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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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täusche Stellung war vollkommen unklar. Bei Berechnung der für einen
Krieg aufzustellenden Heeresmacht führten zwar die meisten Militärschriftsteller
die hohe Ziffer von einer halben Million Mobilgarden mit auf, bemerkten
aber fast stets, daß auf diese unausgebildeten, unorganisirten Massen kein
Werth zu legen sei. "Unter Niet's Leitung hätte, wenn der ursprüngliche
Plan festgehalten wäre, die mobile Nationalgarde ein brauchbares Instrument
werden können, aber Leboeuf vernachlässigte sie ganz, die Bataillone haben
kaum ein einziges Mal exercirt. Sagte er doch in der Kammer ,,g,pee eotte
äesinvoituro yui lui est propre": "Ihr bewilligt mir 18 Millionen, das ist
für die Nationalgarde zu viel, viel zu viel."*) -- Auch Marschall Bazaine
sagt**): "Die Mobilgarde hätte, namentlich als Reservetruppe, eine sehr nütz¬
liche Einrichtung sein können, wenn ihre Formation nicht aus Mangel an
Mitteln hinausgeschoben worden wäre. Im Augenblick des Kriegsausbruches
waren nicht einmal ihre Rahmen überall gebildet, die Leute hatten keine
Unterweisung empfangen und die Waffen lagen noch in den Zeughäusern.
Erst in elfter Stunde wurde diese junge und muthige Truppe aufgeboten."
Nun sollte im letzten Augenblicke das Möglichste für sie geschehen. Am
9. Juli richtete der Kriegsminister ein Rundschreiben an alle Corpsführer,
welches sie aufforderte, in kürzester Frist ein namentliches Verzeichniß derjenigen
Officiere mitzutheilen, welche, wegen angegriffener Gesundheit beurlaubt, mit
ihrem oder einem höheren Grade in die Mobilgarde einzutreten wünsch¬
ten. Von dieser Volkswehr sollten zunächst 143 Bataillone der Osthälfte
Frankreichs (die der 1. bis 7. Militär-Division) aufgestellt werden, welche
wenigstens theilweise insoweit auf dem Papiere organisirt waren, daß die
Mannschaften in die Listen eingetragen und die meisten Officiere ernannt
waren. Zur Beschleunigung dieser Neubildungen war beabsichtigt, alle Mo¬
bilgarden in die Lager von Chalons, Lannemezan, Se. Maur, Sathoney und
Pas des Lanciers zusammenzuziehen.

Die militärische Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit der Mobilgarden war
eine sehr verschiedene. Ganz entschieden schlecht zeigten sich die Pariser.
Ihr wüstes Geschrei, ihr unaufhörliches Bewitzeln der militärischen Einrich¬
tungen, immer wiederholter vorlauter und bubenhaster Zeitungskrakehl kenn¬
zeichnete sie schon während ihrer Formirung. Als die drei ersten Bataillone
jedoch nach Chalons abrücken sollten, konnte man es sich doch nicht versagen
"zur Hebung des moralischen Elements der Hauptstadt" einen Triumphzug
aus ihrem Marsch zum Bahnhofe zu machen. Der verunglückte aber total.
Und ebenso widerlich wie ihr Ausmarsch war ihre bekannte Meuteret gegen
den Marschall Canrobert im Lager von Chalons. Ein großer Theil der




') ^als- HusIguW reüöxioils sur la guerrs as 1870/71 (Spevt. mW. 15. hope. 71,)
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täusche Stellung war vollkommen unklar. Bei Berechnung der für einen
Krieg aufzustellenden Heeresmacht führten zwar die meisten Militärschriftsteller
die hohe Ziffer von einer halben Million Mobilgarden mit auf, bemerkten
aber fast stets, daß auf diese unausgebildeten, unorganisirten Massen kein
Werth zu legen sei. „Unter Niet's Leitung hätte, wenn der ursprüngliche
Plan festgehalten wäre, die mobile Nationalgarde ein brauchbares Instrument
werden können, aber Leboeuf vernachlässigte sie ganz, die Bataillone haben
kaum ein einziges Mal exercirt. Sagte er doch in der Kammer ,,g,pee eotte
äesinvoituro yui lui est propre": „Ihr bewilligt mir 18 Millionen, das ist
für die Nationalgarde zu viel, viel zu viel."*) — Auch Marschall Bazaine
sagt**): „Die Mobilgarde hätte, namentlich als Reservetruppe, eine sehr nütz¬
liche Einrichtung sein können, wenn ihre Formation nicht aus Mangel an
Mitteln hinausgeschoben worden wäre. Im Augenblick des Kriegsausbruches
waren nicht einmal ihre Rahmen überall gebildet, die Leute hatten keine
Unterweisung empfangen und die Waffen lagen noch in den Zeughäusern.
Erst in elfter Stunde wurde diese junge und muthige Truppe aufgeboten."
Nun sollte im letzten Augenblicke das Möglichste für sie geschehen. Am
9. Juli richtete der Kriegsminister ein Rundschreiben an alle Corpsführer,
welches sie aufforderte, in kürzester Frist ein namentliches Verzeichniß derjenigen
Officiere mitzutheilen, welche, wegen angegriffener Gesundheit beurlaubt, mit
ihrem oder einem höheren Grade in die Mobilgarde einzutreten wünsch¬
ten. Von dieser Volkswehr sollten zunächst 143 Bataillone der Osthälfte
Frankreichs (die der 1. bis 7. Militär-Division) aufgestellt werden, welche
wenigstens theilweise insoweit auf dem Papiere organisirt waren, daß die
Mannschaften in die Listen eingetragen und die meisten Officiere ernannt
waren. Zur Beschleunigung dieser Neubildungen war beabsichtigt, alle Mo¬
bilgarden in die Lager von Chalons, Lannemezan, Se. Maur, Sathoney und
Pas des Lanciers zusammenzuziehen.

Die militärische Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit der Mobilgarden war
eine sehr verschiedene. Ganz entschieden schlecht zeigten sich die Pariser.
Ihr wüstes Geschrei, ihr unaufhörliches Bewitzeln der militärischen Einrich¬
tungen, immer wiederholter vorlauter und bubenhaster Zeitungskrakehl kenn¬
zeichnete sie schon während ihrer Formirung. Als die drei ersten Bataillone
jedoch nach Chalons abrücken sollten, konnte man es sich doch nicht versagen
„zur Hebung des moralischen Elements der Hauptstadt" einen Triumphzug
aus ihrem Marsch zum Bahnhofe zu machen. Der verunglückte aber total.
Und ebenso widerlich wie ihr Ausmarsch war ihre bekannte Meuteret gegen
den Marschall Canrobert im Lager von Chalons. Ein großer Theil der




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/182>, abgerufen am 22.07.2024.