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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Nadowitz, von seinem Könige nur lau unterstützt und von listigen Gegnern
in Berlin umringt, nicht aufkommen konnte. Der Versuch, die Resultate
von 1848 auf anderem Wege als dem Frankfurter zu erzielen, war mi߬
glückt. Und in Preußen brach die traurige Zeit der Reaction an, eine Zeit,
die wahrlich zu den allertraurigsten und niedrigsten Perioden preußischer Ge¬
schichte gerechnet werden muß.

Wie gesagt, Bunsen hatte Nadowitz sein Vertrauen geschenkt. Allzu¬
groß waren aber nicht seine Hoffnungen aus Erfolge der damaligen Politik
gewesen. Er hatte doch manches gelernt in letzter Zeit. "Seit 1848 bin ich
mündig geworden, sagt er einmal. Die letzten Schuppen sind mir von den
Augen gefallen und die letzten Thränen werden auch bald in ihnen ver¬
trocknen." Für manche einzelne Phase der preußischen Politik 1849 und 1860
gewinnen wir aus seinen Briefen Aufschlüsse. Im Herbste 1850 leuchtete
ihm noch einmal eine Hoffnung auf, es werde sich Preußen doch noch er¬
mannen und den feindlichen Mächten der Reaction sich nicht unbedingt aus¬
liefern: im November hat der Tag von Olmütz Alles vernichtet.

Ueberblicke man die nächsten, letzten Jahre der amtlichen Wirksamkeit
Bunsen's, so muß man urtheilen: nach Allem, was vorgefallen, hätte Bunsen
Ende 1850 seinen Abschied nehmen müssen. Gerade wie er über Dinge und
Personen urtheilte, mußte er abgehen, lieber als in der Gefahr leben, weg¬
geschickt zu werden. Es war doch Bunsen durch die letzten Ereignisse noch
mehr als vorher zu einem feurigen Bekenner liberaler Grundsätze, constitu-
tioneller Theorien geworden. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet,
daß er sich in den Fragen der inneren preußischen Politik als principieller
entschiedener Gegner des damaligen Regierungssystems (seit 1850) gefühlt
hat. Für ihn aber durchkreuzten und berührten sich unablässig die Fäden
der inneren und der äußeren Angelegenheiten. Man wird nicht umhin können,
zuzugeben, daß wirklich 1848 bis 1858 diese Wahrnehmung Bunsen's in den
Thatsachen begründet war. Wir meinen nun, dieser Gegensatz hätte dazu
beitragen sollen, Bunsen zum Rücktritt zu bewegen. Einfluß auf den König
besaß er kaum noch, weder in innerer noch äußerer Politik, er selbst hatte
doch seit März 1849 nicht mehr das alte Vertrauen in seinen königlichen
Freund gesetzt. Weshalb also hielt er aus? Die Motive sind aus seinen
Aeußerungen zusammenzulesen und aus seinein Character auch nicht unschwer
zu begrejfen. Er meinte vor Allem, er müsse aushalten auf seinem Posten,
dort könne er doch der Sturmfluth der Reaction noch einigen Widerstand
bringen, er könnte vor völliger Unterordung unter Nußland Preußen schützen
und gute Beziehungen zum parlamentarischen England noch Pflegen. Gegen
Rußland und die russische Partei des Absolutismus in Berlin war er sehr
erzürnt, andererseits war er ein Parteigänger Englands und des in England


Nadowitz, von seinem Könige nur lau unterstützt und von listigen Gegnern
in Berlin umringt, nicht aufkommen konnte. Der Versuch, die Resultate
von 1848 auf anderem Wege als dem Frankfurter zu erzielen, war mi߬
glückt. Und in Preußen brach die traurige Zeit der Reaction an, eine Zeit,
die wahrlich zu den allertraurigsten und niedrigsten Perioden preußischer Ge¬
schichte gerechnet werden muß.

Wie gesagt, Bunsen hatte Nadowitz sein Vertrauen geschenkt. Allzu¬
groß waren aber nicht seine Hoffnungen aus Erfolge der damaligen Politik
gewesen. Er hatte doch manches gelernt in letzter Zeit. „Seit 1848 bin ich
mündig geworden, sagt er einmal. Die letzten Schuppen sind mir von den
Augen gefallen und die letzten Thränen werden auch bald in ihnen ver¬
trocknen." Für manche einzelne Phase der preußischen Politik 1849 und 1860
gewinnen wir aus seinen Briefen Aufschlüsse. Im Herbste 1850 leuchtete
ihm noch einmal eine Hoffnung auf, es werde sich Preußen doch noch er¬
mannen und den feindlichen Mächten der Reaction sich nicht unbedingt aus¬
liefern: im November hat der Tag von Olmütz Alles vernichtet.

Ueberblicke man die nächsten, letzten Jahre der amtlichen Wirksamkeit
Bunsen's, so muß man urtheilen: nach Allem, was vorgefallen, hätte Bunsen
Ende 1850 seinen Abschied nehmen müssen. Gerade wie er über Dinge und
Personen urtheilte, mußte er abgehen, lieber als in der Gefahr leben, weg¬
geschickt zu werden. Es war doch Bunsen durch die letzten Ereignisse noch
mehr als vorher zu einem feurigen Bekenner liberaler Grundsätze, constitu-
tioneller Theorien geworden. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet,
daß er sich in den Fragen der inneren preußischen Politik als principieller
entschiedener Gegner des damaligen Regierungssystems (seit 1850) gefühlt
hat. Für ihn aber durchkreuzten und berührten sich unablässig die Fäden
der inneren und der äußeren Angelegenheiten. Man wird nicht umhin können,
zuzugeben, daß wirklich 1848 bis 1858 diese Wahrnehmung Bunsen's in den
Thatsachen begründet war. Wir meinen nun, dieser Gegensatz hätte dazu
beitragen sollen, Bunsen zum Rücktritt zu bewegen. Einfluß auf den König
besaß er kaum noch, weder in innerer noch äußerer Politik, er selbst hatte
doch seit März 1849 nicht mehr das alte Vertrauen in seinen königlichen
Freund gesetzt. Weshalb also hielt er aus? Die Motive sind aus seinen
Aeußerungen zusammenzulesen und aus seinein Character auch nicht unschwer
zu begrejfen. Er meinte vor Allem, er müsse aushalten auf seinem Posten,
dort könne er doch der Sturmfluth der Reaction noch einigen Widerstand
bringen, er könnte vor völliger Unterordung unter Nußland Preußen schützen
und gute Beziehungen zum parlamentarischen England noch Pflegen. Gegen
Rußland und die russische Partei des Absolutismus in Berlin war er sehr
erzürnt, andererseits war er ein Parteigänger Englands und des in England


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[0136] Nadowitz, von seinem Könige nur lau unterstützt und von listigen Gegnern in Berlin umringt, nicht aufkommen konnte. Der Versuch, die Resultate von 1848 auf anderem Wege als dem Frankfurter zu erzielen, war mi߬ glückt. Und in Preußen brach die traurige Zeit der Reaction an, eine Zeit, die wahrlich zu den allertraurigsten und niedrigsten Perioden preußischer Ge¬ schichte gerechnet werden muß. Wie gesagt, Bunsen hatte Nadowitz sein Vertrauen geschenkt. Allzu¬ groß waren aber nicht seine Hoffnungen aus Erfolge der damaligen Politik gewesen. Er hatte doch manches gelernt in letzter Zeit. „Seit 1848 bin ich mündig geworden, sagt er einmal. Die letzten Schuppen sind mir von den Augen gefallen und die letzten Thränen werden auch bald in ihnen ver¬ trocknen." Für manche einzelne Phase der preußischen Politik 1849 und 1860 gewinnen wir aus seinen Briefen Aufschlüsse. Im Herbste 1850 leuchtete ihm noch einmal eine Hoffnung auf, es werde sich Preußen doch noch er¬ mannen und den feindlichen Mächten der Reaction sich nicht unbedingt aus¬ liefern: im November hat der Tag von Olmütz Alles vernichtet. Ueberblicke man die nächsten, letzten Jahre der amtlichen Wirksamkeit Bunsen's, so muß man urtheilen: nach Allem, was vorgefallen, hätte Bunsen Ende 1850 seinen Abschied nehmen müssen. Gerade wie er über Dinge und Personen urtheilte, mußte er abgehen, lieber als in der Gefahr leben, weg¬ geschickt zu werden. Es war doch Bunsen durch die letzten Ereignisse noch mehr als vorher zu einem feurigen Bekenner liberaler Grundsätze, constitu- tioneller Theorien geworden. Man sagt nicht zu viel, wenn man behauptet, daß er sich in den Fragen der inneren preußischen Politik als principieller entschiedener Gegner des damaligen Regierungssystems (seit 1850) gefühlt hat. Für ihn aber durchkreuzten und berührten sich unablässig die Fäden der inneren und der äußeren Angelegenheiten. Man wird nicht umhin können, zuzugeben, daß wirklich 1848 bis 1858 diese Wahrnehmung Bunsen's in den Thatsachen begründet war. Wir meinen nun, dieser Gegensatz hätte dazu beitragen sollen, Bunsen zum Rücktritt zu bewegen. Einfluß auf den König besaß er kaum noch, weder in innerer noch äußerer Politik, er selbst hatte doch seit März 1849 nicht mehr das alte Vertrauen in seinen königlichen Freund gesetzt. Weshalb also hielt er aus? Die Motive sind aus seinen Aeußerungen zusammenzulesen und aus seinein Character auch nicht unschwer zu begrejfen. Er meinte vor Allem, er müsse aushalten auf seinem Posten, dort könne er doch der Sturmfluth der Reaction noch einigen Widerstand bringen, er könnte vor völliger Unterordung unter Nußland Preußen schützen und gute Beziehungen zum parlamentarischen England noch Pflegen. Gegen Rußland und die russische Partei des Absolutismus in Berlin war er sehr erzürnt, andererseits war er ein Parteigänger Englands und des in England

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/136>, abgerufen am 04.07.2024.