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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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nächst der behaglichen Zimmerwärme bei einer fesselnden Lectüre genoß. So war es
ziemlich spät geworden und der Kaffee über den Büchern vergessen, als plötzlich von
der Straße drunten ein ganz ungewöhnlicher Lärm heraufschöll, der immer mäch¬
tiger, störender durch die Nacht hallte. Eiliges Laufen, wirre angstvolle Stim¬
men, jagende Pferde, das Rasseln schwerer Wagen, jetzt der gewaltig erregende
Laut der Sturmglocke. Simson riß das Fenster auf: über den halben Him¬
mel, nach dem entgegengesetzten Ende der Stadt zu malte sich der blutige
Schein einer großen Feuersbrunst. Dort ungefähr muß Niebuhr's Haus
liegen, sagte sich Simson, und dieser Gedanke riß ihn mit einem Male mitten
unter die hastende Menge, die so wenig wie er das brennende Gebäude zu
bezeichnen wußte. Erst Angesichts des Feuers staute sich der Menschenstrom.
Aber nun flog Simson mitten unter die vordersten Helfer bei der Brand¬
stätte, denn in der That das Haus Niebuhr's stand in hellen Flammen. Eben
führte man den Mann, der im siebenunddreißigsten Jahre noch beherzt die
Freiheitskriege mit geschlagen, und mit E. M. Arndt der hereinbrechenden
Reaction muthig getrotzt hatte, durch den plötzlichen Schreck, unter dem Ein¬
bruch des entfesselten Elements, körperlich und geistig gebrochen die Treppe
des Hauses herab. Er schwankte und zitterte und nur der eine verzweifelte
Ausruf drängte sich immer wieder über seine Lippen: "Meine Manuscripte!
Meine Manuscripte!" Bekanntlich hat sich diese Besorgniß Niebuhr's glück-
licher Weise nicht erfüllt. Simson aber fühlte sich von dem jammervollen
Anblick seines Lehrers tief ergriffe". Jetzt, wo die schneidige Kälte der Februar¬
nacht den bejahrten Mann schüttelte, gewahrte Simson, daß man in der Eile
der persönlichen Rettung ihn nur mit einem ganz dünnen Röckchen bekleidet,
die Treppe hinabgeführt hatte. In einem Augenblick hatte sich Simson seines
Mantel-Schlafrockes entledigt und den verehrten Lehrer in dessen wohlige Fal¬
ten gehüllt. Dann, als er sich -- bei der allgemeinen Bestürzung von Nieman¬
dem erkannt oder beachtet -- überzeugt hatte, daß Niebuhr in dem gegenüber¬
liegenden gastlichen Hanse Bethmann-Hollweg's Aufnahme gefunden habe,
rannte er, selbst vom Frost geschüttelt, nach Hause. Wenige Tage später
veröffentlichte das Bonner Localblatt eine Danksagung Niebuhr's. in welcher
Simson neben der tiefsten Rührung des gefeierten Forschers über die allge¬
meine werkthätige Beihülfe der Bonner Bürgerschaft bei dem ihm widerfah¬
renen Brandunglücke, zu seinem Schrecken plötzlich etwa folgenden Schlu߬
zeilen begegnete: "insbesondere danke ich auch dem mir völlig unbekannten edeln
Manne, der mir in der Unglücksnacht seinen eigenen Mantel umwarf. Möge
derselbe einen baldigen persönlichen Dank durch Abholung des Mantels er¬
möglichen; er wird sich als Eigenthümer legitimiren durch Benennung der in
den Taschen befindlichen Gegenstände." Simson fiel sein Pfund Kaffee mit
Centnerlast auf die Seele, als er dies las, und an Abholung des Mantels


nächst der behaglichen Zimmerwärme bei einer fesselnden Lectüre genoß. So war es
ziemlich spät geworden und der Kaffee über den Büchern vergessen, als plötzlich von
der Straße drunten ein ganz ungewöhnlicher Lärm heraufschöll, der immer mäch¬
tiger, störender durch die Nacht hallte. Eiliges Laufen, wirre angstvolle Stim¬
men, jagende Pferde, das Rasseln schwerer Wagen, jetzt der gewaltig erregende
Laut der Sturmglocke. Simson riß das Fenster auf: über den halben Him¬
mel, nach dem entgegengesetzten Ende der Stadt zu malte sich der blutige
Schein einer großen Feuersbrunst. Dort ungefähr muß Niebuhr's Haus
liegen, sagte sich Simson, und dieser Gedanke riß ihn mit einem Male mitten
unter die hastende Menge, die so wenig wie er das brennende Gebäude zu
bezeichnen wußte. Erst Angesichts des Feuers staute sich der Menschenstrom.
Aber nun flog Simson mitten unter die vordersten Helfer bei der Brand¬
stätte, denn in der That das Haus Niebuhr's stand in hellen Flammen. Eben
führte man den Mann, der im siebenunddreißigsten Jahre noch beherzt die
Freiheitskriege mit geschlagen, und mit E. M. Arndt der hereinbrechenden
Reaction muthig getrotzt hatte, durch den plötzlichen Schreck, unter dem Ein¬
bruch des entfesselten Elements, körperlich und geistig gebrochen die Treppe
des Hauses herab. Er schwankte und zitterte und nur der eine verzweifelte
Ausruf drängte sich immer wieder über seine Lippen: „Meine Manuscripte!
Meine Manuscripte!" Bekanntlich hat sich diese Besorgniß Niebuhr's glück-
licher Weise nicht erfüllt. Simson aber fühlte sich von dem jammervollen
Anblick seines Lehrers tief ergriffe". Jetzt, wo die schneidige Kälte der Februar¬
nacht den bejahrten Mann schüttelte, gewahrte Simson, daß man in der Eile
der persönlichen Rettung ihn nur mit einem ganz dünnen Röckchen bekleidet,
die Treppe hinabgeführt hatte. In einem Augenblick hatte sich Simson seines
Mantel-Schlafrockes entledigt und den verehrten Lehrer in dessen wohlige Fal¬
ten gehüllt. Dann, als er sich — bei der allgemeinen Bestürzung von Nieman¬
dem erkannt oder beachtet — überzeugt hatte, daß Niebuhr in dem gegenüber¬
liegenden gastlichen Hanse Bethmann-Hollweg's Aufnahme gefunden habe,
rannte er, selbst vom Frost geschüttelt, nach Hause. Wenige Tage später
veröffentlichte das Bonner Localblatt eine Danksagung Niebuhr's. in welcher
Simson neben der tiefsten Rührung des gefeierten Forschers über die allge¬
meine werkthätige Beihülfe der Bonner Bürgerschaft bei dem ihm widerfah¬
renen Brandunglücke, zu seinem Schrecken plötzlich etwa folgenden Schlu߬
zeilen begegnete: „insbesondere danke ich auch dem mir völlig unbekannten edeln
Manne, der mir in der Unglücksnacht seinen eigenen Mantel umwarf. Möge
derselbe einen baldigen persönlichen Dank durch Abholung des Mantels er¬
möglichen; er wird sich als Eigenthümer legitimiren durch Benennung der in
den Taschen befindlichen Gegenstände." Simson fiel sein Pfund Kaffee mit
Centnerlast auf die Seele, als er dies las, und an Abholung des Mantels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/13>, abgerufen am 04.07.2024.