Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

tung" berichtete, daß er über die ihm schließlich noch zugekommene Kreuz¬
bandeinladung der Herren Einladenden, unter denen mehrere Männer seien,
welche der deutschen Genossenschaftsbewegung sich stets feindlich zeigten, sich
sehr derb geäußert habe. "Er erklärt sich jederzeit bereit, mit Feinden und
wahren und falschen Freunden über die sociale Frage zu discutiren. Aber
er findet eine Beleidigung nicht seiner Person, sondern der Stellung, welche
er als Anwalt der deutschen Genossenschaften, als erwählter Vertreter dieser
großen Sache einnimmt, daß man ihn zu Vorbesprechungen nicht zuzieht,
sondern hinterher durch Kreuzband einladet, nachdem Tagesordnung und Re¬
ferenten und die Liste der einzuladenden Personen vorher festgestellt sind.
Die deutschen Genossenschaften und deren Anwalt haben nicht nöthig, von
jenen Herren sich das Attest der Berechtigung ihrer Existenz ausstellen zu
lassen."

Die Einladung nach Eisenach lautete unter Anderem auch dahin, daß
man Männer aller politischen Parteien, welche "sittliches Pathos" ;c.
haben, zur Betheiligung aufgefordert habe, während es in dieser Sache doch
allein auf die Berücksichtigung der verschiedenen "wirthschaftlichen Par¬
teien" ankommt und man von vornherein Confusion in die Behandlung der
socialen Frage hineinbringt, wenn man die Politik und die Staatsgewalt
obenan stellt. Man würde es rechtfertigen können, wenn Politiker auf Grund
der politischen Phrase des "absoluten Jen-z"er taire vt imsser M88ör" Ge¬
sinnungsgenossen einladen. Wenn aber Männer der Wissenschaft die öffent¬
liche Besprechung der brennendsten Frage ihres Faches nach einer Partei¬
schablone und mit Ausschließung einer ganzen Schule von theoretischen und
practischen Mitarbeitern einleiten und organisiren, so versündigen sie sich an
dem heiligen Geist der Wissenschaft, welche nicht nach Autoritäten und Par¬
teien, sondern nur nach Wahrheit fragt und jede Kritik willkommen heißt.

Eine Reihe von hervorragenden Organen der deutschen Presse hat schon
die ganze Einleitung dieser socialen Conferenz mit ihrem Ketzergericht über
gleich strebende Männer als einen im deutschen Congreßleben bisher uner¬
hörten Vorgang bezeichnet, welcher nur in persönlicher Gereiztheit und Leiden¬
schaftlichkeit der Hauptveranstalter seinen Grund haben und unmöglich zur
Versöhnung der Gegensätze und Vermittlung der Parteien beitragen könne,
wie es der echten deutschen Wissenschaft ziemen würde.

Die wirklichen Verhandlungen haben diese Vermuthungen und Befürchtun¬
gen leider nicht vollständig widerlegt. Einer der Hauptveranstalter der Eisenacher
Conferenz, Professor SchmolIer, eröffnete die Verhandlungen mit einer Polemik
gegen die nicht eingeladenen Besucher des "volkswirthschaftlichen Con-
gresses" und besonders gegen die "Berliner volkswirthschaftliche Gesellschaft."
Nach seinen Worten "nahm es fast den Anschein, als ob die Partei, die


Grenjbolen to. 1U72. 20

tung" berichtete, daß er über die ihm schließlich noch zugekommene Kreuz¬
bandeinladung der Herren Einladenden, unter denen mehrere Männer seien,
welche der deutschen Genossenschaftsbewegung sich stets feindlich zeigten, sich
sehr derb geäußert habe. „Er erklärt sich jederzeit bereit, mit Feinden und
wahren und falschen Freunden über die sociale Frage zu discutiren. Aber
er findet eine Beleidigung nicht seiner Person, sondern der Stellung, welche
er als Anwalt der deutschen Genossenschaften, als erwählter Vertreter dieser
großen Sache einnimmt, daß man ihn zu Vorbesprechungen nicht zuzieht,
sondern hinterher durch Kreuzband einladet, nachdem Tagesordnung und Re¬
ferenten und die Liste der einzuladenden Personen vorher festgestellt sind.
Die deutschen Genossenschaften und deren Anwalt haben nicht nöthig, von
jenen Herren sich das Attest der Berechtigung ihrer Existenz ausstellen zu
lassen."

Die Einladung nach Eisenach lautete unter Anderem auch dahin, daß
man Männer aller politischen Parteien, welche „sittliches Pathos" ;c.
haben, zur Betheiligung aufgefordert habe, während es in dieser Sache doch
allein auf die Berücksichtigung der verschiedenen „wirthschaftlichen Par¬
teien" ankommt und man von vornherein Confusion in die Behandlung der
socialen Frage hineinbringt, wenn man die Politik und die Staatsgewalt
obenan stellt. Man würde es rechtfertigen können, wenn Politiker auf Grund
der politischen Phrase des „absoluten Jen-z»er taire vt imsser M88ör" Ge¬
sinnungsgenossen einladen. Wenn aber Männer der Wissenschaft die öffent¬
liche Besprechung der brennendsten Frage ihres Faches nach einer Partei¬
schablone und mit Ausschließung einer ganzen Schule von theoretischen und
practischen Mitarbeitern einleiten und organisiren, so versündigen sie sich an
dem heiligen Geist der Wissenschaft, welche nicht nach Autoritäten und Par¬
teien, sondern nur nach Wahrheit fragt und jede Kritik willkommen heißt.

Eine Reihe von hervorragenden Organen der deutschen Presse hat schon
die ganze Einleitung dieser socialen Conferenz mit ihrem Ketzergericht über
gleich strebende Männer als einen im deutschen Congreßleben bisher uner¬
hörten Vorgang bezeichnet, welcher nur in persönlicher Gereiztheit und Leiden¬
schaftlichkeit der Hauptveranstalter seinen Grund haben und unmöglich zur
Versöhnung der Gegensätze und Vermittlung der Parteien beitragen könne,
wie es der echten deutschen Wissenschaft ziemen würde.

Die wirklichen Verhandlungen haben diese Vermuthungen und Befürchtun¬
gen leider nicht vollständig widerlegt. Einer der Hauptveranstalter der Eisenacher
Conferenz, Professor SchmolIer, eröffnete die Verhandlungen mit einer Polemik
gegen die nicht eingeladenen Besucher des „volkswirthschaftlichen Con-
gresses" und besonders gegen die „Berliner volkswirthschaftliche Gesellschaft."
Nach seinen Worten „nahm es fast den Anschein, als ob die Partei, die


Grenjbolen to. 1U72. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128615"/>
          <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> tung" berichtete, daß er über die ihm schließlich noch zugekommene Kreuz¬<lb/>
bandeinladung der Herren Einladenden, unter denen mehrere Männer seien,<lb/>
welche der deutschen Genossenschaftsbewegung sich stets feindlich zeigten, sich<lb/>
sehr derb geäußert habe. &#x201E;Er erklärt sich jederzeit bereit, mit Feinden und<lb/>
wahren und falschen Freunden über die sociale Frage zu discutiren. Aber<lb/>
er findet eine Beleidigung nicht seiner Person, sondern der Stellung, welche<lb/>
er als Anwalt der deutschen Genossenschaften, als erwählter Vertreter dieser<lb/>
großen Sache einnimmt, daß man ihn zu Vorbesprechungen nicht zuzieht,<lb/>
sondern hinterher durch Kreuzband einladet, nachdem Tagesordnung und Re¬<lb/>
ferenten und die Liste der einzuladenden Personen vorher festgestellt sind.<lb/>
Die deutschen Genossenschaften und deren Anwalt haben nicht nöthig, von<lb/>
jenen Herren sich das Attest der Berechtigung ihrer Existenz ausstellen zu<lb/>
lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_449"> Die Einladung nach Eisenach lautete unter Anderem auch dahin, daß<lb/>
man Männer aller politischen Parteien, welche &#x201E;sittliches Pathos" ;c.<lb/>
haben, zur Betheiligung aufgefordert habe, während es in dieser Sache doch<lb/>
allein auf die Berücksichtigung der verschiedenen &#x201E;wirthschaftlichen Par¬<lb/>
teien" ankommt und man von vornherein Confusion in die Behandlung der<lb/>
socialen Frage hineinbringt, wenn man die Politik und die Staatsgewalt<lb/>
obenan stellt. Man würde es rechtfertigen können, wenn Politiker auf Grund<lb/>
der politischen Phrase des &#x201E;absoluten Jen-z»er taire vt imsser M88ör" Ge¬<lb/>
sinnungsgenossen einladen. Wenn aber Männer der Wissenschaft die öffent¬<lb/>
liche Besprechung der brennendsten Frage ihres Faches nach einer Partei¬<lb/>
schablone und mit Ausschließung einer ganzen Schule von theoretischen und<lb/>
practischen Mitarbeitern einleiten und organisiren, so versündigen sie sich an<lb/>
dem heiligen Geist der Wissenschaft, welche nicht nach Autoritäten und Par¬<lb/>
teien, sondern nur nach Wahrheit fragt und jede Kritik willkommen heißt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_450"> Eine Reihe von hervorragenden Organen der deutschen Presse hat schon<lb/>
die ganze Einleitung dieser socialen Conferenz mit ihrem Ketzergericht über<lb/>
gleich strebende Männer als einen im deutschen Congreßleben bisher uner¬<lb/>
hörten Vorgang bezeichnet, welcher nur in persönlicher Gereiztheit und Leiden¬<lb/>
schaftlichkeit der Hauptveranstalter seinen Grund haben und unmöglich zur<lb/>
Versöhnung der Gegensätze und Vermittlung der Parteien beitragen könne,<lb/>
wie es der echten deutschen Wissenschaft ziemen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_451" next="#ID_452"> Die wirklichen Verhandlungen haben diese Vermuthungen und Befürchtun¬<lb/>
gen leider nicht vollständig widerlegt. Einer der Hauptveranstalter der Eisenacher<lb/>
Conferenz, Professor SchmolIer, eröffnete die Verhandlungen mit einer Polemik<lb/>
gegen die nicht eingeladenen Besucher des &#x201E;volkswirthschaftlichen Con-<lb/>
gresses" und besonders gegen die &#x201E;Berliner volkswirthschaftliche Gesellschaft."<lb/>
Nach seinen Worten &#x201E;nahm es fast den Anschein, als ob die Partei, die</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenjbolen to. 1U72. 20</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0161] tung" berichtete, daß er über die ihm schließlich noch zugekommene Kreuz¬ bandeinladung der Herren Einladenden, unter denen mehrere Männer seien, welche der deutschen Genossenschaftsbewegung sich stets feindlich zeigten, sich sehr derb geäußert habe. „Er erklärt sich jederzeit bereit, mit Feinden und wahren und falschen Freunden über die sociale Frage zu discutiren. Aber er findet eine Beleidigung nicht seiner Person, sondern der Stellung, welche er als Anwalt der deutschen Genossenschaften, als erwählter Vertreter dieser großen Sache einnimmt, daß man ihn zu Vorbesprechungen nicht zuzieht, sondern hinterher durch Kreuzband einladet, nachdem Tagesordnung und Re¬ ferenten und die Liste der einzuladenden Personen vorher festgestellt sind. Die deutschen Genossenschaften und deren Anwalt haben nicht nöthig, von jenen Herren sich das Attest der Berechtigung ihrer Existenz ausstellen zu lassen." Die Einladung nach Eisenach lautete unter Anderem auch dahin, daß man Männer aller politischen Parteien, welche „sittliches Pathos" ;c. haben, zur Betheiligung aufgefordert habe, während es in dieser Sache doch allein auf die Berücksichtigung der verschiedenen „wirthschaftlichen Par¬ teien" ankommt und man von vornherein Confusion in die Behandlung der socialen Frage hineinbringt, wenn man die Politik und die Staatsgewalt obenan stellt. Man würde es rechtfertigen können, wenn Politiker auf Grund der politischen Phrase des „absoluten Jen-z»er taire vt imsser M88ör" Ge¬ sinnungsgenossen einladen. Wenn aber Männer der Wissenschaft die öffent¬ liche Besprechung der brennendsten Frage ihres Faches nach einer Partei¬ schablone und mit Ausschließung einer ganzen Schule von theoretischen und practischen Mitarbeitern einleiten und organisiren, so versündigen sie sich an dem heiligen Geist der Wissenschaft, welche nicht nach Autoritäten und Par¬ teien, sondern nur nach Wahrheit fragt und jede Kritik willkommen heißt. Eine Reihe von hervorragenden Organen der deutschen Presse hat schon die ganze Einleitung dieser socialen Conferenz mit ihrem Ketzergericht über gleich strebende Männer als einen im deutschen Congreßleben bisher uner¬ hörten Vorgang bezeichnet, welcher nur in persönlicher Gereiztheit und Leiden¬ schaftlichkeit der Hauptveranstalter seinen Grund haben und unmöglich zur Versöhnung der Gegensätze und Vermittlung der Parteien beitragen könne, wie es der echten deutschen Wissenschaft ziemen würde. Die wirklichen Verhandlungen haben diese Vermuthungen und Befürchtun¬ gen leider nicht vollständig widerlegt. Einer der Hauptveranstalter der Eisenacher Conferenz, Professor SchmolIer, eröffnete die Verhandlungen mit einer Polemik gegen die nicht eingeladenen Besucher des „volkswirthschaftlichen Con- gresses" und besonders gegen die „Berliner volkswirthschaftliche Gesellschaft." Nach seinen Worten „nahm es fast den Anschein, als ob die Partei, die Grenjbolen to. 1U72. 20

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/161
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/161>, abgerufen am 04.07.2024.