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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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der Kaiser geschrieben: "laut gouvernkment, qui ne revznäiquei'g. Ja liZruz
an Kulm, ers-mirs. IaFrancs". Seltsamerweise glaubte er jetzt den Augenblick
gekommen zu dieser Revendication; aber die frechen Ansprüche Napoleon's III,
aus "Entschädigungen" in Deutschland wurden von König Wilhelm mit
schweigender Verachtung bei Seite geschoben. Wenn Frankreich ihnen Nach¬
druck geben wollte, so mußte es zum Schwerte greifen. Wohl dachte man
daran; wohl fühlte man, die entscheidende Stunde habe geschlagen. Aber da
wiederholte sich das Schauspiel von 1840: die Armee zeigte sich kläglich ver¬
wahrlost; sie war ganz offenbar unfähig, den Kampf mit Preußen aufzu¬
nehmen. Napoleon mußte die Forderungen seines Gesandten desavouiren
und auf jede "Entschädigung" verzichten. Nun wandte sich die volle Ent¬
rüstung der beleidigten Franzosen gegen den Kriegsminister und fiel über
diesen mit den Keulenschlägen patriotischen Zornes und den giftigen Pfeilen
des Spottes her, weil die Armee nicht bereit gewesen sei, den "berechtigten
Vorrang Frankreichs in Europa" zu verfechten. Der Minister, Marschall
Randon, richtete, um diesen Vorwürfen entgegenzutreten, zu Schluß des
Jahres 1866 ein interessantes Memoire an den Kaiser, das besser als irgend
eine andere Schilderung darlegt, in welcher Weise die militärische Situation
Frankreichs von einem großen Theile der höchststehenden französischen Gene¬
rale angesehn und überschätzt wurde, und das wir daher im Auszuge mit¬
theilen müssen. *) Randon sagt:

"Unsere Diplomatie entschuldigt sich gern damit, sie habe nicht mehr leisten können,
weil das Heer nicht bereit gewesen sei. Sie behauptet, man habe bei Billafranca
Frieden schließen müssen, man habe an dem Kampfe zwischen Oesterreich und Preußen
sich nicht betheiligen können, weil die Armee nicht bereit gewesen. Wenn jetzt Preußen,
treu seinen Instincten gewaltsamen Ehrgeizes, drohend gegen uns aufträte, so sollen wir
nicht bereit sein, es daran zu erinnern, daß wir uns seit Jena nicht wieder allein mit
ihm gemessen haben. -- Wir sind nicht bereit!? Wenn das heißen soll, daß wir
nicht im Stande seien, sofort und auf der Stelle 400,000 Mann mit aller denkbaren
Ausrüstung für einen großen Krieg an die Grenze zu werfen, dann ist es allerdings
wahr. Auf so ungeheuere Ereignisse aber von heut bis niorgen vorbereitet zu sein,
ist überhaupt unmöglich, oder es bedürfte eines Friedensfußes, für den das Bud¬
get keines Landes ausreicht. Alle Männer, welche bisher den Geschicken der Armee
Frankreichs vorgestanden, haben sich auf eine angemessenere Situation beschränkt, die
indeß die Möglichkeit einer prompter Mobilisation der Strcitkrcifte einschloß. -- In
diesem Sinne waren wir 1869 bereit; denn die Cadres enthielten 600,000 Mann,
von denen nur 200,000 die Alpen passnt hatten,*^) Es war also möglich, eine neue
Armee zu errichten . . . Wir waren auch 1866 bereit; denn ein Rapport des Kriegs¬
ministers legte dar, daß wir bei Einberufung der Reserve in einem Monate 450,000




") Nach le Lowts als I", OkÄpellv a. a. O.
") Wir haben gezeigt, wie wenig richtig diese Behauptung ist.

der Kaiser geschrieben: „laut gouvernkment, qui ne revznäiquei'g. Ja liZruz
an Kulm, ers-mirs. IaFrancs". Seltsamerweise glaubte er jetzt den Augenblick
gekommen zu dieser Revendication; aber die frechen Ansprüche Napoleon's III,
aus „Entschädigungen" in Deutschland wurden von König Wilhelm mit
schweigender Verachtung bei Seite geschoben. Wenn Frankreich ihnen Nach¬
druck geben wollte, so mußte es zum Schwerte greifen. Wohl dachte man
daran; wohl fühlte man, die entscheidende Stunde habe geschlagen. Aber da
wiederholte sich das Schauspiel von 1840: die Armee zeigte sich kläglich ver¬
wahrlost; sie war ganz offenbar unfähig, den Kampf mit Preußen aufzu¬
nehmen. Napoleon mußte die Forderungen seines Gesandten desavouiren
und auf jede „Entschädigung" verzichten. Nun wandte sich die volle Ent¬
rüstung der beleidigten Franzosen gegen den Kriegsminister und fiel über
diesen mit den Keulenschlägen patriotischen Zornes und den giftigen Pfeilen
des Spottes her, weil die Armee nicht bereit gewesen sei, den „berechtigten
Vorrang Frankreichs in Europa" zu verfechten. Der Minister, Marschall
Randon, richtete, um diesen Vorwürfen entgegenzutreten, zu Schluß des
Jahres 1866 ein interessantes Memoire an den Kaiser, das besser als irgend
eine andere Schilderung darlegt, in welcher Weise die militärische Situation
Frankreichs von einem großen Theile der höchststehenden französischen Gene¬
rale angesehn und überschätzt wurde, und das wir daher im Auszuge mit¬
theilen müssen. *) Randon sagt:

„Unsere Diplomatie entschuldigt sich gern damit, sie habe nicht mehr leisten können,
weil das Heer nicht bereit gewesen sei. Sie behauptet, man habe bei Billafranca
Frieden schließen müssen, man habe an dem Kampfe zwischen Oesterreich und Preußen
sich nicht betheiligen können, weil die Armee nicht bereit gewesen. Wenn jetzt Preußen,
treu seinen Instincten gewaltsamen Ehrgeizes, drohend gegen uns aufträte, so sollen wir
nicht bereit sein, es daran zu erinnern, daß wir uns seit Jena nicht wieder allein mit
ihm gemessen haben. — Wir sind nicht bereit!? Wenn das heißen soll, daß wir
nicht im Stande seien, sofort und auf der Stelle 400,000 Mann mit aller denkbaren
Ausrüstung für einen großen Krieg an die Grenze zu werfen, dann ist es allerdings
wahr. Auf so ungeheuere Ereignisse aber von heut bis niorgen vorbereitet zu sein,
ist überhaupt unmöglich, oder es bedürfte eines Friedensfußes, für den das Bud¬
get keines Landes ausreicht. Alle Männer, welche bisher den Geschicken der Armee
Frankreichs vorgestanden, haben sich auf eine angemessenere Situation beschränkt, die
indeß die Möglichkeit einer prompter Mobilisation der Strcitkrcifte einschloß. — In
diesem Sinne waren wir 1869 bereit; denn die Cadres enthielten 600,000 Mann,
von denen nur 200,000 die Alpen passnt hatten,*^) Es war also möglich, eine neue
Armee zu errichten . . . Wir waren auch 1866 bereit; denn ein Rapport des Kriegs¬
ministers legte dar, daß wir bei Einberufung der Reserve in einem Monate 450,000




") Nach le Lowts als I», OkÄpellv a. a. O.
") Wir haben gezeigt, wie wenig richtig diese Behauptung ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/140>, abgerufen am 30.06.2024.