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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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den Namen "Bauer," "weil 10 derselben in den Landtag eingerückt seien."
Nur eine Schöpfung auf diesem Gebiete ist bemerkenswerth, es ist das am
Abende des Goethescher Lebens von ihm und den wissenschaftlichen Kreisen
Weimars gegründete Lesemuseum, das damals schon die Fülle wissenschaft¬
lichen Lebens und die Bereinigung gemeinsamer Interessen bekundete.

Kaum bedarf es eines Hinweises auf die Entwickelung des wissen¬
schaftlichen Lebens; die Koryphäen Weimar's lassen jede Ausführung
überflüssig erscheinen. Nur ein Moment hat der Erzielung noch bedeutenderer
Resultate geschadet, es ist der Mangel eines gemeinsamen innigen Zusammen-
Wirkens, wie Schiller sehr richtig in einer unterdrückten Stelle*) eines Briefes
an Humboldt betont und was Goethe in spätem Alter in den bezeichnenden
Worten zugegeben hat: "Wir sind zu nah an einander hochstehende Bäume
gewesen." Aber tief und nachhaltig war das Wirken jener großen Geister
doch und sei es nur in Rücksicht darauf, daß sie Weimar zum Mittelpunkt
eines hohen geistigen Lebens umschufen, in das gar Mancher verflochten, und
hierdurch in die Bahnen ernsten Strebens geleitet wurde. Das sieht man auf allen
Gebieten des Wissens, das erfährt man bei Hunderten von Namen; es war
hier eine Fülle der Entfaltung, wo sonst eitel Leere gewesen war. Kaum giebt
es einen bedeutenden Namen deutscher Wissenschaft, der dies Ilm-Athen nicht
zum Zielpunkt seiner Wanderungen ausersehen hat. Man braucht nur zu
blättern in den zum Theil in Vergessenheit ruhenden Tagebüchern der Mit¬
lebenden , um zu erkennen, wie Weimar geistig genährt wurde auch von denen,
die es nicht zu den Seinen zählte. Praktisch hat dies Leben wohl keiner
besser durchlebt als Bertuch, für dessen Fülle wissenschaftlich bedeutsamer Unter¬
nehmungen die unwiderleglicher Zeugnisse noch heute sprechen.

Solch einem nach allen Richtungen gehobenen Leben konnten aber die
Momente sittlicher Hebung nicht fehlen, um so weniger, als Weimar in
seiner zum Theil armen Bevölkerung reichen Anlaß zur Wohlthätigkeit dar-



') Die bemerkenswerthe Stelle lautet zum Briefe Schillers an Humboldt vom 17. Feb¬
ruar 1803: Es ist zu beklagen, daß Goethe sein Hinscl-kentern so überHand nehmen läßt und weil er
abwechselnd alles treibt, sich auf nichts energisch concentrirt. Er ist jetzt ordentlich zu einem
Mönch geworden und lebt in einer bloßen Beschaulichkeit, die zwar keine abgezogene ist, aber
doch nicht nach Auswi productiv wirkt. Seit einem Vierteljahre hat er ohne krank zu sein, das
Haus, ja nicht einmal die Stube verlassen. Von dem, was er treibt, wird er Ihnen selbst Nachricht gegeben haben. Wenn Goethe
noch einen Glauben an die Möglichkeit von etwas Gutem und eine Consequenz in seinem Thun
hätte, so könnte hier in Weimar noch manches realisirt werden, in der Kunst überhaupt und
besonders im Dramatischen. Es entstünde doch etwas und die unselige Stockung würde sich
geben. Allein kann ich nichts machen, oft treibt es mich in der Welt nach einem andern
Wohnort und Wirkungskreise umzusehen; wenn es nur irgendwo leidlich wäre; ich ginge
fort. -

den Namen „Bauer," „weil 10 derselben in den Landtag eingerückt seien."
Nur eine Schöpfung auf diesem Gebiete ist bemerkenswerth, es ist das am
Abende des Goethescher Lebens von ihm und den wissenschaftlichen Kreisen
Weimars gegründete Lesemuseum, das damals schon die Fülle wissenschaft¬
lichen Lebens und die Bereinigung gemeinsamer Interessen bekundete.

Kaum bedarf es eines Hinweises auf die Entwickelung des wissen¬
schaftlichen Lebens; die Koryphäen Weimar's lassen jede Ausführung
überflüssig erscheinen. Nur ein Moment hat der Erzielung noch bedeutenderer
Resultate geschadet, es ist der Mangel eines gemeinsamen innigen Zusammen-
Wirkens, wie Schiller sehr richtig in einer unterdrückten Stelle*) eines Briefes
an Humboldt betont und was Goethe in spätem Alter in den bezeichnenden
Worten zugegeben hat: „Wir sind zu nah an einander hochstehende Bäume
gewesen." Aber tief und nachhaltig war das Wirken jener großen Geister
doch und sei es nur in Rücksicht darauf, daß sie Weimar zum Mittelpunkt
eines hohen geistigen Lebens umschufen, in das gar Mancher verflochten, und
hierdurch in die Bahnen ernsten Strebens geleitet wurde. Das sieht man auf allen
Gebieten des Wissens, das erfährt man bei Hunderten von Namen; es war
hier eine Fülle der Entfaltung, wo sonst eitel Leere gewesen war. Kaum giebt
es einen bedeutenden Namen deutscher Wissenschaft, der dies Ilm-Athen nicht
zum Zielpunkt seiner Wanderungen ausersehen hat. Man braucht nur zu
blättern in den zum Theil in Vergessenheit ruhenden Tagebüchern der Mit¬
lebenden , um zu erkennen, wie Weimar geistig genährt wurde auch von denen,
die es nicht zu den Seinen zählte. Praktisch hat dies Leben wohl keiner
besser durchlebt als Bertuch, für dessen Fülle wissenschaftlich bedeutsamer Unter¬
nehmungen die unwiderleglicher Zeugnisse noch heute sprechen.

Solch einem nach allen Richtungen gehobenen Leben konnten aber die
Momente sittlicher Hebung nicht fehlen, um so weniger, als Weimar in
seiner zum Theil armen Bevölkerung reichen Anlaß zur Wohlthätigkeit dar-



') Die bemerkenswerthe Stelle lautet zum Briefe Schillers an Humboldt vom 17. Feb¬
ruar 1803: Es ist zu beklagen, daß Goethe sein Hinscl-kentern so überHand nehmen läßt und weil er
abwechselnd alles treibt, sich auf nichts energisch concentrirt. Er ist jetzt ordentlich zu einem
Mönch geworden und lebt in einer bloßen Beschaulichkeit, die zwar keine abgezogene ist, aber
doch nicht nach Auswi productiv wirkt. Seit einem Vierteljahre hat er ohne krank zu sein, das
Haus, ja nicht einmal die Stube verlassen. Von dem, was er treibt, wird er Ihnen selbst Nachricht gegeben haben. Wenn Goethe
noch einen Glauben an die Möglichkeit von etwas Gutem und eine Consequenz in seinem Thun
hätte, so könnte hier in Weimar noch manches realisirt werden, in der Kunst überhaupt und
besonders im Dramatischen. Es entstünde doch etwas und die unselige Stockung würde sich
geben. Allein kann ich nichts machen, oft treibt es mich in der Welt nach einem andern
Wohnort und Wirkungskreise umzusehen; wenn es nur irgendwo leidlich wäre; ich ginge
fort. -
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/70>, abgerufen am 25.08.2024.