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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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kamen der Reserve natürlich erst zum allerkleinsten Theile zu Gut, Ihre
1. Portion bestand bei Ausbruch des Krieges aus 32,800 Mann, die Krüm¬
permasse aus etwa 92,000 Mann. Die Zahlen hätten etwas höher sein
können; aber es waren von Seiten der Divisionscommandos gegen den Wort¬
laut der Ministerialverordnung eine große Menge von Verheirathungen im
ersten Jahrgange gestattet worden und alle diese Leute fielen französischer
Sitte gemäß aus.') Dies beeinträchtigte die Zahl der Reservisten. -- Die
vor 1869 eingestellten Contingente hatten niemals mit dem Chassepot exercirt;
da sie es nun in die Hände bekamen, verstanden sie nicht damit umzugehen.
Dies beeinträchtigte den Werth der Reservisten.^) Große Störungen aber
traten bei Einziehung derselben ein. In einzelnen Depots fanden massen¬
hafte Anhäufungen statt, ohne daß schleuniger Abfluß zu ermöglichen war,
weil die Bahnen überladen waren. Irrthümer beim Dirigiren des Nach¬
schubes zu den in der Bewegung befindlichen Regimentern waren unvermeid¬
lich und eine große Anzahl geriet!) dabei an Punkte, wo man den augenblick¬
lichen Standort ihrer Truppentheile nicht einmal kannte. Endlich sah sich
das Kriegsministerium genöthigt, den Befehl zu geben, die Reserven, wo man
sie fände, aufzugreifen und an das nächste Depot abzuliefern. Von der
naiven Verzweiflung, in welche manche Behörden bei dieser Verwirrung ge-
riethen, ist die Depesche des Commandanten der Territorial-Division von Mar¬
seille ein classischer Beweis. Er telegraphirt: "9000 Reserven hier; ich weiß
nicht wohin mit ihnen. Um mir Luft zu machen werde ich sie alle nach
Algier mit den im Hafen vorhandenen Transportschiffen schicken."^*)

Beim Corps Failly kamen die ersten Reserven erst am 26. Juli an ; und oft
trafen sie bei den marschirenden Truppentheilen unvollständig ausgerüstet ein,
was die Verlegenheit der Truppen um so mehr steigerte, als sich die Beklei-
dungs- und Ausrüstungsgegenstände nur bei den Depots befanden.

Die alte Abneigung der Franzosen nach abgelegtem Dienste bei der
Fahne, noch einmal zur Truppe zurückzukehren, machte sich übrigens in wider¬
licher Weise geltend. Nicht nur entzogen sich in vielen Gegenden, ramme-
ln Süden, unglaublich viele Reservisten dem Dienst und wurden bei der Lang¬
samkeit des bureaukratischen Apparates selten wieder zur Gestellung gebracht;
sondern die Eingezogenen kamen sich geradezu wie unglückliche Opferlämmer
vor, verloren alle Haltung und Würde und nahmen die Mildthätigkeit der
Bürger in Anspruch.

Die Mobilgarden anlangend, so hatte sich in Frankreich selbst bis
kurz vor Ausbruch des Krieges eine wenig günstige Meinung von ihrem
militärischen Werthe Bahn gebrochen. Ihre halb departementale, halb alli-





Gmemlstabswerk.
-) Edda.
') 1,6 ovato als l!t OKspölls a. a. O.

kamen der Reserve natürlich erst zum allerkleinsten Theile zu Gut, Ihre
1. Portion bestand bei Ausbruch des Krieges aus 32,800 Mann, die Krüm¬
permasse aus etwa 92,000 Mann. Die Zahlen hätten etwas höher sein
können; aber es waren von Seiten der Divisionscommandos gegen den Wort¬
laut der Ministerialverordnung eine große Menge von Verheirathungen im
ersten Jahrgange gestattet worden und alle diese Leute fielen französischer
Sitte gemäß aus.') Dies beeinträchtigte die Zahl der Reservisten. — Die
vor 1869 eingestellten Contingente hatten niemals mit dem Chassepot exercirt;
da sie es nun in die Hände bekamen, verstanden sie nicht damit umzugehen.
Dies beeinträchtigte den Werth der Reservisten.^) Große Störungen aber
traten bei Einziehung derselben ein. In einzelnen Depots fanden massen¬
hafte Anhäufungen statt, ohne daß schleuniger Abfluß zu ermöglichen war,
weil die Bahnen überladen waren. Irrthümer beim Dirigiren des Nach¬
schubes zu den in der Bewegung befindlichen Regimentern waren unvermeid¬
lich und eine große Anzahl geriet!) dabei an Punkte, wo man den augenblick¬
lichen Standort ihrer Truppentheile nicht einmal kannte. Endlich sah sich
das Kriegsministerium genöthigt, den Befehl zu geben, die Reserven, wo man
sie fände, aufzugreifen und an das nächste Depot abzuliefern. Von der
naiven Verzweiflung, in welche manche Behörden bei dieser Verwirrung ge-
riethen, ist die Depesche des Commandanten der Territorial-Division von Mar¬
seille ein classischer Beweis. Er telegraphirt: „9000 Reserven hier; ich weiß
nicht wohin mit ihnen. Um mir Luft zu machen werde ich sie alle nach
Algier mit den im Hafen vorhandenen Transportschiffen schicken."^*)

Beim Corps Failly kamen die ersten Reserven erst am 26. Juli an ; und oft
trafen sie bei den marschirenden Truppentheilen unvollständig ausgerüstet ein,
was die Verlegenheit der Truppen um so mehr steigerte, als sich die Beklei-
dungs- und Ausrüstungsgegenstände nur bei den Depots befanden.

Die alte Abneigung der Franzosen nach abgelegtem Dienste bei der
Fahne, noch einmal zur Truppe zurückzukehren, machte sich übrigens in wider¬
licher Weise geltend. Nicht nur entzogen sich in vielen Gegenden, ramme-
ln Süden, unglaublich viele Reservisten dem Dienst und wurden bei der Lang¬
samkeit des bureaukratischen Apparates selten wieder zur Gestellung gebracht;
sondern die Eingezogenen kamen sich geradezu wie unglückliche Opferlämmer
vor, verloren alle Haltung und Würde und nahmen die Mildthätigkeit der
Bürger in Anspruch.

Die Mobilgarden anlangend, so hatte sich in Frankreich selbst bis
kurz vor Ausbruch des Krieges eine wenig günstige Meinung von ihrem
militärischen Werthe Bahn gebrochen. Ihre halb departementale, halb alli-





Gmemlstabswerk.
-) Edda.
') 1,6 ovato als l!t OKspölls a. a. O.
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[0181] kamen der Reserve natürlich erst zum allerkleinsten Theile zu Gut, Ihre 1. Portion bestand bei Ausbruch des Krieges aus 32,800 Mann, die Krüm¬ permasse aus etwa 92,000 Mann. Die Zahlen hätten etwas höher sein können; aber es waren von Seiten der Divisionscommandos gegen den Wort¬ laut der Ministerialverordnung eine große Menge von Verheirathungen im ersten Jahrgange gestattet worden und alle diese Leute fielen französischer Sitte gemäß aus.') Dies beeinträchtigte die Zahl der Reservisten. — Die vor 1869 eingestellten Contingente hatten niemals mit dem Chassepot exercirt; da sie es nun in die Hände bekamen, verstanden sie nicht damit umzugehen. Dies beeinträchtigte den Werth der Reservisten.^) Große Störungen aber traten bei Einziehung derselben ein. In einzelnen Depots fanden massen¬ hafte Anhäufungen statt, ohne daß schleuniger Abfluß zu ermöglichen war, weil die Bahnen überladen waren. Irrthümer beim Dirigiren des Nach¬ schubes zu den in der Bewegung befindlichen Regimentern waren unvermeid¬ lich und eine große Anzahl geriet!) dabei an Punkte, wo man den augenblick¬ lichen Standort ihrer Truppentheile nicht einmal kannte. Endlich sah sich das Kriegsministerium genöthigt, den Befehl zu geben, die Reserven, wo man sie fände, aufzugreifen und an das nächste Depot abzuliefern. Von der naiven Verzweiflung, in welche manche Behörden bei dieser Verwirrung ge- riethen, ist die Depesche des Commandanten der Territorial-Division von Mar¬ seille ein classischer Beweis. Er telegraphirt: „9000 Reserven hier; ich weiß nicht wohin mit ihnen. Um mir Luft zu machen werde ich sie alle nach Algier mit den im Hafen vorhandenen Transportschiffen schicken."^*) Beim Corps Failly kamen die ersten Reserven erst am 26. Juli an ; und oft trafen sie bei den marschirenden Truppentheilen unvollständig ausgerüstet ein, was die Verlegenheit der Truppen um so mehr steigerte, als sich die Beklei- dungs- und Ausrüstungsgegenstände nur bei den Depots befanden. Die alte Abneigung der Franzosen nach abgelegtem Dienste bei der Fahne, noch einmal zur Truppe zurückzukehren, machte sich übrigens in wider¬ licher Weise geltend. Nicht nur entzogen sich in vielen Gegenden, ramme- ln Süden, unglaublich viele Reservisten dem Dienst und wurden bei der Lang¬ samkeit des bureaukratischen Apparates selten wieder zur Gestellung gebracht; sondern die Eingezogenen kamen sich geradezu wie unglückliche Opferlämmer vor, verloren alle Haltung und Würde und nahmen die Mildthätigkeit der Bürger in Anspruch. Die Mobilgarden anlangend, so hatte sich in Frankreich selbst bis kurz vor Ausbruch des Krieges eine wenig günstige Meinung von ihrem militärischen Werthe Bahn gebrochen. Ihre halb departementale, halb alli- Gmemlstabswerk. -) Edda. ') 1,6 ovato als l!t OKspölls a. a. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/181>, abgerufen am 22.07.2024.