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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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war natürlich unter so compromittirenden Verhältnissen gar nicht zu denken
-- wenn er nicht schon ohnehin darauf verzichtet hätte, um seine Gutthat im
Verborgnen zu lassen. So blieb der geheimnißvolle Mantel in der Verwah¬
rung Niebuhr's, und alle Nachforschungen nach dem unbekannten Wohlthäter
wären wahrscheinlich stets erfolglos geblieben, wenn nicht ein heiterer Zufall
Simson's Geheimniß verrathen hätte. Auf einem Spaziergang im Frühjahr
1830 nämlich, mit dem Sohne Bethmann-hollweg's, Simson's Studienfreunde,
nahm der letzter? plötzlich ein unerklärliches Interesse an dem Zipfel des sei¬
denen Tuches, das Simson aus der äußeren Rocktasche hervorschaute, und
rief, nachdem er sich sogar dieses Tuches selbst bemächtigt hatte, nach einer
flüchtigen Prüfung der Namensbuchstaben L. 8. mit großer Bestimmtheit aus:
"Sie sind entlarvt! Sie sind also der Besitzer des Mantels mit dem Pfund
Kaffee, der schmerzlich gesuchte unbekannte Wohlthäter. Ja freilich, Alles
stimmt ja aufs vollständigste -- wie wird sich Niebuhr freuen!" Und nichts
hielt den jungen Mann zurück, sofort die freudige Entdeckung zu melden.

Die Innigkeit, mit welcher Niebuhr seine Dankbarkeit erwies, war für
Simson zwar beschämend, aber persönlich und wissenschaftlich doch von
nachhaltigster Bedeutung. Niebuhr behandelte ihn fortan wie seinen eigenen
Sohn. Im häuslichen Kreise, in der Runde seiner vertrautesten Schüler durfte
Simson fortan nicht fehlen, ja manche Stunde hat er allein Auge in Auge
dem trefflichen Manne gegenübergesessen und hohe Weisheit und Wissenschaft
von den Lippen vernommen, die ein Jahr später sich für immer schließen
sollten. Und auch für die weiteren Studien Simson's. die er unmittelbar
nach der Julirevolution in Paris fortsetzte, mit sehr geringer Freude an den
Scheineffecten des Bürgerkönigthums, mit frohesten Behagen dagegen an den
damaligen trefflichen Lehrkräften der Sorbonne, sind Niebuhr's herzliche Empfeh¬
lungen an die französischen College", und Niebuhr's Briefe an Simson selbst
dem Letzteren von segensreichen Folgen gewesen.

Mit dem Jahre 1831 beginnt die praktische Laufbahn Simson's als Do¬
cent und Beamter. Wir sind weit entfernt, uns der Charakteristik der heuti¬
gen preußischen Juristencarriere anzuschließen, welche uns vor kurzem ein geist¬
reicher jüngerer preußischer Jurist in den Worten gain "Und wenn der hei¬
lige Geist heut herniederstiege und in Preußen Jura studirte, er brächte es
auch zu nichts." Aber sicher ist, daß das Talent in jenen Jahren, als Sim¬
son seine practische Thätigkeit begann, bei weitem schneller ausrückte, als heute.
Und dennoch muß auch den Zeitgenossen die Carriere Simson's als eine un¬
gewöhnlich rasche und günstige erschienen sein. Uns Modernen dagegen er¬
scheint sie fast märchenhaft: mit einundzwanzig Jahren Pnvatdocent
in Königsberg, mit dreiundzwanzig Jahren (1833) außerordentlicher Pro¬
fessor, mit vierundzwanzig Jahren schon Mitglied des damaligen Tribu-


war natürlich unter so compromittirenden Verhältnissen gar nicht zu denken
— wenn er nicht schon ohnehin darauf verzichtet hätte, um seine Gutthat im
Verborgnen zu lassen. So blieb der geheimnißvolle Mantel in der Verwah¬
rung Niebuhr's, und alle Nachforschungen nach dem unbekannten Wohlthäter
wären wahrscheinlich stets erfolglos geblieben, wenn nicht ein heiterer Zufall
Simson's Geheimniß verrathen hätte. Auf einem Spaziergang im Frühjahr
1830 nämlich, mit dem Sohne Bethmann-hollweg's, Simson's Studienfreunde,
nahm der letzter? plötzlich ein unerklärliches Interesse an dem Zipfel des sei¬
denen Tuches, das Simson aus der äußeren Rocktasche hervorschaute, und
rief, nachdem er sich sogar dieses Tuches selbst bemächtigt hatte, nach einer
flüchtigen Prüfung der Namensbuchstaben L. 8. mit großer Bestimmtheit aus:
„Sie sind entlarvt! Sie sind also der Besitzer des Mantels mit dem Pfund
Kaffee, der schmerzlich gesuchte unbekannte Wohlthäter. Ja freilich, Alles
stimmt ja aufs vollständigste — wie wird sich Niebuhr freuen!" Und nichts
hielt den jungen Mann zurück, sofort die freudige Entdeckung zu melden.

Die Innigkeit, mit welcher Niebuhr seine Dankbarkeit erwies, war für
Simson zwar beschämend, aber persönlich und wissenschaftlich doch von
nachhaltigster Bedeutung. Niebuhr behandelte ihn fortan wie seinen eigenen
Sohn. Im häuslichen Kreise, in der Runde seiner vertrautesten Schüler durfte
Simson fortan nicht fehlen, ja manche Stunde hat er allein Auge in Auge
dem trefflichen Manne gegenübergesessen und hohe Weisheit und Wissenschaft
von den Lippen vernommen, die ein Jahr später sich für immer schließen
sollten. Und auch für die weiteren Studien Simson's. die er unmittelbar
nach der Julirevolution in Paris fortsetzte, mit sehr geringer Freude an den
Scheineffecten des Bürgerkönigthums, mit frohesten Behagen dagegen an den
damaligen trefflichen Lehrkräften der Sorbonne, sind Niebuhr's herzliche Empfeh¬
lungen an die französischen College», und Niebuhr's Briefe an Simson selbst
dem Letzteren von segensreichen Folgen gewesen.

Mit dem Jahre 1831 beginnt die praktische Laufbahn Simson's als Do¬
cent und Beamter. Wir sind weit entfernt, uns der Charakteristik der heuti¬
gen preußischen Juristencarriere anzuschließen, welche uns vor kurzem ein geist¬
reicher jüngerer preußischer Jurist in den Worten gain „Und wenn der hei¬
lige Geist heut herniederstiege und in Preußen Jura studirte, er brächte es
auch zu nichts." Aber sicher ist, daß das Talent in jenen Jahren, als Sim¬
son seine practische Thätigkeit begann, bei weitem schneller ausrückte, als heute.
Und dennoch muß auch den Zeitgenossen die Carriere Simson's als eine un¬
gewöhnlich rasche und günstige erschienen sein. Uns Modernen dagegen er¬
scheint sie fast märchenhaft: mit einundzwanzig Jahren Pnvatdocent
in Königsberg, mit dreiundzwanzig Jahren (1833) außerordentlicher Pro¬
fessor, mit vierundzwanzig Jahren schon Mitglied des damaligen Tribu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/14>, abgerufen am 04.07.2024.