden schämen, die in so großer Anzahl Italien be¬ suchten, aber hauptsächlich das Opfer der heimischen Gauner und Briganten würden. „Die Ueberreste der alten calabrischen Banden, verstärkt durch neue Rekruten treiben auf das Unverschämteste ihr Wesen in den Provinzen Oa- Isdria entra, ?iineipato Literiorö und Lasili^aw." Der Brief schildert, wie der berüchtigte Räuber Manzi aus dem Gefängnisse ausbrach, wie er seine alten „Jagdgründe" wieder aufsuchte, keck sich durch die Distrikte wagte, in denen sich Militärstationen befinden, und wie er schließlich Salerno, eine Provinzialhauptstadt und Sitz einer Division, bedrohte. Solche Thatsachen könnten nur die Achtung vor dem Gesetze und das Vertrauen zur Regierung vollständig erschüttern und unter dem gemeinen Volke die Ansicht hervor¬ bringen, daß man von obenher das Räuberwesen geradezu begünstige. Der Brief erzählt weiter von der fast märchenhaften Gefangennahme des Signor Mancufi durch Briganten, wenige Schritte vor seinem Hause und von der fabelhaften für ihn verlangten Lösesumme. Wie die Gazetta ti Salerno be¬ richtet, wurden aus der Stadt Boten mit 25000 Lire in baarem Gelde, an den Vertrauensmann der Räuber abgesandt, um Mancufi auszulösen, allein sie trafen denselben nicht und kehrten um. Die Gazetta schreibt: „Die Boten aus der Stadt hatten Besehl, auf der Montellastraße vorwärts zu gehen, bis sie einen Mann träfen, der, nach dem Austausche gewisser Zeichen, sie über Berge und durch Wälder zum Ziele führen werde." Ist es nicht, als ob wir einen Räuberroman lasen, als ob Fra Diavolo und Rinaldo Rinaldini auferstanden wären? Und in der That, sie sind auf¬ erstanden, Süditalien ist eine große Räuberhöhle, nicht nur das platte Land, das bergige Innere, sondern namentlich auch die großen Städte, in welchen die Camorra wieder ihr Wesen zu treiben beginnt. Sie ist da oder viel¬ mehr dieser Geheimbund, der sich vom Vater auf den Sohn forterbt, hat noch niemals aufgehört, er hat sich eingeschüchtert wohl zeitweilig zurückge¬ zogen, lebt jetzt aber wieder auf. So oft man ihr auch den Garaus hat machen wollen, die Camorra erhob doch stets wieder ihr Haupt. Noch Franz II. versuchte es gleich nach seinem Regierungsantritte, ließ viele Camorristen fest¬ nehmen und auf die Inseln transportiren, nun aber setzten sich in Folge dieser Maßregel die Camorristi mit dem Revolutionscomite in Verbindung und halfen zur Verbreitung des Kriegs mit. So ragt dieses Gaunerthum in die Politik hinein. Nach dem Einzuge Garibaldi's in Neapel suchte der Minister Liborio Romano die Camorristen nützlich zu verwerthen, indem er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/195>, abgerufen am 23.07.2024.