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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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er in seinem kurzen Galopp auf Hindernisse, so ist er um so leichter aus
der Fassung gebracht: verstimmt und gedrückt sieht er nun Alles schwarz an,
was so rosig ihm vorher gelacht hatte: er fällt von einem ins andere Ex¬
trem. Nüchterne, sachliche, objective und staatsmännische Erwägung kommt
selten bei ihm vor! Vor Jahren hat einmal einer unserer Historiker, der
Bunsen persönlich nahe gestanden -- R. Pauli -- über ihn geurtheilt:
"Auch uns erscheint in seinem staatlichen Streben dieselbe Eigenthümlichkeit
tadelnswert!) wie in seiner Wissenschaft, daß er nämlich das letzte Ziel stets
zuerst mit unvergleichlicher Wärme, mit einer Borstellung ergriff, die in ihm
selber bereits Wirklichkeit geworden, und daß er dann schließlich bei einem so
realen Objecte wie die Politik nicht die Mittel, nicht die Characterkraft be¬
saß, dem Punkte, den sein divinatorischer Geist in der Ferne richtig erschaut.
Schritt für Schritt durch Beseitigung der entgegenstehenden Hindernisse nahe
zu kommen." Wir meinen dies Urtheil ist durch die Biographie überall be¬
stätigt worden. Und so will es uns scheinen, als ob der romantische und
unklare König in Bunsen nicht denjenigen Berather finden konnte, dessen
er gerade so sehr bedurft hätte. Es ist schwer zu sagen, ob die Enttäuschung
Bunsen's über Friedrich Wilhelm nicht oft gerade darin ihre Ursache gehabt,
daß Bunsen sich über des Königs Zustimmung zu lebhafte Illusionen ge¬
macht und in den freundschaftlichen königlichen Redensarten mehr gehört hat,
als jener zu sagen gewillt war. Wahre und herzliche Freundschaft des Königs
für die Person Bunsen's bedeutete doch nicht immer Zustimmung zu Bunsen's
politischem Vortrage: ob wohl Bunsen die mitunter nicht deutlich gezogene
Grenzlinie zwischen beiden sich immer genügend vergegenwärtigt hat? Das
eben scheint uns sehr fraglich; und gerade seine eigene Erzählung der in¬
timen Conferenzen regt den Zweifel an.

Daß Friedrich Wilhelm die ihm gebotene Kaiserkrone, wie sie nun ein¬
mal zugerichtet war, als eine "Schandkrone" verachten, daß er sie nicht an¬
nehmen würde, das mußte Bunsen seit Februar 1849 klar sein. Und die Ver¬
suche der preußischen Negierung auf anderem Wege eine Art von Einigung
Deutschlands zu erzielen hat Bunsen sofort als einen Act politischer Nothwendig¬
keit begrüßt und mit seinen guten Wünschen die einzelnen Schritte aus dieser Bahn
begleitet. Sehr bestimmt und entschieden gehörte Bunsen zu denjenigen Poli¬
tikern, welche von dem Ernste der Unionspolitik des Herrn von Radowitz
überzeugt waren und an ihn als einen Retter in der Noth glaubten. Mit
welchen offenen und geheimen Feinden man dabei zu kämpfen hatte, haben
uns nun gerade die Mittheilungen Bunsen's gezeigt. Die Perfidie Han¬
novers und Sachsens, welche heimlich gegen das preußische Bündniß intri-
guirten, die offene Feindschaft Bayerns und Württembergs und des öster¬
reichischen Reichsverwesers -- das waren feindliche Gewalten, gegen welche


er in seinem kurzen Galopp auf Hindernisse, so ist er um so leichter aus
der Fassung gebracht: verstimmt und gedrückt sieht er nun Alles schwarz an,
was so rosig ihm vorher gelacht hatte: er fällt von einem ins andere Ex¬
trem. Nüchterne, sachliche, objective und staatsmännische Erwägung kommt
selten bei ihm vor! Vor Jahren hat einmal einer unserer Historiker, der
Bunsen persönlich nahe gestanden — R. Pauli — über ihn geurtheilt:
„Auch uns erscheint in seinem staatlichen Streben dieselbe Eigenthümlichkeit
tadelnswert!) wie in seiner Wissenschaft, daß er nämlich das letzte Ziel stets
zuerst mit unvergleichlicher Wärme, mit einer Borstellung ergriff, die in ihm
selber bereits Wirklichkeit geworden, und daß er dann schließlich bei einem so
realen Objecte wie die Politik nicht die Mittel, nicht die Characterkraft be¬
saß, dem Punkte, den sein divinatorischer Geist in der Ferne richtig erschaut.
Schritt für Schritt durch Beseitigung der entgegenstehenden Hindernisse nahe
zu kommen." Wir meinen dies Urtheil ist durch die Biographie überall be¬
stätigt worden. Und so will es uns scheinen, als ob der romantische und
unklare König in Bunsen nicht denjenigen Berather finden konnte, dessen
er gerade so sehr bedurft hätte. Es ist schwer zu sagen, ob die Enttäuschung
Bunsen's über Friedrich Wilhelm nicht oft gerade darin ihre Ursache gehabt,
daß Bunsen sich über des Königs Zustimmung zu lebhafte Illusionen ge¬
macht und in den freundschaftlichen königlichen Redensarten mehr gehört hat,
als jener zu sagen gewillt war. Wahre und herzliche Freundschaft des Königs
für die Person Bunsen's bedeutete doch nicht immer Zustimmung zu Bunsen's
politischem Vortrage: ob wohl Bunsen die mitunter nicht deutlich gezogene
Grenzlinie zwischen beiden sich immer genügend vergegenwärtigt hat? Das
eben scheint uns sehr fraglich; und gerade seine eigene Erzählung der in¬
timen Conferenzen regt den Zweifel an.

Daß Friedrich Wilhelm die ihm gebotene Kaiserkrone, wie sie nun ein¬
mal zugerichtet war, als eine „Schandkrone" verachten, daß er sie nicht an¬
nehmen würde, das mußte Bunsen seit Februar 1849 klar sein. Und die Ver¬
suche der preußischen Negierung auf anderem Wege eine Art von Einigung
Deutschlands zu erzielen hat Bunsen sofort als einen Act politischer Nothwendig¬
keit begrüßt und mit seinen guten Wünschen die einzelnen Schritte aus dieser Bahn
begleitet. Sehr bestimmt und entschieden gehörte Bunsen zu denjenigen Poli¬
tikern, welche von dem Ernste der Unionspolitik des Herrn von Radowitz
überzeugt waren und an ihn als einen Retter in der Noth glaubten. Mit
welchen offenen und geheimen Feinden man dabei zu kämpfen hatte, haben
uns nun gerade die Mittheilungen Bunsen's gezeigt. Die Perfidie Han¬
novers und Sachsens, welche heimlich gegen das preußische Bündniß intri-
guirten, die offene Feindschaft Bayerns und Württembergs und des öster¬
reichischen Reichsverwesers — das waren feindliche Gewalten, gegen welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/135>, abgerufen am 25.07.2024.