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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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des Sanskrit oder Zend als wissenschaftliche Autoritäten zu gelten und die
Bopp, Lassen, Böhtlingk u. s. w, wären nur unberechtigte und zugleich stüm¬
perhafte Eindringlinge. --

Daß man in Kopenhagen nach solcher Logik denkt, ist freilich nicht zu
verwundern, da ihre Principien ja dort überall als die allgemeingültigen zu
herrschen scheinen. Auffallend ist es nur, daß von Seite der andern scandi-
vischen Germanisten diese dänische Anmaßlichkeit so sanftmüthig ertragen wird,
da sie sich doch,nicht blos gegen die Deutschen, sondern gegen alle, die nicht
in dem alleinseligmachenden Kopenhagen zu Hause sind, kehrt. Höchstens
wer das zweifelhafte Glück der Isländer genießt, von Kopenhagen aus regiert
zu werden, der erlangt dadurch einen bescheidenen Antheil an dem dort auf¬
gespeicherten Gnadenschätze der ausschließlichen Wissenschaftlichkeit.

Unsere Germanisten lassen sich einstweilen nicht irremachen und arbeiten
mit erfreulichem Eifer ihren hochmüthigen und neidischen Kollegen zum Trotze
weiter. Freilich liegt ihnen ein anderes Feld, das der eigentlich vaterländischen
Alterthumskunde noch näher, aber einer sorgfältigen Erforschung des nächst¬
verwandten Altnordischen wird sich keiner entziehen dürfen. Ist es ja doch
auch von so unvergleichlicher Ergiebigkeit, daß wer einmal sich mit ihm ver¬
traut gemacht hat, unmöglich anders als durch einen Act der strengsten Selbst¬
überwindung sich von ihm trennen kann.

Wir haben nicht im Sinne, hier eine Apologie der altnordischen Literatur
und Sprache zu schreiben, mit der wir keiner Art unserer Leser dienten, weder
den eigentlichen Kennern, denen wir nur Trivialitäten sagen würden,
noch den andern, denen die eigenthümlichen Charakterzüge dieser altnordischen
Welt so fremdartig erscheinen müssen, daß sie sie nur durch die umständlichste
Auseinandersetzung erfassen, könnten. Aber vermuthlich liegt darin auch die
Ursache, daß alle bisherigen Versuche, diese altnordische Literatur in dem deut¬
schen Publicum, nicht blos bei den wenigen berufsmäßig damit Beschäftigten
einzuführen, wenig Erfolg gehabt haben, obgleich sie meist mit Sachkenntniß
und Geschick unternommen worden sind. Wenn wir die Namen der beiden
Grimm, von der Hagen, Rühs, Mohnike, Wachler, Simrock, Ettmüller
darunter finden, so geben diese allein schon eine Bürgschaft dafür, und wenn
die Solidität des Wissens allerdings nicht allein ausreicht, um die Arbeit eines
Uebersetzers lesbar zu machen, so darf man in diesem Falle unbedenklich be¬
haupten, daß sich fast bei allen den genannten dazu auch noch die vollständigste
Herrschaft über die Form und die Darstellungsmittel überhaupt gesellt. Aber
dennoch hat z. B. die von einem so populären Namen getragene Uebersetzung
der Edda von Simrock es zwar zu allgemeiner Anerkennung, aber nur zu
drei Auflagen in einem halben Menschenalter gebracht, und dies Buch ist noch
dasjenige unter allen Hieher gehörigen, welches am besten "geht". Die andern


des Sanskrit oder Zend als wissenschaftliche Autoritäten zu gelten und die
Bopp, Lassen, Böhtlingk u. s. w, wären nur unberechtigte und zugleich stüm¬
perhafte Eindringlinge. —

Daß man in Kopenhagen nach solcher Logik denkt, ist freilich nicht zu
verwundern, da ihre Principien ja dort überall als die allgemeingültigen zu
herrschen scheinen. Auffallend ist es nur, daß von Seite der andern scandi-
vischen Germanisten diese dänische Anmaßlichkeit so sanftmüthig ertragen wird,
da sie sich doch,nicht blos gegen die Deutschen, sondern gegen alle, die nicht
in dem alleinseligmachenden Kopenhagen zu Hause sind, kehrt. Höchstens
wer das zweifelhafte Glück der Isländer genießt, von Kopenhagen aus regiert
zu werden, der erlangt dadurch einen bescheidenen Antheil an dem dort auf¬
gespeicherten Gnadenschätze der ausschließlichen Wissenschaftlichkeit.

Unsere Germanisten lassen sich einstweilen nicht irremachen und arbeiten
mit erfreulichem Eifer ihren hochmüthigen und neidischen Kollegen zum Trotze
weiter. Freilich liegt ihnen ein anderes Feld, das der eigentlich vaterländischen
Alterthumskunde noch näher, aber einer sorgfältigen Erforschung des nächst¬
verwandten Altnordischen wird sich keiner entziehen dürfen. Ist es ja doch
auch von so unvergleichlicher Ergiebigkeit, daß wer einmal sich mit ihm ver¬
traut gemacht hat, unmöglich anders als durch einen Act der strengsten Selbst¬
überwindung sich von ihm trennen kann.

Wir haben nicht im Sinne, hier eine Apologie der altnordischen Literatur
und Sprache zu schreiben, mit der wir keiner Art unserer Leser dienten, weder
den eigentlichen Kennern, denen wir nur Trivialitäten sagen würden,
noch den andern, denen die eigenthümlichen Charakterzüge dieser altnordischen
Welt so fremdartig erscheinen müssen, daß sie sie nur durch die umständlichste
Auseinandersetzung erfassen, könnten. Aber vermuthlich liegt darin auch die
Ursache, daß alle bisherigen Versuche, diese altnordische Literatur in dem deut¬
schen Publicum, nicht blos bei den wenigen berufsmäßig damit Beschäftigten
einzuführen, wenig Erfolg gehabt haben, obgleich sie meist mit Sachkenntniß
und Geschick unternommen worden sind. Wenn wir die Namen der beiden
Grimm, von der Hagen, Rühs, Mohnike, Wachler, Simrock, Ettmüller
darunter finden, so geben diese allein schon eine Bürgschaft dafür, und wenn
die Solidität des Wissens allerdings nicht allein ausreicht, um die Arbeit eines
Uebersetzers lesbar zu machen, so darf man in diesem Falle unbedenklich be¬
haupten, daß sich fast bei allen den genannten dazu auch noch die vollständigste
Herrschaft über die Form und die Darstellungsmittel überhaupt gesellt. Aber
dennoch hat z. B. die von einem so populären Namen getragene Uebersetzung
der Edda von Simrock es zwar zu allgemeiner Anerkennung, aber nur zu
drei Auflagen in einem halben Menschenalter gebracht, und dies Buch ist noch
dasjenige unter allen Hieher gehörigen, welches am besten „geht". Die andern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/94>, abgerufen am 23.07.2024.