Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Mann unter Waffen haben konnten, die Armeen in Afrika, Mexico und Rom unge¬
rechnet/) Derselbe Hecrcsstand besteht gegenwärtig, vermehrt noch durch die aus Atom
zurückgekehrten Truppen, und er muß bald noch wachsen durch die aus Mexico heim¬
kommenden Divisionen. Wir befinden uns also durchaus auf dem Nor¬
male tat."

Nach eingehender Besprechung der Cadre-Verhältnisse, der Approvisionnemcnts und
der Bewaffnung tritt Marschall Nandon mit der größten Entschiedenheit den Bestre¬
bungen einer ungeduldigen Neuerungssucht entgegen, die in einem so kritischen Augen¬
blick, wie d. I. 1867, das altbewährte Gesetz von 185S angriffen. Er vertheidigt die
KonF-rAizmonts avec primo (gegen welche sich bereits eine öffentliche Polemik zu richten
begann) und meint, es wäre ein schlechter Moment, die französischen Institutionen einer
ungünstigen Kritik zu unterziehen.

"Was! Eine Nation wie die französische, die in wenigen Wochen 600,000 Sol¬
daten unter ihre Fahnen vereinigen kann, die in ihren Arsenälen 8000 Feldgeschütze,
1,800,000 Flinten und Pulver für einen Krieg von zehn Jahren lagern hat, sollte
nicht stets bereit sein, mit den Waffen für bedrohte Ehre oder für verkanntes Recht ein¬
zutreten? Was! Eine Armee soll nicht bereit sein, ins Feld zu rücken, die in ihren
Reihen jene Veteranen von Afrika, Sebastopol und Solfcrino zählt, die befehligt wird
von so erfahrenen Generalen und einer so großen Menge junger Officiere, welche in
Afrika und Mexico ihre Schule gemacht!? Welches wäre denn diejenige Armee Euro-
Pas, die da ähnliche Elemente von Erfahrung und Energie enthielte!? -- Sollten
aber die Banden der Hierarchie und Disciplin uns erschlafft sein? O dann eilen wir,
sie herzustellen, das ist wichtiger als Zündnadelgewehre!"

Trotz dieses famosen Elaborates, welches offenbar mehr vom Styl des
Zeitungsschreibers als des Kriegsministers an sich hat, gewann der Kaiser
kein neues Zutrauen zu Marschall Randon, dessen Optimismus er keineswegs
theilte. Die erste Ankündigung, daß Frankreich eine Reorganisation
seiner Wehrkräfte für nothwendig halte, die Depesche Lavalette's vom 1K.
September 1866, war unmittelbar vom Kaiser inspirirt. Gleich darauf trat
unter seinem Vorsitze eine Commission von Generalen zusammen, um den
Entwurf eines neuen Wehrgesehes zu berathen und hielt am 6. November
zu Se. Cloud ihre erste Sitzung.

Was von den Ereignissen des Jahres 1866 den Franzosen am meisten
imponirt hatte, das war das Aufgebot der Massen, welche sich so wohl
geschult und wohlgerüstet um Preußens Fahnen 'gesammelt hatten. War
ihnen unsere Landwehr doch immer nur als eine mehr wie zweifelhafte Miliz
erschienen, und hatten sie doch keine Ahnung davon, was es heißt, wenn ein
Volk stark ist durch traditionelle militärische Staats-Erziehung. --
Man fühlte sich solchen Leistungen gegenüber schwach und beeilte sich, Ma߬
regeln zu treffen, das Versäumte nachzuholen und dem bisher gering geschätzten



") Dies sind offenbare Selbsttäuschungen; doch wäre auch jene Zahl noch ungenügend ge¬
wesen zum Kriege gegen Deutschland-Preußen.

Mann unter Waffen haben konnten, die Armeen in Afrika, Mexico und Rom unge¬
rechnet/) Derselbe Hecrcsstand besteht gegenwärtig, vermehrt noch durch die aus Atom
zurückgekehrten Truppen, und er muß bald noch wachsen durch die aus Mexico heim¬
kommenden Divisionen. Wir befinden uns also durchaus auf dem Nor¬
male tat."

Nach eingehender Besprechung der Cadre-Verhältnisse, der Approvisionnemcnts und
der Bewaffnung tritt Marschall Nandon mit der größten Entschiedenheit den Bestre¬
bungen einer ungeduldigen Neuerungssucht entgegen, die in einem so kritischen Augen¬
blick, wie d. I. 1867, das altbewährte Gesetz von 185S angriffen. Er vertheidigt die
KonF-rAizmonts avec primo (gegen welche sich bereits eine öffentliche Polemik zu richten
begann) und meint, es wäre ein schlechter Moment, die französischen Institutionen einer
ungünstigen Kritik zu unterziehen.

„Was! Eine Nation wie die französische, die in wenigen Wochen 600,000 Sol¬
daten unter ihre Fahnen vereinigen kann, die in ihren Arsenälen 8000 Feldgeschütze,
1,800,000 Flinten und Pulver für einen Krieg von zehn Jahren lagern hat, sollte
nicht stets bereit sein, mit den Waffen für bedrohte Ehre oder für verkanntes Recht ein¬
zutreten? Was! Eine Armee soll nicht bereit sein, ins Feld zu rücken, die in ihren
Reihen jene Veteranen von Afrika, Sebastopol und Solfcrino zählt, die befehligt wird
von so erfahrenen Generalen und einer so großen Menge junger Officiere, welche in
Afrika und Mexico ihre Schule gemacht!? Welches wäre denn diejenige Armee Euro-
Pas, die da ähnliche Elemente von Erfahrung und Energie enthielte!? — Sollten
aber die Banden der Hierarchie und Disciplin uns erschlafft sein? O dann eilen wir,
sie herzustellen, das ist wichtiger als Zündnadelgewehre!"

Trotz dieses famosen Elaborates, welches offenbar mehr vom Styl des
Zeitungsschreibers als des Kriegsministers an sich hat, gewann der Kaiser
kein neues Zutrauen zu Marschall Randon, dessen Optimismus er keineswegs
theilte. Die erste Ankündigung, daß Frankreich eine Reorganisation
seiner Wehrkräfte für nothwendig halte, die Depesche Lavalette's vom 1K.
September 1866, war unmittelbar vom Kaiser inspirirt. Gleich darauf trat
unter seinem Vorsitze eine Commission von Generalen zusammen, um den
Entwurf eines neuen Wehrgesehes zu berathen und hielt am 6. November
zu Se. Cloud ihre erste Sitzung.

Was von den Ereignissen des Jahres 1866 den Franzosen am meisten
imponirt hatte, das war das Aufgebot der Massen, welche sich so wohl
geschult und wohlgerüstet um Preußens Fahnen 'gesammelt hatten. War
ihnen unsere Landwehr doch immer nur als eine mehr wie zweifelhafte Miliz
erschienen, und hatten sie doch keine Ahnung davon, was es heißt, wenn ein
Volk stark ist durch traditionelle militärische Staats-Erziehung. —
Man fühlte sich solchen Leistungen gegenüber schwach und beeilte sich, Ma߬
regeln zu treffen, das Versäumte nachzuholen und dem bisher gering geschätzten



") Dies sind offenbare Selbsttäuschungen; doch wäre auch jene Zahl noch ungenügend ge¬
wesen zum Kriege gegen Deutschland-Preußen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128595"/>
            <p xml:id="ID_377" prev="#ID_376"> Mann unter Waffen haben konnten, die Armeen in Afrika, Mexico und Rom unge¬<lb/>
rechnet/) Derselbe Hecrcsstand besteht gegenwärtig, vermehrt noch durch die aus Atom<lb/>
zurückgekehrten Truppen, und er muß bald noch wachsen durch die aus Mexico heim¬<lb/>
kommenden Divisionen. Wir befinden uns also durchaus auf dem Nor¬<lb/>
male tat."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_378"> Nach eingehender Besprechung der Cadre-Verhältnisse, der Approvisionnemcnts und<lb/>
der Bewaffnung tritt Marschall Nandon mit der größten Entschiedenheit den Bestre¬<lb/>
bungen einer ungeduldigen Neuerungssucht entgegen, die in einem so kritischen Augen¬<lb/>
blick, wie d. I. 1867, das altbewährte Gesetz von 185S angriffen. Er vertheidigt die<lb/>
KonF-rAizmonts avec primo (gegen welche sich bereits eine öffentliche Polemik zu richten<lb/>
begann) und meint, es wäre ein schlechter Moment, die französischen Institutionen einer<lb/>
ungünstigen Kritik zu unterziehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_379"> &#x201E;Was! Eine Nation wie die französische, die in wenigen Wochen 600,000 Sol¬<lb/>
daten unter ihre Fahnen vereinigen kann, die in ihren Arsenälen 8000 Feldgeschütze,<lb/>
1,800,000 Flinten und Pulver für einen Krieg von zehn Jahren lagern hat, sollte<lb/>
nicht stets bereit sein, mit den Waffen für bedrohte Ehre oder für verkanntes Recht ein¬<lb/>
zutreten? Was! Eine Armee soll nicht bereit sein, ins Feld zu rücken, die in ihren<lb/>
Reihen jene Veteranen von Afrika, Sebastopol und Solfcrino zählt, die befehligt wird<lb/>
von so erfahrenen Generalen und einer so großen Menge junger Officiere, welche in<lb/>
Afrika und Mexico ihre Schule gemacht!? Welches wäre denn diejenige Armee Euro-<lb/>
Pas, die da ähnliche Elemente von Erfahrung und Energie enthielte!? &#x2014; Sollten<lb/>
aber die Banden der Hierarchie und Disciplin uns erschlafft sein? O dann eilen wir,<lb/>
sie herzustellen, das ist wichtiger als Zündnadelgewehre!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_380"> Trotz dieses famosen Elaborates, welches offenbar mehr vom Styl des<lb/>
Zeitungsschreibers als des Kriegsministers an sich hat, gewann der Kaiser<lb/>
kein neues Zutrauen zu Marschall Randon, dessen Optimismus er keineswegs<lb/>
theilte. Die erste Ankündigung, daß Frankreich eine Reorganisation<lb/>
seiner Wehrkräfte für nothwendig halte, die Depesche Lavalette's vom 1K.<lb/>
September 1866, war unmittelbar vom Kaiser inspirirt. Gleich darauf trat<lb/>
unter seinem Vorsitze eine Commission von Generalen zusammen, um den<lb/>
Entwurf eines neuen Wehrgesehes zu berathen und hielt am 6. November<lb/>
zu Se. Cloud ihre erste Sitzung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_381" next="#ID_382"> Was von den Ereignissen des Jahres 1866 den Franzosen am meisten<lb/>
imponirt hatte, das war das Aufgebot der Massen, welche sich so wohl<lb/>
geschult und wohlgerüstet um Preußens Fahnen 'gesammelt hatten. War<lb/>
ihnen unsere Landwehr doch immer nur als eine mehr wie zweifelhafte Miliz<lb/>
erschienen, und hatten sie doch keine Ahnung davon, was es heißt, wenn ein<lb/>
Volk stark ist durch traditionelle militärische Staats-Erziehung. &#x2014;<lb/>
Man fühlte sich solchen Leistungen gegenüber schwach und beeilte sich, Ma߬<lb/>
regeln zu treffen, das Versäumte nachzuholen und dem bisher gering geschätzten</p><lb/>
            <note xml:id="FID_66" place="foot"> ") Dies sind offenbare Selbsttäuschungen; doch wäre auch jene Zahl noch ungenügend ge¬<lb/>
wesen zum Kriege gegen Deutschland-Preußen.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] Mann unter Waffen haben konnten, die Armeen in Afrika, Mexico und Rom unge¬ rechnet/) Derselbe Hecrcsstand besteht gegenwärtig, vermehrt noch durch die aus Atom zurückgekehrten Truppen, und er muß bald noch wachsen durch die aus Mexico heim¬ kommenden Divisionen. Wir befinden uns also durchaus auf dem Nor¬ male tat." Nach eingehender Besprechung der Cadre-Verhältnisse, der Approvisionnemcnts und der Bewaffnung tritt Marschall Nandon mit der größten Entschiedenheit den Bestre¬ bungen einer ungeduldigen Neuerungssucht entgegen, die in einem so kritischen Augen¬ blick, wie d. I. 1867, das altbewährte Gesetz von 185S angriffen. Er vertheidigt die KonF-rAizmonts avec primo (gegen welche sich bereits eine öffentliche Polemik zu richten begann) und meint, es wäre ein schlechter Moment, die französischen Institutionen einer ungünstigen Kritik zu unterziehen. „Was! Eine Nation wie die französische, die in wenigen Wochen 600,000 Sol¬ daten unter ihre Fahnen vereinigen kann, die in ihren Arsenälen 8000 Feldgeschütze, 1,800,000 Flinten und Pulver für einen Krieg von zehn Jahren lagern hat, sollte nicht stets bereit sein, mit den Waffen für bedrohte Ehre oder für verkanntes Recht ein¬ zutreten? Was! Eine Armee soll nicht bereit sein, ins Feld zu rücken, die in ihren Reihen jene Veteranen von Afrika, Sebastopol und Solfcrino zählt, die befehligt wird von so erfahrenen Generalen und einer so großen Menge junger Officiere, welche in Afrika und Mexico ihre Schule gemacht!? Welches wäre denn diejenige Armee Euro- Pas, die da ähnliche Elemente von Erfahrung und Energie enthielte!? — Sollten aber die Banden der Hierarchie und Disciplin uns erschlafft sein? O dann eilen wir, sie herzustellen, das ist wichtiger als Zündnadelgewehre!" Trotz dieses famosen Elaborates, welches offenbar mehr vom Styl des Zeitungsschreibers als des Kriegsministers an sich hat, gewann der Kaiser kein neues Zutrauen zu Marschall Randon, dessen Optimismus er keineswegs theilte. Die erste Ankündigung, daß Frankreich eine Reorganisation seiner Wehrkräfte für nothwendig halte, die Depesche Lavalette's vom 1K. September 1866, war unmittelbar vom Kaiser inspirirt. Gleich darauf trat unter seinem Vorsitze eine Commission von Generalen zusammen, um den Entwurf eines neuen Wehrgesehes zu berathen und hielt am 6. November zu Se. Cloud ihre erste Sitzung. Was von den Ereignissen des Jahres 1866 den Franzosen am meisten imponirt hatte, das war das Aufgebot der Massen, welche sich so wohl geschult und wohlgerüstet um Preußens Fahnen 'gesammelt hatten. War ihnen unsere Landwehr doch immer nur als eine mehr wie zweifelhafte Miliz erschienen, und hatten sie doch keine Ahnung davon, was es heißt, wenn ein Volk stark ist durch traditionelle militärische Staats-Erziehung. — Man fühlte sich solchen Leistungen gegenüber schwach und beeilte sich, Ma߬ regeln zu treffen, das Versäumte nachzuholen und dem bisher gering geschätzten ") Dies sind offenbare Selbsttäuschungen; doch wäre auch jene Zahl noch ungenügend ge¬ wesen zum Kriege gegen Deutschland-Preußen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/141>, abgerufen am 02.07.2024.