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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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vornehmlich in der Schönheit der Formen und in der Hoheit der Ideen des
Alterthums ihr Genüge gefunden hatte, zur Reife des Mannes und Gelehrten
am meisten bedürfte.

Drei Jahre lang oblag Simson seinen Studien in seiner Vaterstadt,
dann suchte er die berühmtesten Hochschullehrer des damaligen Preußens, Sa-
vigny in Berlin und Niebuhr in Bonn auf, nachdem er zu Ostern 1829 als
Doctor beider Rechte promovirt hatte -- im achtzehnten Lebensjahre. Die
beiden hochgefeierten Männer nahmen ihn freundlich auf, besonders Niebuhr,
an den er gut empfohlen war. Ein überaus merkwürdiges Ereigniß, das
wir aus Simson's eigenem Munde vernommen haben und hier ausführlich
mittheilen, weil es für die Betheiligten äußerst characteristisch ist, sollte ihm
die Gunst, ja Dankbarkeit Niebuhr's in noch höherem Grade zuwenden. Sim-
son war im Wintersemester 1829 auf 1830 nach Bonn gekommen. Der Win¬
ter war sehr hart, und zwei Dinge schienen dem jungen Doctor zur Be¬
kämpfung der grimmigen Kälte, nach langjähriger Bekanntschaft mit dem
Königsberger Winter unentbehrlich: ein sehr warmer bequemer langer Rock
und der herzstärkende Genuß kräftigen guten Kaffees, bei den abendlichen und
wohl auch nächtlichen Studien. Das erste dieser Bedürfnisse erfüllte ein Klei¬
dungsstück vollständig, von dessen äußerer Erscheinung, nach Farbe, Schnitt
und Rubricirung unter moderne Gewandungen, trotz der liebevollen De¬
tailmalerei, welche sein Eigenthümer ihm fast vierzig Jahre später bei Erzäh¬
lung dieser Jugenderinnerungen noch widmete, wir nur eine höchst unvoll¬
kommene Borstellung zu haben leider bekennen müssen. Es genügt indessen
vielleicht, wenn wir unsern Lesern versichern, daß dieser Tuchcomplex allen
denjenigen Ansprüchen zugleich genügte, welche ein moderner Mensch an einen
Ueberzieher, Gehrock, Mantel und Schlafrock zu stellen nur irgend berechtigt
ist. Simson stand mit ihm auf, ging mit ihm aus und durchwachte mit ihm
die Abende und Nächte bei den Büchern. In der Scala moderner Kleider-
namen dürfte daher der mystische Begriff des "Gottfried" noch am ersten der
Vielseitigkeit jener ehrwürdigen Mobilie nahe kommen. Zu den besten ver¬
borgensten Tugenden dieses seltenen Gewandes gehörte aber vor Allem eine
Brusttasche, die auch ungewöhnliche Erwartungen von Geräumigkeit übertraf,
und nicht minder zwei äußere Handtaschen, welche abwechselnd das seidene
Taschentuch des Besitzers aufzunehmen pflegten. Die innere Brusttasche da¬
gegen war gewöhnt, außer sehr gelehrten Dingen namentlich auch die Vor¬
räthe an Kaffee zu beherbergen, welchen Simson in Quantitäten von nicht
unter einem Pfund in gemahlenen Zustande eigenhändig einzukaufen und sich
daheim nicht minder eigenhändig zuzubereiten pflegte.

Es war ein sehr kalter Februarabend des Jahres 1830, als er abermals mit
einem Pfunde Kaffee in der Tasche seine Studirlampe anzündete, und nun zu-


vornehmlich in der Schönheit der Formen und in der Hoheit der Ideen des
Alterthums ihr Genüge gefunden hatte, zur Reife des Mannes und Gelehrten
am meisten bedürfte.

Drei Jahre lang oblag Simson seinen Studien in seiner Vaterstadt,
dann suchte er die berühmtesten Hochschullehrer des damaligen Preußens, Sa-
vigny in Berlin und Niebuhr in Bonn auf, nachdem er zu Ostern 1829 als
Doctor beider Rechte promovirt hatte — im achtzehnten Lebensjahre. Die
beiden hochgefeierten Männer nahmen ihn freundlich auf, besonders Niebuhr,
an den er gut empfohlen war. Ein überaus merkwürdiges Ereigniß, das
wir aus Simson's eigenem Munde vernommen haben und hier ausführlich
mittheilen, weil es für die Betheiligten äußerst characteristisch ist, sollte ihm
die Gunst, ja Dankbarkeit Niebuhr's in noch höherem Grade zuwenden. Sim-
son war im Wintersemester 1829 auf 1830 nach Bonn gekommen. Der Win¬
ter war sehr hart, und zwei Dinge schienen dem jungen Doctor zur Be¬
kämpfung der grimmigen Kälte, nach langjähriger Bekanntschaft mit dem
Königsberger Winter unentbehrlich: ein sehr warmer bequemer langer Rock
und der herzstärkende Genuß kräftigen guten Kaffees, bei den abendlichen und
wohl auch nächtlichen Studien. Das erste dieser Bedürfnisse erfüllte ein Klei¬
dungsstück vollständig, von dessen äußerer Erscheinung, nach Farbe, Schnitt
und Rubricirung unter moderne Gewandungen, trotz der liebevollen De¬
tailmalerei, welche sein Eigenthümer ihm fast vierzig Jahre später bei Erzäh¬
lung dieser Jugenderinnerungen noch widmete, wir nur eine höchst unvoll¬
kommene Borstellung zu haben leider bekennen müssen. Es genügt indessen
vielleicht, wenn wir unsern Lesern versichern, daß dieser Tuchcomplex allen
denjenigen Ansprüchen zugleich genügte, welche ein moderner Mensch an einen
Ueberzieher, Gehrock, Mantel und Schlafrock zu stellen nur irgend berechtigt
ist. Simson stand mit ihm auf, ging mit ihm aus und durchwachte mit ihm
die Abende und Nächte bei den Büchern. In der Scala moderner Kleider-
namen dürfte daher der mystische Begriff des „Gottfried" noch am ersten der
Vielseitigkeit jener ehrwürdigen Mobilie nahe kommen. Zu den besten ver¬
borgensten Tugenden dieses seltenen Gewandes gehörte aber vor Allem eine
Brusttasche, die auch ungewöhnliche Erwartungen von Geräumigkeit übertraf,
und nicht minder zwei äußere Handtaschen, welche abwechselnd das seidene
Taschentuch des Besitzers aufzunehmen pflegten. Die innere Brusttasche da¬
gegen war gewöhnt, außer sehr gelehrten Dingen namentlich auch die Vor¬
räthe an Kaffee zu beherbergen, welchen Simson in Quantitäten von nicht
unter einem Pfund in gemahlenen Zustande eigenhändig einzukaufen und sich
daheim nicht minder eigenhändig zuzubereiten pflegte.

Es war ein sehr kalter Februarabend des Jahres 1830, als er abermals mit
einem Pfunde Kaffee in der Tasche seine Studirlampe anzündete, und nun zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/12>, abgerufen am 04.07.2024.