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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Dies gegenseitig kühle ablehnende Verhalten der beiden Pole machte es
Bunsen nicht möglich, als Minister des Auswärtigen ins Reichsministerium
einzutreten. Ob dadurch wirklich Vertrauen und Eintracht hergestellt worden
wäre? Wir glauben daran doch nicht recht. Aber, wenn auch ein vollstän¬
dig sicheres Urtheil heute bei der immer noch unvollständigen Information
nicht zu fassen ist, Eines ergibt sich doch schon mit großer Sicherheit. Ein
ganz unheilvoller "Mißgriff" war Gagern's kühner Griff, die Einsetzung des
Reichsverwesers, die Behauptung der Frankfurter Souverainetät. Mit diesen
Schritten der Frankfurter hatte man sich fast unwiederbringlich von Berlin
entfernt und eine Uebereinstimmung zwischen Königthum und Regierung von
Preußen einerseits und der großen konstitutionellen und nationalen Partei
in Frankfurt andererseits kaum noch möglich gelassen. Eine solche dennoch
herbeizuführen, zerarbeiteten sich einzelne wohlgesinnte Männer, keiner leb¬
hafter wie Bunsen. Den König hatte er anfangs für zugänglich der neuen
Aufgabe angesehen; nach und nach lernte er ihn besser kennen. Auf Bunsen's
Zureden gab er wiederholt nach und ging auf Maßregeln nationaler Politik
ein; darauf aber war das, was er gebilligt, wieder eine "abscheuliche Politik",
seine Billigung ein "Mißverständniß" -- immer störten Zwischenfälle, un¬
vorhergesehene Ereignisse seinen Gleichmuth und seinen Entschluß.

Zum zweiten Male war im Januar 1849 Bunsen an seiner Arbeit. Er
brachte es dahin, daß Preußen zur Frage -des Verhältnisses von Oesterreich
Stellung ergriff: die berufene Note vom 23. Januar ist eigentlich Bunsen's
Werk. Auch hierfür hatte er dann wieder in Frankfurt gewirkt. Es war
noch einmal ein Sonnenblick, ein kurzer Moment, in dem das Gelingen trotz
allem noch erreichbar schien. Bald ging er vorüber. Wieder hatte Bunsen
bleibend nichts erzielt.

Die Papiere Bunsen's, die uns jetzt vorgelegt sind, zeigen uns seinen
staatsmännischen Character doch ziemlich deutlich. Niemand kann es beikommen,
zu sagen, daß gerade Bunsen's Eigenthümlichkeiten den Mißerfolg bei Fried¬
rich Wilhelm nach sich gezogen. Nein, verlorene Mühe wäre es wohl selbst
für einen Halbgott gewesen, mit diesem Könige etwas auszurichten. Nichts¬
destoweniger gewinnen wir von Bunsen's Kapacität als Staatsmann auch
einen nicht gerade sehr günstigen Eindruck. Redlicher Wille, eine bis zu
einem gewissen Grade richtige theoretische Einsicht war mit einer äußerst leb¬
haften Phantasie und einem sehr sanguinischen Temperamente gepaart. Sehen
wir von der oft salbungsvollen oft süßlichen Einkleidung seiner Gedanken in
seinen Büchern ab, -- das Gefühl spielt bei ihm eine herrschende Rolle.
Wenn ihm ein Gedanke gefällt, wenn er eine Sache unternimmt, so ist er
voll Begeisterung und Zuversicht; überschwcinglich ist seine Hoffnung und
sein Vertrauen: es muß und wird gehen, wie er es sich gedacht. Stößt


Dies gegenseitig kühle ablehnende Verhalten der beiden Pole machte es
Bunsen nicht möglich, als Minister des Auswärtigen ins Reichsministerium
einzutreten. Ob dadurch wirklich Vertrauen und Eintracht hergestellt worden
wäre? Wir glauben daran doch nicht recht. Aber, wenn auch ein vollstän¬
dig sicheres Urtheil heute bei der immer noch unvollständigen Information
nicht zu fassen ist, Eines ergibt sich doch schon mit großer Sicherheit. Ein
ganz unheilvoller „Mißgriff" war Gagern's kühner Griff, die Einsetzung des
Reichsverwesers, die Behauptung der Frankfurter Souverainetät. Mit diesen
Schritten der Frankfurter hatte man sich fast unwiederbringlich von Berlin
entfernt und eine Uebereinstimmung zwischen Königthum und Regierung von
Preußen einerseits und der großen konstitutionellen und nationalen Partei
in Frankfurt andererseits kaum noch möglich gelassen. Eine solche dennoch
herbeizuführen, zerarbeiteten sich einzelne wohlgesinnte Männer, keiner leb¬
hafter wie Bunsen. Den König hatte er anfangs für zugänglich der neuen
Aufgabe angesehen; nach und nach lernte er ihn besser kennen. Auf Bunsen's
Zureden gab er wiederholt nach und ging auf Maßregeln nationaler Politik
ein; darauf aber war das, was er gebilligt, wieder eine „abscheuliche Politik",
seine Billigung ein „Mißverständniß" — immer störten Zwischenfälle, un¬
vorhergesehene Ereignisse seinen Gleichmuth und seinen Entschluß.

Zum zweiten Male war im Januar 1849 Bunsen an seiner Arbeit. Er
brachte es dahin, daß Preußen zur Frage -des Verhältnisses von Oesterreich
Stellung ergriff: die berufene Note vom 23. Januar ist eigentlich Bunsen's
Werk. Auch hierfür hatte er dann wieder in Frankfurt gewirkt. Es war
noch einmal ein Sonnenblick, ein kurzer Moment, in dem das Gelingen trotz
allem noch erreichbar schien. Bald ging er vorüber. Wieder hatte Bunsen
bleibend nichts erzielt.

Die Papiere Bunsen's, die uns jetzt vorgelegt sind, zeigen uns seinen
staatsmännischen Character doch ziemlich deutlich. Niemand kann es beikommen,
zu sagen, daß gerade Bunsen's Eigenthümlichkeiten den Mißerfolg bei Fried¬
rich Wilhelm nach sich gezogen. Nein, verlorene Mühe wäre es wohl selbst
für einen Halbgott gewesen, mit diesem Könige etwas auszurichten. Nichts¬
destoweniger gewinnen wir von Bunsen's Kapacität als Staatsmann auch
einen nicht gerade sehr günstigen Eindruck. Redlicher Wille, eine bis zu
einem gewissen Grade richtige theoretische Einsicht war mit einer äußerst leb¬
haften Phantasie und einem sehr sanguinischen Temperamente gepaart. Sehen
wir von der oft salbungsvollen oft süßlichen Einkleidung seiner Gedanken in
seinen Büchern ab, — das Gefühl spielt bei ihm eine herrschende Rolle.
Wenn ihm ein Gedanke gefällt, wenn er eine Sache unternimmt, so ist er
voll Begeisterung und Zuversicht; überschwcinglich ist seine Hoffnung und
sein Vertrauen: es muß und wird gehen, wie er es sich gedacht. Stößt


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[0134] Dies gegenseitig kühle ablehnende Verhalten der beiden Pole machte es Bunsen nicht möglich, als Minister des Auswärtigen ins Reichsministerium einzutreten. Ob dadurch wirklich Vertrauen und Eintracht hergestellt worden wäre? Wir glauben daran doch nicht recht. Aber, wenn auch ein vollstän¬ dig sicheres Urtheil heute bei der immer noch unvollständigen Information nicht zu fassen ist, Eines ergibt sich doch schon mit großer Sicherheit. Ein ganz unheilvoller „Mißgriff" war Gagern's kühner Griff, die Einsetzung des Reichsverwesers, die Behauptung der Frankfurter Souverainetät. Mit diesen Schritten der Frankfurter hatte man sich fast unwiederbringlich von Berlin entfernt und eine Uebereinstimmung zwischen Königthum und Regierung von Preußen einerseits und der großen konstitutionellen und nationalen Partei in Frankfurt andererseits kaum noch möglich gelassen. Eine solche dennoch herbeizuführen, zerarbeiteten sich einzelne wohlgesinnte Männer, keiner leb¬ hafter wie Bunsen. Den König hatte er anfangs für zugänglich der neuen Aufgabe angesehen; nach und nach lernte er ihn besser kennen. Auf Bunsen's Zureden gab er wiederholt nach und ging auf Maßregeln nationaler Politik ein; darauf aber war das, was er gebilligt, wieder eine „abscheuliche Politik", seine Billigung ein „Mißverständniß" — immer störten Zwischenfälle, un¬ vorhergesehene Ereignisse seinen Gleichmuth und seinen Entschluß. Zum zweiten Male war im Januar 1849 Bunsen an seiner Arbeit. Er brachte es dahin, daß Preußen zur Frage -des Verhältnisses von Oesterreich Stellung ergriff: die berufene Note vom 23. Januar ist eigentlich Bunsen's Werk. Auch hierfür hatte er dann wieder in Frankfurt gewirkt. Es war noch einmal ein Sonnenblick, ein kurzer Moment, in dem das Gelingen trotz allem noch erreichbar schien. Bald ging er vorüber. Wieder hatte Bunsen bleibend nichts erzielt. Die Papiere Bunsen's, die uns jetzt vorgelegt sind, zeigen uns seinen staatsmännischen Character doch ziemlich deutlich. Niemand kann es beikommen, zu sagen, daß gerade Bunsen's Eigenthümlichkeiten den Mißerfolg bei Fried¬ rich Wilhelm nach sich gezogen. Nein, verlorene Mühe wäre es wohl selbst für einen Halbgott gewesen, mit diesem Könige etwas auszurichten. Nichts¬ destoweniger gewinnen wir von Bunsen's Kapacität als Staatsmann auch einen nicht gerade sehr günstigen Eindruck. Redlicher Wille, eine bis zu einem gewissen Grade richtige theoretische Einsicht war mit einer äußerst leb¬ haften Phantasie und einem sehr sanguinischen Temperamente gepaart. Sehen wir von der oft salbungsvollen oft süßlichen Einkleidung seiner Gedanken in seinen Büchern ab, — das Gefühl spielt bei ihm eine herrschende Rolle. Wenn ihm ein Gedanke gefällt, wenn er eine Sache unternimmt, so ist er voll Begeisterung und Zuversicht; überschwcinglich ist seine Hoffnung und sein Vertrauen: es muß und wird gehen, wie er es sich gedacht. Stößt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/134>, abgerufen am 06.02.2025.