Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.sind wohl kaum über die kritischen Journale hinaus gedrungen, doch hat man Eine scheinbare Ausnahme ließe sich anführen: Tegners Frithjofs-Sage. Wahrscheinlich wird sich diese Theilnahmlosigkeit unseres Publicums gegen sind wohl kaum über die kritischen Journale hinaus gedrungen, doch hat man Eine scheinbare Ausnahme ließe sich anführen: Tegners Frithjofs-Sage. Wahrscheinlich wird sich diese Theilnahmlosigkeit unseres Publicums gegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128023"/> <p xml:id="ID_254" prev="#ID_253"> sind wohl kaum über die kritischen Journale hinaus gedrungen, doch hat man<lb/> ihre lobende Beurtheilung mit vieler Erbauung, aber auch mit der festen<lb/> Ueberzeugung, damit genug gethan zu haben, gelesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_255"> Eine scheinbare Ausnahme ließe sich anführen: Tegners Frithjofs-Sage.<lb/> Daran hat unsere deutsche Fingerfertigkeit in Uebersetzungen des Guten<lb/> mehr als zuviel gethan. Irren wir nicht, so eristiren bis jetzt schon vierzehn<lb/> oder fünfzehn und fast jeder Meßkatalog bringt eine neue. Hier wäre also die<lb/> Anziehungskraft altnordischer Literaturstoffe glänzend bewiesen. Aber es giebt<lb/> zwar einen altnordischen Recken von ächtesten Schrot und Korn Namens Frithjof<lb/> und seine Geschichte ist in verschiedenen Erzählungen aus der altnordischen<lb/> Literaturperiode dargestellt, die wir noch jetzt besitzen; der Tegnersche Frithjof da¬<lb/> gegen ist ein ganz modernes Wesen, ein Gebilde der Romantik des 19. Jahr¬<lb/> hunderts im Stile Fouque's, vielleicht nur etwas besser gerathen als dessen<lb/> jetzt so gänzlich verachteten Heroen und Heroinen. Von dem ächten Frithjof hat<lb/> er nichts als den Namen und eine Anzahl äußerer Begebenheiten entlehnt,<lb/> die ebenso gut auch erfunden sein könnten. Wahrscheinlich beruht die Wirkung<lb/> dieses modernen Doppelgängers zum guten Theil darauf, daß er an Blut<lb/> und Gemüthe nichts von altnordischer Eigenart an sich trägt, sondern blos Kleidung<lb/> und Haare. Der echte Frithjof würde unsern zarten Seelen sehr wenig behagen,<lb/> denn es ist ein äußerst knorriger Geselle. Ein anderer Theil ist auf Rechnung<lb/> des unleugbaren Formtalentes in dem modernen Dichter zu setzen, obwohl<lb/> dies keineswegs nach dem durch nationale Eitelkeit aufgeputzten Urtheil seiner<lb/> Landsleute abgeschätzt werden darf. —</p><lb/> <p xml:id="ID_256" next="#ID_257"> Wahrscheinlich wird sich diese Theilnahmlosigkeit unseres Publicums gegen<lb/> die altnordische Literatur so lange nicht ändern, als man ihren eigentlichen<lb/> Schwerpunkt da sucht, wo er nicht ist, in der Poesie. Wer sich der dithyrambischen<lb/> Ueberschwänglichkeiten erinnert, mit welchen die ersten Klänge altnordischer<lb/> Poesie in unserm Vaterlande begrüßt wurden, die grenzenlose Begeisterung<lb/> eines Gerstenberg, Kretschmann, Dann, ja selbst eures Klopstock für diese<lb/> erhabensten Offenbarungen der Naturpoesie und damit vergleicht, was davon<lb/> auf unsere Poesie oder auch auf unsere Bildung im Allgemeinen gewirkt hat.<lb/> muß über den Contrast zwischen den Intentionen jener Wiedererwecker<lb/> des Skaldengesanges und ihren Erfolgen erstaunen. Und doch wie über¬<lb/> all hat auch hier sich bewährt, daß der Geschmack des Publicums im Großen<lb/> und Ganzen stets das Richtige trifft. Eine Zeitlang mochte wohl das Skalden-<lb/> und Bardengebrüll manche Ohren betäuben, aber die Herzen erwärmte es<lb/> doch nicht, daher schwieg es bald wieder und so oft später auf viel tieferer<lb/> Grundlage und mit viel gereifteren Mitteln der Versuch wiederholt wurde,<lb/> mißglückte er ebenso. Denn diese altnordische Poesie ist uns Menschen von<lb/> heute so fremdartig unzugänglich, wie kaum irgend eine andere. Daß sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0095]
sind wohl kaum über die kritischen Journale hinaus gedrungen, doch hat man
ihre lobende Beurtheilung mit vieler Erbauung, aber auch mit der festen
Ueberzeugung, damit genug gethan zu haben, gelesen.
Eine scheinbare Ausnahme ließe sich anführen: Tegners Frithjofs-Sage.
Daran hat unsere deutsche Fingerfertigkeit in Uebersetzungen des Guten
mehr als zuviel gethan. Irren wir nicht, so eristiren bis jetzt schon vierzehn
oder fünfzehn und fast jeder Meßkatalog bringt eine neue. Hier wäre also die
Anziehungskraft altnordischer Literaturstoffe glänzend bewiesen. Aber es giebt
zwar einen altnordischen Recken von ächtesten Schrot und Korn Namens Frithjof
und seine Geschichte ist in verschiedenen Erzählungen aus der altnordischen
Literaturperiode dargestellt, die wir noch jetzt besitzen; der Tegnersche Frithjof da¬
gegen ist ein ganz modernes Wesen, ein Gebilde der Romantik des 19. Jahr¬
hunderts im Stile Fouque's, vielleicht nur etwas besser gerathen als dessen
jetzt so gänzlich verachteten Heroen und Heroinen. Von dem ächten Frithjof hat
er nichts als den Namen und eine Anzahl äußerer Begebenheiten entlehnt,
die ebenso gut auch erfunden sein könnten. Wahrscheinlich beruht die Wirkung
dieses modernen Doppelgängers zum guten Theil darauf, daß er an Blut
und Gemüthe nichts von altnordischer Eigenart an sich trägt, sondern blos Kleidung
und Haare. Der echte Frithjof würde unsern zarten Seelen sehr wenig behagen,
denn es ist ein äußerst knorriger Geselle. Ein anderer Theil ist auf Rechnung
des unleugbaren Formtalentes in dem modernen Dichter zu setzen, obwohl
dies keineswegs nach dem durch nationale Eitelkeit aufgeputzten Urtheil seiner
Landsleute abgeschätzt werden darf. —
Wahrscheinlich wird sich diese Theilnahmlosigkeit unseres Publicums gegen
die altnordische Literatur so lange nicht ändern, als man ihren eigentlichen
Schwerpunkt da sucht, wo er nicht ist, in der Poesie. Wer sich der dithyrambischen
Ueberschwänglichkeiten erinnert, mit welchen die ersten Klänge altnordischer
Poesie in unserm Vaterlande begrüßt wurden, die grenzenlose Begeisterung
eines Gerstenberg, Kretschmann, Dann, ja selbst eures Klopstock für diese
erhabensten Offenbarungen der Naturpoesie und damit vergleicht, was davon
auf unsere Poesie oder auch auf unsere Bildung im Allgemeinen gewirkt hat.
muß über den Contrast zwischen den Intentionen jener Wiedererwecker
des Skaldengesanges und ihren Erfolgen erstaunen. Und doch wie über¬
all hat auch hier sich bewährt, daß der Geschmack des Publicums im Großen
und Ganzen stets das Richtige trifft. Eine Zeitlang mochte wohl das Skalden-
und Bardengebrüll manche Ohren betäuben, aber die Herzen erwärmte es
doch nicht, daher schwieg es bald wieder und so oft später auf viel tieferer
Grundlage und mit viel gereifteren Mitteln der Versuch wiederholt wurde,
mißglückte er ebenso. Denn diese altnordische Poesie ist uns Menschen von
heute so fremdartig unzugänglich, wie kaum irgend eine andere. Daß sie
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