Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Punkt der Revolution oder des die Revolution provocirendenZConservativis-
mus." -- Nach anderen Koryphäen sollte die neue Richtung "die berechtigten
Forderungen des Socialismus" mit denen der gesellschaftlichen Ordnung ver¬
söhnen.

Solche Versprechungen und dunkle Andeutungen mußten den Appetit
einer an die alte Hausmannskost der britischen volkswirtschaftlichen Schule
gebohrten Menge aufs lebhafteste reizen. Hierzu kam, daß die meisten ge¬
lehrten Natioyal-Oekonomen der neuen Richtung bisher nur sehr selten von
ihren Kathedern ins Volk herabgetreten waren und die harte Arbeit der Ne-
formagitation und Volksaufklärung den Männern des volkswirrhfchaftlichen
Congresses überlassen hatten. Dieser volkswirthschaftliche Congreß hat offen¬
bar seine poetische schöpferische Zeit damals gehabt, als er die Zunftschranke,
das Concessionswesen, die Schutzzölle, die Wuchergesetze, die Spielbanken und
Lotterien, die Niederlassungs- und Heirathsbeschränkungen und andere Ver¬
kümmerungen des deutschen Wirthschaftslebens bekämpfte und an dem Auf¬
bau des Genossenschaftswesens eifrig mitarbeitete. Das norddeutsche und
später deutsche Parlament hat das Programm des Congresses verwirklicht
und die in den Vorarbeiten, Berichten und Verhandlungen des Congresses
niedergelegten Grundsätze und Reformvorschläge zum Theil wörtlich in die
neue Reichsgesetzgebung mit aufgenommen. Der volkswirthschaftliche Con¬
greß ist nunmehr in eine etwas prosaischere Periode eingetreten und hat auch
unter dem vorwiegenden Interesse des Publicums für die große Politik ge¬
litten. Es haben sich auch seit 1866 im Schooße des Congresses selbst manche
früher schlummernde Gegensätze und Differenzen herausgestellt und es hat
ihm der Nachwuchs frischen Blutes und die größere Theilnahme der Gelehrten¬
welt in den letzten Jahren allerdings gefehlt und das Interesse an seinen
Verhandlungen etwas abgeschwächt. Aber Niemand konnte ahnen, daß man
in den Bestrebungen des volkswirtschaftlichen Congresses selbst, welcher von
Anfang an eine Arena für gelehrte und ungelehrte Männer aller wirth¬
schaftlichen und politischen Parteien eröffnet hatte, ein Hinderniß der Lösung
der socialen Frage erblicken könne und für diese durchaus volkswirthschaft¬
liche Angelegenheit einen Gegencongreß in Scene setzen müsse.

Wenn man nun aber gerade die sociale Frage zum Gegenstande beson¬
derer Berathungen machen und einen Separatcongreß dafür berufen wollte,
so würde es nahe gelegen haben, doch wenigstens vorher mit einigen Freun¬
den des volkswirtschaftlichen Congresses zusammenzutreten, anstatt wie es
geschehen ist, consequent jeden regelmäßigen Besucher und jedes der mehr als
20 Vorstandsmitglieder von den Veranstaltungen eines socialen Congresses
auszuschließen. In ähnlicher Weise hat man den Vater des deutschen Ge¬
nossenschaftswesens, Schulze-Delitzsch, ignorirt, von dem die ^Rheinische Zei-


Punkt der Revolution oder des die Revolution provocirendenZConservativis-
mus." — Nach anderen Koryphäen sollte die neue Richtung „die berechtigten
Forderungen des Socialismus" mit denen der gesellschaftlichen Ordnung ver¬
söhnen.

Solche Versprechungen und dunkle Andeutungen mußten den Appetit
einer an die alte Hausmannskost der britischen volkswirtschaftlichen Schule
gebohrten Menge aufs lebhafteste reizen. Hierzu kam, daß die meisten ge¬
lehrten Natioyal-Oekonomen der neuen Richtung bisher nur sehr selten von
ihren Kathedern ins Volk herabgetreten waren und die harte Arbeit der Ne-
formagitation und Volksaufklärung den Männern des volkswirrhfchaftlichen
Congresses überlassen hatten. Dieser volkswirthschaftliche Congreß hat offen¬
bar seine poetische schöpferische Zeit damals gehabt, als er die Zunftschranke,
das Concessionswesen, die Schutzzölle, die Wuchergesetze, die Spielbanken und
Lotterien, die Niederlassungs- und Heirathsbeschränkungen und andere Ver¬
kümmerungen des deutschen Wirthschaftslebens bekämpfte und an dem Auf¬
bau des Genossenschaftswesens eifrig mitarbeitete. Das norddeutsche und
später deutsche Parlament hat das Programm des Congresses verwirklicht
und die in den Vorarbeiten, Berichten und Verhandlungen des Congresses
niedergelegten Grundsätze und Reformvorschläge zum Theil wörtlich in die
neue Reichsgesetzgebung mit aufgenommen. Der volkswirthschaftliche Con¬
greß ist nunmehr in eine etwas prosaischere Periode eingetreten und hat auch
unter dem vorwiegenden Interesse des Publicums für die große Politik ge¬
litten. Es haben sich auch seit 1866 im Schooße des Congresses selbst manche
früher schlummernde Gegensätze und Differenzen herausgestellt und es hat
ihm der Nachwuchs frischen Blutes und die größere Theilnahme der Gelehrten¬
welt in den letzten Jahren allerdings gefehlt und das Interesse an seinen
Verhandlungen etwas abgeschwächt. Aber Niemand konnte ahnen, daß man
in den Bestrebungen des volkswirtschaftlichen Congresses selbst, welcher von
Anfang an eine Arena für gelehrte und ungelehrte Männer aller wirth¬
schaftlichen und politischen Parteien eröffnet hatte, ein Hinderniß der Lösung
der socialen Frage erblicken könne und für diese durchaus volkswirthschaft¬
liche Angelegenheit einen Gegencongreß in Scene setzen müsse.

Wenn man nun aber gerade die sociale Frage zum Gegenstande beson¬
derer Berathungen machen und einen Separatcongreß dafür berufen wollte,
so würde es nahe gelegen haben, doch wenigstens vorher mit einigen Freun¬
den des volkswirtschaftlichen Congresses zusammenzutreten, anstatt wie es
geschehen ist, consequent jeden regelmäßigen Besucher und jedes der mehr als
20 Vorstandsmitglieder von den Veranstaltungen eines socialen Congresses
auszuschließen. In ähnlicher Weise hat man den Vater des deutschen Ge¬
nossenschaftswesens, Schulze-Delitzsch, ignorirt, von dem die ^Rheinische Zei-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128614"/>
          <p xml:id="ID_445" prev="#ID_444"> Punkt der Revolution oder des die Revolution provocirendenZConservativis-<lb/>
mus." &#x2014; Nach anderen Koryphäen sollte die neue Richtung &#x201E;die berechtigten<lb/>
Forderungen des Socialismus" mit denen der gesellschaftlichen Ordnung ver¬<lb/>
söhnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_446"> Solche Versprechungen und dunkle Andeutungen mußten den Appetit<lb/>
einer an die alte Hausmannskost der britischen volkswirtschaftlichen Schule<lb/>
gebohrten Menge aufs lebhafteste reizen. Hierzu kam, daß die meisten ge¬<lb/>
lehrten Natioyal-Oekonomen der neuen Richtung bisher nur sehr selten von<lb/>
ihren Kathedern ins Volk herabgetreten waren und die harte Arbeit der Ne-<lb/>
formagitation und Volksaufklärung den Männern des volkswirrhfchaftlichen<lb/>
Congresses überlassen hatten. Dieser volkswirthschaftliche Congreß hat offen¬<lb/>
bar seine poetische schöpferische Zeit damals gehabt, als er die Zunftschranke,<lb/>
das Concessionswesen, die Schutzzölle, die Wuchergesetze, die Spielbanken und<lb/>
Lotterien, die Niederlassungs- und Heirathsbeschränkungen und andere Ver¬<lb/>
kümmerungen des deutschen Wirthschaftslebens bekämpfte und an dem Auf¬<lb/>
bau des Genossenschaftswesens eifrig mitarbeitete. Das norddeutsche und<lb/>
später deutsche Parlament hat das Programm des Congresses verwirklicht<lb/>
und die in den Vorarbeiten, Berichten und Verhandlungen des Congresses<lb/>
niedergelegten Grundsätze und Reformvorschläge zum Theil wörtlich in die<lb/>
neue Reichsgesetzgebung mit aufgenommen. Der volkswirthschaftliche Con¬<lb/>
greß ist nunmehr in eine etwas prosaischere Periode eingetreten und hat auch<lb/>
unter dem vorwiegenden Interesse des Publicums für die große Politik ge¬<lb/>
litten. Es haben sich auch seit 1866 im Schooße des Congresses selbst manche<lb/>
früher schlummernde Gegensätze und Differenzen herausgestellt und es hat<lb/>
ihm der Nachwuchs frischen Blutes und die größere Theilnahme der Gelehrten¬<lb/>
welt in den letzten Jahren allerdings gefehlt und das Interesse an seinen<lb/>
Verhandlungen etwas abgeschwächt. Aber Niemand konnte ahnen, daß man<lb/>
in den Bestrebungen des volkswirtschaftlichen Congresses selbst, welcher von<lb/>
Anfang an eine Arena für gelehrte und ungelehrte Männer aller wirth¬<lb/>
schaftlichen und politischen Parteien eröffnet hatte, ein Hinderniß der Lösung<lb/>
der socialen Frage erblicken könne und für diese durchaus volkswirthschaft¬<lb/>
liche Angelegenheit einen Gegencongreß in Scene setzen müsse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_447" next="#ID_448"> Wenn man nun aber gerade die sociale Frage zum Gegenstande beson¬<lb/>
derer Berathungen machen und einen Separatcongreß dafür berufen wollte,<lb/>
so würde es nahe gelegen haben, doch wenigstens vorher mit einigen Freun¬<lb/>
den des volkswirtschaftlichen Congresses zusammenzutreten, anstatt wie es<lb/>
geschehen ist, consequent jeden regelmäßigen Besucher und jedes der mehr als<lb/>
20 Vorstandsmitglieder von den Veranstaltungen eines socialen Congresses<lb/>
auszuschließen. In ähnlicher Weise hat man den Vater des deutschen Ge¬<lb/>
nossenschaftswesens, Schulze-Delitzsch, ignorirt, von dem die ^Rheinische Zei-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0160] Punkt der Revolution oder des die Revolution provocirendenZConservativis- mus." — Nach anderen Koryphäen sollte die neue Richtung „die berechtigten Forderungen des Socialismus" mit denen der gesellschaftlichen Ordnung ver¬ söhnen. Solche Versprechungen und dunkle Andeutungen mußten den Appetit einer an die alte Hausmannskost der britischen volkswirtschaftlichen Schule gebohrten Menge aufs lebhafteste reizen. Hierzu kam, daß die meisten ge¬ lehrten Natioyal-Oekonomen der neuen Richtung bisher nur sehr selten von ihren Kathedern ins Volk herabgetreten waren und die harte Arbeit der Ne- formagitation und Volksaufklärung den Männern des volkswirrhfchaftlichen Congresses überlassen hatten. Dieser volkswirthschaftliche Congreß hat offen¬ bar seine poetische schöpferische Zeit damals gehabt, als er die Zunftschranke, das Concessionswesen, die Schutzzölle, die Wuchergesetze, die Spielbanken und Lotterien, die Niederlassungs- und Heirathsbeschränkungen und andere Ver¬ kümmerungen des deutschen Wirthschaftslebens bekämpfte und an dem Auf¬ bau des Genossenschaftswesens eifrig mitarbeitete. Das norddeutsche und später deutsche Parlament hat das Programm des Congresses verwirklicht und die in den Vorarbeiten, Berichten und Verhandlungen des Congresses niedergelegten Grundsätze und Reformvorschläge zum Theil wörtlich in die neue Reichsgesetzgebung mit aufgenommen. Der volkswirthschaftliche Con¬ greß ist nunmehr in eine etwas prosaischere Periode eingetreten und hat auch unter dem vorwiegenden Interesse des Publicums für die große Politik ge¬ litten. Es haben sich auch seit 1866 im Schooße des Congresses selbst manche früher schlummernde Gegensätze und Differenzen herausgestellt und es hat ihm der Nachwuchs frischen Blutes und die größere Theilnahme der Gelehrten¬ welt in den letzten Jahren allerdings gefehlt und das Interesse an seinen Verhandlungen etwas abgeschwächt. Aber Niemand konnte ahnen, daß man in den Bestrebungen des volkswirtschaftlichen Congresses selbst, welcher von Anfang an eine Arena für gelehrte und ungelehrte Männer aller wirth¬ schaftlichen und politischen Parteien eröffnet hatte, ein Hinderniß der Lösung der socialen Frage erblicken könne und für diese durchaus volkswirthschaft¬ liche Angelegenheit einen Gegencongreß in Scene setzen müsse. Wenn man nun aber gerade die sociale Frage zum Gegenstande beson¬ derer Berathungen machen und einen Separatcongreß dafür berufen wollte, so würde es nahe gelegen haben, doch wenigstens vorher mit einigen Freun¬ den des volkswirtschaftlichen Congresses zusammenzutreten, anstatt wie es geschehen ist, consequent jeden regelmäßigen Besucher und jedes der mehr als 20 Vorstandsmitglieder von den Veranstaltungen eines socialen Congresses auszuschließen. In ähnlicher Weise hat man den Vater des deutschen Ge¬ nossenschaftswesens, Schulze-Delitzsch, ignorirt, von dem die ^Rheinische Zei-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/160
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/160>, abgerufen am 22.07.2024.