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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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könne vermuthen auch von ihm selbst -- nicht verkannt worden. "Doch kann
dies nur als Vermuthung hingestellt werden, eine Frage über diesen Gegen¬
stand hätte ja geradezu als ein Vorwurf gegen ihn erscheinen können." Wir
sehen, wie selbst die intimsten Freunde über sein Verhalten doch nachher
Zweifel gesuhlt haben. Unser Urtheil wird dadurch bestätigt.

Leider können wir über Bunsen's politisches Auftreten beim Ausbruch
des orientalischen Krieges nicht günstiger urtheilen. Wir reden hier nicht
von den Ursprüngen oder dem Anlaß desselben; wir erzählen nicht den diplo¬
matischen Feldzug. Wir berichten nur mit einem Worte die Lage. Als der
Conflict zwischen Frankreich und Rußland drohende Gestalt annahm, gab es
in Preußen zwei Strömungen: die Einen waren für engsten Anschluß an
Frankreich und England, um Rußlands Uebermacht zu brechen. Andere
meinten auf russischer Seite stehen zu sollen. Der Gegensatz der Liberalen
und Absolutisten sprach sich auch hierin aus. Die Parlamentarier standen
auf westmächtlicher, die Reactionäre auf russischer Seite. Wir sind der Mei¬
nung, daß damals für jede Ansicht erwägenswerthe Gründe angeführt werden
konnten -- wir sind dieser Meinung, obwohl wir offen es aussprechen, daß
die Politik Manteuffel's, eine für Rußland wohlwollende Neutralität, sich
durch den Ausgang als die beste gerechtfertigt hat. Nichtsdestoweniger finden
wir es begreiflich, daß man auch in gut unterrichteten Kreisen damals die
Parteinahme für die Westmächte empfohlen hat. Bunsen stand seiner ganzen
Vergangenheit, seiner damaligen Stellung, seiner principiellen Ueberzeugung
nach an der Spitze der westmächtlichen Partei. Er empfahl dringend und
unermüdlich diese Politik: für sie war er thätig. Welche Illusion, wenn er
glaubte, daß die russische Partei in Berlin, deren maßgebenden Einfluß er
unzähligemale beklagt hatte, jetzt eine antirussische Politik zulassen würde!
Allerdings die Mission Pourtales' (December 1853) war ein Fühler, wie weit
England einem solchen Anschlusse entgegen kommen würde, eine angedeutete
Möglichkeit, daß man in Berlin doch Bunsens Politik vielleicht in Betracht
ziehen wollte. Schon in London verlief der Versuch ohne Erfolg. Und in
Berlin hielt man im Ernste gar nicht daran fest. Im Februar und März,
als der Krieg sicher in Aussicht stand, forderte Bunsen seinen König zu
offener Offensive gegen Rußland auf: da sich die Berliner Politik für die
andere Seite entschied, war die Entlassung Bunsen's die Folge. Das war
die ganz natürliche Folge des politischen Gegensatzes zum Ministerium Man-
teuffel, ein Ereigniß, das längst hätte eintreten sollen. Allen den bitteren
Aeußerungen Bunsen's selbst über seine Gegner, aber auch der ganzen Dar¬
stellung der Biographie gegenüber müssen wir doch nackt und bestimmt den
Satz wiederholen: es ist sehr naiv, zu verlangen, daß das Ministerium einen
politischen Gegner in solchem Amte belassen soll: der Gesandte ist doch nichts


könne vermuthen auch von ihm selbst — nicht verkannt worden. „Doch kann
dies nur als Vermuthung hingestellt werden, eine Frage über diesen Gegen¬
stand hätte ja geradezu als ein Vorwurf gegen ihn erscheinen können." Wir
sehen, wie selbst die intimsten Freunde über sein Verhalten doch nachher
Zweifel gesuhlt haben. Unser Urtheil wird dadurch bestätigt.

Leider können wir über Bunsen's politisches Auftreten beim Ausbruch
des orientalischen Krieges nicht günstiger urtheilen. Wir reden hier nicht
von den Ursprüngen oder dem Anlaß desselben; wir erzählen nicht den diplo¬
matischen Feldzug. Wir berichten nur mit einem Worte die Lage. Als der
Conflict zwischen Frankreich und Rußland drohende Gestalt annahm, gab es
in Preußen zwei Strömungen: die Einen waren für engsten Anschluß an
Frankreich und England, um Rußlands Uebermacht zu brechen. Andere
meinten auf russischer Seite stehen zu sollen. Der Gegensatz der Liberalen
und Absolutisten sprach sich auch hierin aus. Die Parlamentarier standen
auf westmächtlicher, die Reactionäre auf russischer Seite. Wir sind der Mei¬
nung, daß damals für jede Ansicht erwägenswerthe Gründe angeführt werden
konnten — wir sind dieser Meinung, obwohl wir offen es aussprechen, daß
die Politik Manteuffel's, eine für Rußland wohlwollende Neutralität, sich
durch den Ausgang als die beste gerechtfertigt hat. Nichtsdestoweniger finden
wir es begreiflich, daß man auch in gut unterrichteten Kreisen damals die
Parteinahme für die Westmächte empfohlen hat. Bunsen stand seiner ganzen
Vergangenheit, seiner damaligen Stellung, seiner principiellen Ueberzeugung
nach an der Spitze der westmächtlichen Partei. Er empfahl dringend und
unermüdlich diese Politik: für sie war er thätig. Welche Illusion, wenn er
glaubte, daß die russische Partei in Berlin, deren maßgebenden Einfluß er
unzähligemale beklagt hatte, jetzt eine antirussische Politik zulassen würde!
Allerdings die Mission Pourtales' (December 1853) war ein Fühler, wie weit
England einem solchen Anschlusse entgegen kommen würde, eine angedeutete
Möglichkeit, daß man in Berlin doch Bunsens Politik vielleicht in Betracht
ziehen wollte. Schon in London verlief der Versuch ohne Erfolg. Und in
Berlin hielt man im Ernste gar nicht daran fest. Im Februar und März,
als der Krieg sicher in Aussicht stand, forderte Bunsen seinen König zu
offener Offensive gegen Rußland auf: da sich die Berliner Politik für die
andere Seite entschied, war die Entlassung Bunsen's die Folge. Das war
die ganz natürliche Folge des politischen Gegensatzes zum Ministerium Man-
teuffel, ein Ereigniß, das längst hätte eintreten sollen. Allen den bitteren
Aeußerungen Bunsen's selbst über seine Gegner, aber auch der ganzen Dar¬
stellung der Biographie gegenüber müssen wir doch nackt und bestimmt den
Satz wiederholen: es ist sehr naiv, zu verlangen, daß das Ministerium einen
politischen Gegner in solchem Amte belassen soll: der Gesandte ist doch nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/138>, abgerufen am 30.06.2024.