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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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blühenden Parlamentarismus. Allerdings sind wir der Meinung, ein Cha-
racter, aus etwas härterem und festerem Stoffe gebildet, würde nicht die
Losung aller Schwachen und Halben adoptirt haben, daß es besser sei, auch
den politischen Gegnern zu dienen, um sie nur nicht zu völlig unbeschränkter
Herrschaft kommen zu lassen. Und wenn Bunsen nun noch dazu annahm,
seine Freundschaft für den königlichen Freund zwinge ihn auszuhalten, so
war das eine ganz unpolitische Weichheit, ein neues Symptom jener ge¬
schilderten Eigenschaft, das Sachliche und das Persönliche stets zu vermischen.
Wie naiv klingt z. B. die Aeußerung: "Ich diene nicht dem Minister, son¬
dern dem Könige und dem Vaterlande. Wenn sie wollen, daß ich weggehe,
sollen sie mich wegjagen, sonst bleibe ich hier und vertheidige König und
Vaterland, solange ich kann." Was soll eigentlich der Minister, der die
auswärtige Politik eines Staates leitet, mit einem Gesandten anfangen, der
sich in vollem Gegensatz zur ministeriellen Politik fühlt und auf seine per¬
sönliche Stellung zum Könige pocht? Schief und unwahr sind derartige Ver¬
hältnisse, in denen ein wirklicher Staatsmann nicht leicht es lange aushält.
Ganz unbedingt hätte Bunsen abtreten müssen, als ihm zugemuthet wurde,
das berüchtigte Londoner Protokoll zu unterzeichnen. Es ist bekannt, mit
welchem Eifer, mit wie hoher patriotischer Begeisterung Bunsen die deutsche
Sache in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit vertreten hat. Es ist
eigentlich dies der unbestreitbarste Rechtstitel, den sein Andenken auf die
dankbare Erinnerung der Deutschen geltend zu machen hat. Wo er konnte,
erhob er seine Stimme für das deutsche Recht in dieser Sache. Und auch
mit practisch brauchbaren Rathschlägen hat er eingegriffen in die Lösung
dieses Knotens. Als zuletzt der Rückschlag der allgemeinen Bewegung seit
1850 auch hier die deutsche Position wieder wegzuschwemmen begann, wider¬
setzte sich anfangs Bunsen der Strömung mit Erfolg. Im Sommer 18S0
trat er der englischen Anmaßung mit Würde und Selbstgefühl entgegen.
Seine Denkschriften aus jener Zeit liest heute noch der deutsche Patriot mit
herzlicher Genugthuung. Aber als nachher nun die preußische Politik sich
dem Machtwort der deutschfeindlichen Mächte, Rußland, Frankreich und
England fügte, da gab auch Bunsen Schritt für Schritt nach. Mit leb¬
haftem Gefühle von der UnWürdigkeit jener preußischen Haltung, ja bluten¬
den Herzens über seine ihm dictirten Handlungen, fügte er sich in das, was
ihm auferlegt war; nachdem er sich lange gesträubt, unterzeichnete er selbst
das Protokoll, das verdammende Todesurtheil über seine ganze für Schles¬
wig-Holstein ausgebotene Thätigkeit; er zeichnete, "um dem Könige sein Opfer
nicht noch schwerer zu machen." Die Biographie Bunsen's meint, es würde
seinem Eharacter mehr entsprochen haben, wenn er bei diesem Anlaß seine
Stelle niedergelegt; dies sei auch in seiner eigenen Familie -- und man


Gttnzboten lo. 1872. 17

blühenden Parlamentarismus. Allerdings sind wir der Meinung, ein Cha-
racter, aus etwas härterem und festerem Stoffe gebildet, würde nicht die
Losung aller Schwachen und Halben adoptirt haben, daß es besser sei, auch
den politischen Gegnern zu dienen, um sie nur nicht zu völlig unbeschränkter
Herrschaft kommen zu lassen. Und wenn Bunsen nun noch dazu annahm,
seine Freundschaft für den königlichen Freund zwinge ihn auszuhalten, so
war das eine ganz unpolitische Weichheit, ein neues Symptom jener ge¬
schilderten Eigenschaft, das Sachliche und das Persönliche stets zu vermischen.
Wie naiv klingt z. B. die Aeußerung: „Ich diene nicht dem Minister, son¬
dern dem Könige und dem Vaterlande. Wenn sie wollen, daß ich weggehe,
sollen sie mich wegjagen, sonst bleibe ich hier und vertheidige König und
Vaterland, solange ich kann." Was soll eigentlich der Minister, der die
auswärtige Politik eines Staates leitet, mit einem Gesandten anfangen, der
sich in vollem Gegensatz zur ministeriellen Politik fühlt und auf seine per¬
sönliche Stellung zum Könige pocht? Schief und unwahr sind derartige Ver¬
hältnisse, in denen ein wirklicher Staatsmann nicht leicht es lange aushält.
Ganz unbedingt hätte Bunsen abtreten müssen, als ihm zugemuthet wurde,
das berüchtigte Londoner Protokoll zu unterzeichnen. Es ist bekannt, mit
welchem Eifer, mit wie hoher patriotischer Begeisterung Bunsen die deutsche
Sache in der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit vertreten hat. Es ist
eigentlich dies der unbestreitbarste Rechtstitel, den sein Andenken auf die
dankbare Erinnerung der Deutschen geltend zu machen hat. Wo er konnte,
erhob er seine Stimme für das deutsche Recht in dieser Sache. Und auch
mit practisch brauchbaren Rathschlägen hat er eingegriffen in die Lösung
dieses Knotens. Als zuletzt der Rückschlag der allgemeinen Bewegung seit
1850 auch hier die deutsche Position wieder wegzuschwemmen begann, wider¬
setzte sich anfangs Bunsen der Strömung mit Erfolg. Im Sommer 18S0
trat er der englischen Anmaßung mit Würde und Selbstgefühl entgegen.
Seine Denkschriften aus jener Zeit liest heute noch der deutsche Patriot mit
herzlicher Genugthuung. Aber als nachher nun die preußische Politik sich
dem Machtwort der deutschfeindlichen Mächte, Rußland, Frankreich und
England fügte, da gab auch Bunsen Schritt für Schritt nach. Mit leb¬
haftem Gefühle von der UnWürdigkeit jener preußischen Haltung, ja bluten¬
den Herzens über seine ihm dictirten Handlungen, fügte er sich in das, was
ihm auferlegt war; nachdem er sich lange gesträubt, unterzeichnete er selbst
das Protokoll, das verdammende Todesurtheil über seine ganze für Schles¬
wig-Holstein ausgebotene Thätigkeit; er zeichnete, „um dem Könige sein Opfer
nicht noch schwerer zu machen." Die Biographie Bunsen's meint, es würde
seinem Eharacter mehr entsprochen haben, wenn er bei diesem Anlaß seine
Stelle niedergelegt; dies sei auch in seiner eigenen Familie — und man


Gttnzboten lo. 1872. 17
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/137>, abgerufen am 02.07.2024.